SPD in Ludwigshafen

Mit einem Kümmerer-Büro der AfD trotzen

Ein Jahr Quartierbüro der SPD Ludwigshafen: Wann kommt die Rentenreform, die ihren Namen auch verdient?
Ein Jahr Quartierbüro der SPD Ludwigshafen: Wann kommt die Rentenreform, die ihren Namen auch verdient? © Deutschlandradio / Anke Petermann
Von Anke Petermann · 20.12.2018
Auf schwierigem Terrain in Ludwigshafen hat die SPD ein Quartierbüro eröffnet. Die Einrichtung entwickelt viel Anziehungskraft, wie ein Ortsbesuch zeigt. Noch mehr punkten könnten die Sozialdemokraten allerdings mit einer neuen Sozialpolitik.
"Also, drei Tische sind prima …"
Inge, Klaus und Lorena richten die lange Frühstückstafel her, mit Adventskerzen und Tannengrün, mit Brötchen und Brezeln, Fleischwurst und Marmelade. Durchs Schaufenster des ehemaligen Schlecker-Drogeriemarktes sieht das einladend aus. Soll es auch.
Immer wieder öffnet sich die Glastür zum Quartierbüro, neue Helfer, neue Gäste kommen, Altersspanne zwischen 30 und 90. Genosse oder nicht – man duzt sich. Inge rückt die Messer zurecht. Das Besteck blinkt, es zu polieren, lässt sie sich nicht nehmen.

Inge, 70, gerade in die SPD eingetreten

"Ja, weil mir das alles Spaß macht, es macht mir sehr viel Spaß mit den Leuten hier, und es bringt mir auch was, es gibt mir was."
"Ich werde hier gebraucht", sagt die Siebzigjährige schlicht.
"Gerade eingetreten ..."
… wirft Klaus Beißel ein. Der Leiter des Quartierbüros ist stolz auf die Ehrenamtshelferin der ersten Stunde, mittlerweile Neu-Mitglied der SPD. Der 31-Jährige selbst stammt aus sozialdemokratischem Elternhaus. Der gelernte Kfz-Mechatroniker mit Abi auf dem zweiten Bildungsweg hat soeben den Master-Abschluss Politologie gemacht.
Als Anpacker mit wissenschaftlichem Fokus auf Rechtspopulismus, AfD und deren potentielle Wähler ist er wohl der Richtige an diesem Ort. Die Gartenstadt in Ludwigshafen war früher mal SPD-Hochburg. Doch bei der Bundestagswahl bekam die Alternative für Deutschland hier fast 19 % der Stimmen.
Noch detaillierter lässt es sich in einer handschriftlichen Tabelle nachlesen, die an einer Stellwand am Rande der Spielecke vorm Bücherregal hängt. Beißel deutet auf den Namen "Ernst-Reuter–Siedlung":
"Wir sitzen hier direkt auf der Grenze zwischen zwei Stimmbezirken, und es sind diese beiden Stimmbezirke, Realschule plus I und II, und da hatten wir halt bei der Landtagswahl die berühmten 38 und 39 Prozent AfD-Wahl rundherum."
Weit vor der SPD, bei hohem Nichtwähleranteil. Das war 2016. In einem Stadtteil, der Anfang des 20. Jahrhunderts von einer Bürgergenossenschaft als Reform-Quartier gegründet worden war. Ausgeweitet zwischen den Weltkriegen und mitfinanziert damals von den Chemieunternehmen Raschig und BASF.

