Spike Lees Kriegsfilmgroteske

Vier US-Veteranen auf Vietnam-Trip

10:50 Minuten
5 Männer knien trauernd am Boden.
Die "5 Bloods" waren afroamerikanische Soldaten einer Einheit im Vietnamkrieg. Nun kehren vier von ihnen zurück, um zu trauern und ganz nebenbei auch noch eine Kiste Gold zu holen. © Netflix / David Lee
Marcus Stiglegger im Gespräch mit Patrick Wellinski · 13.06.2020
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Der neue Spielfilm des US-Regisseurs Spike Lee läuft jetzt auf der Streamingplattform Netflix. "Da 5 Bloods" behandelt die Schrecken des Vietnamkrieges und die Rückkehr von vier früheren US-Soldaten an den Ort ihres Einsatzes vor 50 Jahren.
Patrick Wellinski: Oscar-Gewinner Spike Lee ist derzeit auf fast allen Kanälen ein sehr gern gesehener Gast. Er prangert 400 Jahre Sklaverei an und damit auch 400 Jahre Rassismus. Seine ganze Karriere widmet er dem Kampf gegen diesen Rassismus. Auch sein neuer Spielfilm "Da 5 Bloods" widmet sich diesem Anliegen.

Die "5 Bloods" waren fünf afroamerikanische Soldaten einer Einheit im Vietnamkrieg. 50 Jahre nach ihrem Einsatz kehren vier von ihnen zurück nach Vietnam, um die Überreste ihres verstorbenen Kameraden zu bergen und ganz nebenbei auch noch eine Kiste Gold zu holen, die sie damals versteckt haben. Spike Lees Kriegsfilmgroteske versammelt alle Motive, die sein politisches Kino ausmachen. Deshalb die Frage an den Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger: Was interessiert Spike Lee im Jahr 2020 am Vietnamkrieg?

Stiglegger: Der Vietnamkrieg ist ein sehr spezielles historisches Ereignis. Er war ein ideologischer Stellvertreterkrieg, in dem die USA ihre Feindschaft mit der Sowjetunion und mit kommunistischen Regimen ausgetragen haben. Sie haben gewissermaßen einen Kolonialkrieg von den Franzosen dort übernommen, die das Land vorher besetzt hatten. Insofern enthält dieser Krieg sehr viele ideologische Aufladungen.
Das Interessante ist, dass viele der Filme über den Vietnamkrieg dieser Dimension oft gar nicht so gerecht werden. Sie betonen eher eine andere Dimension, dass eine Menge junger Amerikaner damals - und davon 30 Prozent Afroamerikaner - dorthin versetzt wurden, ohne dass sie wussten, wofür und wogegen sie kämpfen. Sie haben dort ihr Leben gelassen oder kamen schwer verletzt zurück.

Vergangenheit und Gegenwart

Wellinski: Der Film spielt sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart. Könnte man sagen, dass "Da 5 Bloods" für Spike Lee jetzt eine Art politisches Statement ist? Damit er sagt, es gab auch diese schwarzen Soldaten und sie wurden vergessen. Es gibt keine Denkmäler für sie, weder in der Popkultur noch in der realen Welt.
Stiglegger: Er hat das nicht zum ersten Mal gemacht. Im Film "Buffalo Soldiers" geht es um ein Bataillon auch farbiger Soldaten im Zweiten Weltkrieg. Er behandelt diese Thematik, die sonst eher verdrängt ist. Dabei sind Afroamerikaner gerade in den Kriegshandlungen immer sehr stark präsent gewesen, übrigens auch schon im Amerikanischen Bürgerkrieg. Da gibt es auf Seiten der Nordstaaten auch einen Film, "Glory" zum Beispiel, der nicht von Spike Lee selbst ist. Aber das ist auf jeden Fall eine Thematik, die eher aus aktuellen Gründen wiederbelebt und betont auf eine andere Weise aufarbeitet wird, als wir sie bisher kennen. Er schafft damit einen Gegenentwurf zu den Klischees der Vietnamkriegsfilme, die bekannt geworden sind.

