SPD in Sachsen-Anhalt

Landeschef dringend gesucht

07:16 Minuten
Burkhard Lischka sitzt im Januar 2018 in Wernigerode zwischen den Delegierten des Landesparteitages seiner Partei.
Mit ihm geht ein Kümmerer, ein Wegweiser, ein Stratege von Bord: der SPD-Politiker Burkhard Lischka. © picture alliance / dpa / Klaus-Dietmar Gabbert
Von Christoph Richter · 07.03.2019
Audio herunterladen
Burkard Lischka führte die SPD in Sachsen-Anhalt seit 2016. Nun gibt er seine Ämter auf und zwingt die Genossen zur Suche nach einem Nachfolger. Das Problem: Offenbar will niemand den Job haben. Herrscht bei der SPD Fachkräftemangel?
"Meistens ist der Kalender so voll, dass ich mich von Zigaretten und Gummibärchen bis abends ernähre. Aber heute treffen wir uns im Café, was ich auch genieße: Einen Latte Macchiato zu trinken und ein Panini zu essen."
Burkhard Lischka, Sachsen-Anhalts Noch-SPD-Landeschef und Noch-Innenpolitischer-Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion - ist Frühaufsteher. Meistens klingelt der Wecker gegen fünf. Heute macht er eine Ausnahme. Und frühstückt erst gegen zehn. Verrückt, sagt Lischka und lacht. Ein Zwei-Meter-Mann vom Typ: Gute-Laune-Bär.
"Ich weiß noch, als das erste Porträt von mir erschien. Da stand was von erasischer Persönlichkeit. Wusste gar nicht, was das ist und habe nachgeblättert im Fremdwörterbuch. Und da stand: Friedfertige Persönlichkeit. Da habe ich mich drin wiedererkannt."
Mitte der 1990er-Jahre ist Burkhard Lischka aus beruflichen Gründen aus dem Sauerland nach Magdeburg gezogen. Der 54-Jährige stammt aus einem Pfarrhaushalt. Schon früh engagiert er sich politisch. Seit 2009 sitzt er im Bundestag, seit 2016 ist er SPD-Landeschef in Sachsen-Anhalt. Doch damit ist es bald vorbei. Lischka zieht sich aus allen Ämtern zurück und will wieder als Notar arbeiten: "Ich hatte mir immer selber vorgenommen, was meine berufliche Existenz angeht, nie von der Politik abhängig machen wollte."
Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Carsten Schneider, nimmt am 27.09.2017 in Berlin im Bundestag an der SPD-Fraktionssitzung teil.
Carsten Schneider, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD: "Ich hab mich nicht gefreut, sondern hab ihm gleich eine SMS geschickt, ob das ein Witz sein soll."© dpa/ picture alliance/ Kay Nietfeld

SMS: Soll das ein Witz sein?

Für die Genossen war das ein Schock. Nicht nur in Sachsen-Anhalt. Auch für Carsten Schneider, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion:
"Ja, ich war erst mal ein bisschen traurig. Ich hab mich nicht gefreut, sondern hab ihm gleich eine SMS geschickt, ob das ein Witz sein soll. Bin auch ein bisschen enttäuscht, weil er eine ganz wichtige Figur, eine vertrauenswürdige Person in der Bundestagsfraktion ist und hier in Sachsen-Anhalt den Landesverband aufrechterhalten hat."
Nun beginnt das Rätselraten: Wer hat den Mut, in Lischkas Fußstapfen zu treten und sich als künftiger sachsen-anhaltischer SPD-Landeschef ins Gespräch zu bringen. Einer könnte Armin Willingmann sein. Er ist Jurist, derzeit Wirtschafts- und Wissenschaftsminister und war zuvor Rektor der Hochschule Harz. Unter den Genossen in Sachsen-Anhalt gilt er als heimlicher Star. Er ist eloquent und über die Parteigrenzen hinaus beliebt. Was seine Zukunft betrifft, gibt er sich aber noch unentschlossen:
"Ich möchte gern das Verfahren abwarten und ich möchte sehen, wie sich das herauskristallisiert. Ich freue mich auf die Diskussion in der Partei. Ich kann es einfach zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausschließen. Und möchte es auch gern dabei belassen."