Hoher Migranten-Anteil, hoher Altersdurchschnitt

In der südlich gelegenen Ernst-Reuter-Siedlung mit hohem Migranten-Anteil und hohem Altersdurchschnitt schließen heute die Läden. Es schrumpfen und sterben heute die Vereine, das zivilgesellschaftliche Engagement bröckelt. Die SPD hat ihr erstes und bislang einziges Quartierbüro mitten in einem Politlabor des gesellschaftlichen Umbruchs eröffnet, analysiert Klaus Beißel:
"Von den Erfahrungen, die ich hier gemacht habe, geht es viel darum, dass die Menschen frustriert sind, sich von der Politik ein Stückweit allein gelassen fühlen. Und das Quartierbüro ist darauf natürlich eine direkte Antwort, weil wir zeigen, ihr seid nicht allein. Und auch wenn ihr frustriert seid, hier könnt ihr mit uns darüber reden, was für Probleme ihr habt und was ihr meint, was sich ändern müsste. Damit bieten wir eigentlich eine direkte Antwort auf das Erstarken der AfD."
Inge ist nicht frustriert. Und sie hegt auch keine Sympathien für die AfD. Die Rentnerin gehört zu den 15 Neu-Mitgliedern, die sich der SPD Ludwigshafen seit Gründung des Quartierbüros vor rund einem Jahr angeschlossen haben.
"Von zuhause aus ist es schon immer so, aber ich bin selbst jetzt eingetreten. Warum? Das ist eine soziale Partei, das Soziale ist sehr wichtig im Leben. Da dreht sich eigentlich das meiste drum, für den Normalbürger."
Und weil gerade wieder ein paar Normalbürger zur Tür reinkommen, besinnt sich Inge auf ihren Ehrenamtsjob, schleppt aus der kleinen Küche frische Brötchen, Kaffee und Käse ran. Ihr Beitrag zum Sozialen. "Von zuhause aus sozialdemokratisch" – das hört man hier häufiger.
"Meine Eltern waren schon früher immer SPD, muss ich dazu stehen",
… lacht Martina. Aber wie andere hier lässt die berufstätige Ehefrau eines behinderten Mannes Distanz durchblicken zu der Partei, die das Elternhaus noch prägte. Was den Bruch verursachte, will sie nicht verraten. Zu persönlich. Das Quartierbüro als Anlaufstelle für Nachbarschaftshilfe scheint Martina aber versöhnlich gestimmt zu haben.

Im "Großen und Ganzen" zufrieden

"Nee, ich bin normalerweise auch dafür, für SPD, denn die hat schon viel gemacht. Im Großen und Ganzen bin ich zufrieden."
Der neue Quartierladen scheint Erinnerungen ans sozialdemokratische Milieu wachzurufen, aus dem in der Gartenstadt viele stammen.
"Enttäuschungen – hin oder her, das sind Menschen die können wir wieder zurückgewinnen",
... glaubt der Leiter des Büros. Auf dem Logo draußen an der Scheibe draußen prangt ein Herz, das Kürzel SPD sucht man vergeblich.
"Wir verstehen uns ja als Nachbarschaftszentrum, das heißt: Wir sind Ansprechpartner, unkompliziert und niedrigschwellig, bei Problem aller Art, aber wir wollen auch, dass die Leute wieder mehr zusammenkommen, wieder mehr miteinander machen, und das geht dann beispielsweise mit dem Frühstück oder dem Eltern-Kind-Nachmittag, den wir immer donnerstags machen."
Klaus Beißel blickt zum Kindertisch und den Spielzeugkisten im rückwärtigen Bereich:
"Und jetzt die Bastel-Nachmittage rund um die Weihnachtsfeier, all diese Sachen kommen damit rein."
Deutschkurs für Migranten, die schon lange in der Gartenstadt leben? Kaum lag die Idee auf dem Tisch, da gab es auch schon ein Dutzend Anmeldungen, fehlt nur noch der geeignete Lehrer. Computerkurs für Senioren? Wird bestimmt ebenso ausgebucht sein.
Gratis-Angebote - nicht in Konkurrenz, sondern in Abstimmung mit Vereinen in der Nachbarschaft, betont Klaus Beißel, inklusive Raum-Angebot. Die monatlichen Besucherzahlen im Quartierbüro steigen, mittlerweile auf über 300.