Wellinski: Es geht um eine Gegenwart mit Donald Trump als US-Präsident, auch wenn dieser Film nur in Vietnam spielt. Wie erzählt denn Lee vom heutigen Rassismus in den USA in einem Vietnam-Abenteuer?
Stiglegger: Das macht er relativ geschickt. Auf den zeitlichen Ebenen ist es so, dass er, die älteren Darsteller sich auch in ihren jungen Versionen spielen lässt. Also vier der fünf Bloods sind dann quasi die alten Männer, die sich als junge Männer gleichzeitig spielen. Nur der eine Norman, dargestellt von Chadwick Boseman, den sie so glorifizieren und für den sie nach Vietnam zurückkehren, diese Figur wird von einem jungen Mann gespielt. Denn er wurde damals schon getötet.
5 Männer mit großen Rucksäcken laufen in der Abenddämmerung durch ein Reisfeld.
Die Reise durch Vietnam wird für die US-Veteranen zu einer Begegnung mit der Vergangenheit. © Netflix / David Lee
Das Zweite ist, dass es Elemente und Symbole gibt, wie die "Make America Great Again"-Mütze. Sie steht ikonographisch für die Anhänger des Trump-Regimes in den USA. Diese rote Baseballkappe trägt einer der farbigen Protagonisten und liefert damit einen Hinweis auf die afroamerikanischen Trump-Wähler, die es auch gab.
Dann gibt es immer wieder kleine Einblendungen auf der Montageebene. Es werden Fotos gezeigt quer durch die US-amerikanische Geschichte, bis in die Zeit des Bürgerkriegs, aber auch parallel die Friedensbewegung in den USA, das Attentat auf Martin Luther King, die sogenannte Rassenunruhen in Detroit und so weiter. All diese Elemente oder Ereignisse in Vietnam, zum Beispiel das My-Lai-Massaker, werden mit realen, sehr schockierenden Bildern vermittelt. Spieke Lee schafft ein Geflecht in der Montage von einer Gegenwart, die durch die Vergangenheit durchdrungen wird.

Die Egoismen der Veteranen

Wellinski: Es wirkt ein bisschen, als wäre Spike Lee enttäuscht, als würde er fragen, was von den idealen der Bürgerrechtsbewegung von damals überhaupt übriggeblieben ist. Die Veteranen werden mit ihren Egoismen durchaus vorgeführt. Und es gipfelt dann in dieser Figur von Delroy Lindo, der zugibt, Trump gewählt zu haben - also einer von nicht wenigen schwarzen Wählern, die diesem offen rassistischen Präsidenten ins Amt geholfen haben.
Stiglegger: Spike Lee ist von seiner Grundhaltung her ein realistischer Regisseur, weil er weiß, dass es keine gelebte Utopie geben kann und dass der Weg auch noch nicht beendet ist. Stattdessen ist er immer noch quasi im Aufbruch begriffen, also die Idee der Überwindung von Rassismen, von systemischen Rassismus, der vor allem in der Black-Lives-Matter-Bewegung aktuell ja eine Rolle spielt. Das ist auch etwas, was in diesem Film vorkommt.
Es ist ja nicht so, dass Spike Leee da keine Perspektiven öffnet. Das wird gegen Ende gezeigt. Er hat immer wieder Momente, wo sich in den Charakteren etwas weiter entwickelt, wo sie etwas lernen, wo sich in ihnen etwas positiv verändert, wo sie dann tatsächlich die Faust heben und sich gegen diese Missstände richten. Das ist eine Ambivalenz, die im Charakter und in den bisherigen Filmen von Spike Lee immer präsent war. Das Bewusstsein, wie schlimm es eigentlich um Amerika steht und gleichzeitig auch immer wieder Impulse der Hoffnung und Impulse des Widerstandes gerecht darzustellen.