"Lischka hinterlässt zu große Fußstapfen"

Auch Katja Pähle, SPD-Fraktionschefin im Magdeburger Landtag, hält sich bedeckt. Sie winkt ab. Eine Frau des geschliffenen Wortes, promovierte Politikwissenschaftlerin:
"Eine schwierige Zeit für die SPD ist es. In Sachsen-Anhalt wie im Bund. Das heißt aber nicht, dass unsere Genossinnen und Genossen mutlos sind. Sondern es gibt eine ganze Gruppe, eine ganze Reihe von Genossinnen und Genossen, denen ich das zutrauen würde. Und die hoffentlich bereit sind, eine Kandidatur für sich wahrzunehmen."
Sie selbst habe keine Ambitionen, betont Pähle. Wen man derzeit in Sachsen-Anhalts SPD nach dieser Causa fragt, erntet man Kopfschütteln. Lischka hinterlasse zu große Fußstapfen, sagt Petra Grimm-Benne, Sozialministerin, eine enge Weggefährtin von Lischka:
"Ich persönlich werde meinen Hut nicht in den Ring werfen. Wir müssen unbedingt aus dem Loch raus. Und deswegen bin ich sehr an einer Teamlösung interessiert und hoffe, dass wir das hinbekommen."
Im Klartext heißt das: Alle suchen gemeinsam einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin. Aber keiner möchte es machen. Frei nach dem Motto: Mach Du es doch! Nur um nicht selbst gefragt zu werden.

Nur brave Politiksoldaten?

Der Stendaler Politikwissenschaftler Thomas Kliche hat seine ganz eigene Sichtweise: "Es zeichnet sich in der Politik ein Fachkräftemangel ab."
Die SPD müsse wieder an ihrer Anziehungskraft arbeiten. Lange Zeit habe man nur brave Politiksoldaten herangezogen, die nichts anderes als den Politikbetrieb kennen würden. Das räche sich jetzt, bundesweit, so Kliche.
"Für mich ist ein Extrem-Beispiel Olaf Scholz, der seine Sache sehr solide und handwerklich sehr sauber, klar, transparent und berechenbar macht. Der bei den Leuten aber als nicht ausstrahlungskräftig belächelt wird. Was die Menschen sich aber wünschen, sind integre Menschen mit einer langfristigen Vision, die sie begeistert, die sie mitnimmt."
Gruppenbild mit  Parteivorsitzender: Andrea Nahles, mit Hubertus Heil, Heiko Maas, Olaf Scholz, Katarina Barley, Franziska Giffey, Svenja Schulze
Auch im Bund läuft es für die SPD nicht gut. Liegt es am Spitzenpersonal?© AP
Neue Politik-Stars sind bei der SPD in Sachsen-Anhalt derzeit nicht in Sicht. Die Partei braucht Zehnkämpfer: Gladiatoren mit Ausdauer und Kraft. Crossläufer, die nicht gleich bei der ersten Hürde stolpern und aufgeben. Also: Freiwillige vor.
Der scheidende Innenpolitiker Lischka mahnt daher zu mehr Pragmatismus: "Fachkräftemangel in der Politik entsteht allenfalls dadurch, dass bestimmte Leute an ihren Posten kleben und anderen Leuten keinen Platz machen." Und schiebt noch schnell hinterher: Die Wähler wollten keine geschmeidigen Politiker vom Stil eines Jens Spahn, CDU oder Christian Lindner, FDP.

Ein Stratege geht von Bord

Im Gegenteil: Die SPD solle mehr Mut haben, Quereinsteigern eine Chance zu geben. Der Fall Katharina Barley zeige doch, dass das gut funktioniere. In diesen Chor stimmt auch der Kinderarzt und Hallenser Stadtrat Detlef Wend ein: "Man muss sein Personal auch pflegen. Und das hat die SPD in letzter Zeit nicht immer getan." Für Wend ist klar: Die Suche nach einem SPD-Landesvorsitzenden werde für die Partei in Sachsen-Anhalt eine Zerreißprobe und doch bleibt er optimistisch:
"Ein Landesvorsitzender muss nach innen verbindlich sein, nach außen soll er klare Kante zeigen, das ist schwierig. Ich bin nach wie vor der Ansicht, dass wir in der SPD jemanden finden werden, auch wenn ich jetzt nicht benennen kann, wer das leisten kann."
Der Rückzug von Burkhard Lischka bringt Unruhe in die SPD. Auch weil mit ihm ein Kümmerer, ein Wegweiser, ein Stratege von Bord geht.
"Da würde ich mir manchmal von der SPD wünschen, dass sie für Themen und für Lösungen kämpft, die vielleicht nicht sofort mehrheitsfähig sind. Aber: Dass sie da mutiger und lauter wird. Das würde der Wähler honorieren und das Land vernünftig voranbringen."
Mehr zum Thema