Das Geld kommt von Landes- und Bundes-SPD

Die 80.000 Euro Jahresbudget plus Anschub-Finanzierung teilt sich der sozialdemokratische Landesverband Rheinland-Pfalz mit dem Strukturfonds der Bundes-SPD, einem innerparteilichen Projekt-Förderprogramm. Darin die Miete fürs 200 Quadratmeter große Ex-Ladenlokal samt Ganztags-Öffnung, zwei Computer-Arbeitsplätzen und WLAN. Gibt die Sozialdemokratie im kostenlosen Kuschel-Café ihren politischen Anspruch auf?
"Moin, Moin."
Hans-Joachim Weinmann grüßt in die Runde. "Triff die SPD im Quartier" heißt das Motto der Frühstückrunde. Der Mittsiebziger ist ehrenamtlicher Behindertenbeauftragter der Stadt Ludwigshafen und seit 1989 Mitglied der SPD-Stadtratsfraktion. Einer der eigens geladenen Gäste, die den Anspruch politischer Bildung im Quartierbüros einlösen sollen. Weinmann ist das zweite Mal da, obwohl sich die Ludwigshafener CDU schon beim ersten Besuch beschwert hatte ...
"… dass ich in ein SPD-Büro gehe. Und dann hab' ich gesagt, ich geh' überall hin, wo ich eingeladen werde. Nur zu einer Partei würde ich halt nicht gehen. Ohne dass ich jetzt den Namen nenne. Die drei Buchstaben kommen mir nicht über die Lippen."
Dass die AfD sozialdemokratisches Wählerpotential abgezogen hat, ist schmerzlich für den Traditions-Sozi, der die Stadtratsfraktion um die Jahrtausendwende führte:
"Ich bin seit 1967 Mitglied der Partei und habe die Zeit erlebt, als die SPD über eine Million Mitglieder hatte. Das hat sich im Grunde genommen halbiert. Bei mir in meinem Ortsverein, wir waren früher 400, sind jetzt knapp 200 ... Ja, ich setz' mich hierher."

Glitzerstaub auf dem Stuhl

Jemand wischt noch schnell den Glitzerstaub vom Bastel-Nachmittag davor vom Stuhl. Gegen Glitzer hat er doch gar nichts, winkt Weinmann ab: "Bloß ist der Glitzer dann bei mir dann an der falschen Stelle."
Der SPD-Kommunalpolitiker schaut in die Runde: Männer und Frauen zu, großenteils Rentner, großenteils fit, einfach gekleidet. Wer hierher kommt, gehört eher nicht zur gehobenen Mittelschicht. Manchen sieht man körperliche Leiden und schwierige Lebenslagen an.
Weinmann will nicht politisch missionieren. Er spricht beim Kaffee an der langen Tafel mit jedem, der interessiert ist. In regelmäßigen Abständen geht der Behindertenbeauftragte mit jemandem ins Hinterzimmer. Ein Berufstätiger schaut eigens dafür kurz rein: Im Viertel gebe es keine akustischen Ampeln, erzählt er Weinmann. Seine Mutter sehe schlecht, sei auf solche Signale angewiesen. Bordsteine absenken, ist das Anliegen eines anderen.
"Das nehm' ich alles mit."
Und auch Martina kann ihr persönliches Problem ansprechen:
"Das ist schon gut, dass es hier in der Gartenstadt so was gibt, mittlerweile. Wenn sie dementsprechend die Leute haben, die sich mit speziellen Anliegen auskennen, ist das gut."
Quartierbüroleiter Klaus Beißel speist die Anregungen in die Sitzung des SPD-Ortsvereins ein, die er am Abend danach besucht. Alltagsprobleme der Gartenstadt sollen vom Ortsverein und der Stadtratsfraktion bearbeitet und gelöst werden. Kein Fragesteller soll gehen, ohne nicht zumindest einen Ansprechpartner genannt oder einen Ratschlag bekommen zu haben.
Ob das Kuschel-Café als bundesweites Pilotprojekt reicht, um die SPD zu erneuern? Um AFD- und Nichtwähler zurückzugewinnen?
"Nein", sagt Reinhart und beißt kräftig ins Fleischwurst-Brötchen. Dem 71-Jährigen mit grauem Zopf unter der Baskenmütze fehlt bei den Sozialdemokraten der große Wurf:
"Für mich heißt das, endlich mal eine Rentenreform anschieben, die den Namen auch verdient. In fuffzehn Joahr', wenn mol die erschte Mini-Arbeiter, wo jetzt da zu Hungerlöhne' arbeite', wenn die in Rente gehen, müssen wir Milliarde' in die Hand nehme, damit die nit verhungern, wenn sie in Rente sind. Und wenn wir die Milliarde jetzt reinstecke' in eine Rentenform – und der erste Anfang wär', wenn wir mal des, was der Schröder uns geklaut hat, vor Jahre, wenn wir das mal wieder uffstocke' würde', damit wir wieder den Stand habbe mit der Rente wie damals vor'em Schröder."