Wellinski: Er operiert sehr stark mit Filmzitaten. In Vietnam macht er das jetzt mit "Apocalypse Now", aber auch "Rambo" und "Platoon" von Oliver Stone. Inwiefern haben wir es auch mit einer Art Abrechnung mit der Filmgeschichte zu tun? In Filmen wie "Apocalypse Now" oder "Platoon" findet zum Beispiel die US-Bürgerrechtsbewegung gar nicht wirklich statt. Laurence Fishburnes, ein kleiner Charakter in "Apocalypse Now" ist der einzige afroamerikanische Soldat und spielt eigentlich keine Rolle.
Stiglegger: Das ist in der Tat ein etwas verzerrtes Bild, das die weißen Vietnamkriegsfilme fest etabliert haben im populärkulturellen Unbewussten. Andererseits muss man sagen: "Apocalypse Now" hat eine ganz andere Programmatik. "Apocalypse Now" ist ein Film über den mythischen Krieg. Also es ist nicht umsonst eine Verfilmung von "Heart of Darkness" und mit Zitaten von Gedichten von "The Hollow Man", der in eine ganz andere Richtung geht. Er strebt eine Mythisierung an, während "Platoon" wirklich die Sicht des jungen Oliver Stone zeigt, der aus einer privilegierten weißen Familie kam und sich dafür entschieden hat, aus seinem Patriotismus heraus nach Vietnam zu gehen.
5 Männer tanzen in einer pink beleuchteten Diskothek.
Spike Lee ist in seinem neuen Film „Da 5 Bloods“ eine ungewöhnliche Kriegsfilmgroteske gelungen. © Netflix / David Lee
Die Perspektive von "Da 5 Bloods" ist eine völlig andere. Es ist eine positiv revisionistische Sicht in Bezug auf die Filmgeschichte. Man will etwas neu erkunden, was bisher einen Bedarf hinterlassen hat. Dazu bedient sich der Regisseur zwar dieser Zitate, aber sie werden zum Teil durch die Variation des Bildformats verändert. Das Breitwandformat wird immer mal wieder zu diesem grobkörnigen 16-Millimeter-Material. Diese Aufnahmen erinnern nicht primär an "Rambo 2", sondern eher an die Kriegsberichterstattung aus dieser Zeit und verbinden das dann. Sie verbinden Actionmomente mit authentisch anmutenden Reportagebildern. Dadurch ist eine sehr hohe Ebene der Reflexion schon integriert.

Die Nähe zu Oliver Stone

Wellinski: Und wie nah ist dann die Bilderpolitik eines Spike Lee an einer von Oliver Stone?
Stiglegger: Ich hatte schon lange das Gefühl, dass Spike Lee eine Methodik anwendet, wie wir sie sonst nur im amerikanischen Kino von Oliver Stone kennen. Das ist ein sehr stark montagebasiertes Kino, das sich nicht vor Deutlichkeiten scheut. Es ist so eine Art amerikanische Variante der russischen Kollisionsmontage, wie wir sie von Eisenstein kennen. Oder es wird eine Montage der Attraktionen versucht, indem bestimmte Assoziationen direkt im Bild verbunden werden.
Es ereignet sich etwas in der filmischen Gegenwart, was durch ein Bildzitat dann an die Vergangenheit sofort gekoppelt wird. Wir sollen direkt verstehen, wo Spieke Lee da mit uns hinwill. Dann arbeitet er mit diesen realen schockierenden Bildern, mit buchstäblich getöteten Kleinkindern, die wir hier sehen. Das sind Bilder, die sich ein Spielfilm so nicht erlaubt, die dann wiederum den Status des Spielfilms in Richtung seiner Reportagequalitäten erweitern.
Das könnte man so ähnlich wie bei Oliver Stone als einen essayistischen Impuls in einem genreorientierten Film begreifen. Er benutzt wie Oliver Stone die Genremechanismen des Kriegs-, Action- und Abenteuerfilms nur als Basis und entwickelt darauf einen Essay über den Zusammenhang zwischen Vergangenheit und Gegenwart zwischen Politik, Ideologie, Rassismus und Identität.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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