Riester-Rente und "Hartz-IV-Wunde"

"Die Riester-Rente bringt kaum was", kanzelt Reinhart ein sozialdemokratisches Projekt zur Alterssicherung ab. Jetzt müsse "Butter bei die Fische". Dass die SPD in der großen Koalition Zwängen unterliegt – für den Sympathisanten zählt das nicht: Kante zeigen, heißt sein Wähler-Auftrag.
"'N kleiner Hund muss lauter belle' wie'n großer, weil sonscht wird er übersehe'."
Reinharts 89-jährige Tischnachbarin nickt, seit 60 Jahren ist sie Sozialdemokratin. Und meint, ihre Berliner Genossen sollten sich nicht weiter knechten lassen.
"Sie stehe noch unterm Scheffel von Schwarz. Irgendwie hab' ich das Gefühl, sie könne' sich nicht so durchsetze'."
Die pensionierte Beamtin und ehemals alleinerziehende Mutter vermisst finanzielle Förderung aber eher für Kinder und Bildung als für Rentner. Ihrer Partei die Treue aufzukündigen, daran hat die Kritikerin noch nie gedacht. Vor allem die Ideen der Jusos bestärken sie dabeizubleiben. Der Nachwuchs sollte mehr Macht in der SPD bekommen, findet die Seniorin.
Ihr lindgrüner Pulli kontrastiert mit leuchtend rot-braunen Haaren. Das SPD-Kümmerer-Büro – also nur ein schwacher Ausgleich für fehlenden sozialdemokratischen Aufbruch? Gar ein Manöver, um von der Vernachlässigung des Sozialen abzulenken? Daniel Stich, Generalsekretär der SPD Rheinland-Pfalz, schüttelt den Kopf und kontert:
"Ist mit Sicherheit richtig, dass wir jetzt sagen, das Jahr 2019 muss das Jahr der programmatischen Erneuerung sein."

Pflock der Erneuerung

Die "Hartz-IV-Wunde" mit einer neuen Sozialgesetzgebung zu schließen, gehöre dazu, auch eine Rentenreform. Aber das Quartierbüro Ludwigshafen-Gartenstadt und seine künftigen Ableger republikweit dürfe man nicht mit bundespolitischen Erwartungen überfrachten, sagt Stich in seinem Mainzer Büro.
"Es ist eine gute Idee, im Rahmen, wie können wir organisatorische Antworten geben auf das Bedürfnis nach Verlässlichkeit, Sicherheit, Erreichbarkeit, Aber auch danach Leute zu befähigen. Dort kann es helfen."
Ein Pflock der Erneuerung also, der den Sozialdemokraten nicht erspart, weitere einzuschlagen. Wenn die SPD auch inhaltlich liefert, und zwar eine Rentenreform, das hat Reinhart Klaus Beißel dem Leiter des Quartierbüros Gartenstadt versprochen, dann will er eintreten. Klaus Beißel hat es der Parteizentrale in Mainz schon durchgestellt.
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