Im Gespräch mit Bürgern

Wenn die SPD an der Haustür klingelt

Unterwegs für die SPD im Kieler Stadtteil Südfriedhof: Özlem Ünsal (links) und Marc Fricke
Unterwegs für die SPD im Kieler Stadtteil Südfriedhof: Özlem Ünsal (links) und Marc Fricke © Johannes Kulms
Von Johannes Kulms · 03.12.2018
Zu abgehoben, zu wenig Bürgernähe, keine Ahnung von den realen Problemen - Vorwürfe, die auch gegen die SPD erhoben werden. Die Sozialdemokraten in Kiel suchen deshalb das Gespräch mit Bürgerinnen und Bürgern an der Haustür.
In Kiel-Südfriedhof dominiert der rote Backstein. Manche Häuserreihen erinnern an die Architektur der nordenglischen Arbeiterstädte. Das Viertel ist bei Studierenden und Familien beliebt. Drei Stunden lang wollen Özlem Ünsal und Marc Fricke hier an Türen klingeln und klopfen. Weder ein roter Schal, noch ein Jutebeutel oder ein Anstecker weisen darauf hin, dass sie SPD-Mitglieder sind.
"Gerade wenn wir an Infoständen stehen haben wir gemerkt, dass die Marke oder das Zeichen der SPD doch schon manchmal auch Personen davon abbringt, stehen zu bleiben und ins Gespräch zu kommen."
… sagt der 28-Jährige Marc Fricke, Vorstandsmitglied des SPD-Ortsvereins Südfriedhof. Seine Mitstreiterin Özlem Ünsal ist seit anderthalb Jahren Landtagsabgeordnete. Genauso lange ist es auch her, dass die SPD in Schleswig-Holstein die Macht verloren hat. Auch in Berlin sieht es bekanntlich düster aus. Für Özlem Ünsal ist das alles Ansporn, noch mehr den Kontakt zur Basis zu suchen.
"Weil es gerade jetzt besonders wichtig ist, zu hören, warum der Frust da ist, wie die Sicht auf Politik ist, was die Menschen vor allem in unseren Stadtteilen bewegt."

Woher kommt der Frust?

Doch im ersten angesteuerten Mehrfamilienhaus kommt kein einziges Gespräch zustande. Die Mieter machen entweder nicht auf – oder wollen auch um 11:30 Uhr gern noch weiterschlafen. Ein Haus weiter sieht es schon ganz anders aus.
"Sie können auch reinkommen."
Susanne Janßen ist alleinerziehende Mutter von vier Kindern. Sie findet: In Deutschland werde häufig auf hohem Niveau gejammert. Die Kinderkrankenschwester treibt dagegen vor allem ein Thema um: die Pflege.
"Unsinnig ist einfach, alles in ausländische Pflegekräfte zu stecken um Fachkräfte von außen zu kriegen. Es wäre ja ganz schön, wenn man die vorhandenen Pflegekräfte etwas mehr wertschätzen würde. Und die Wertschätzung läuft über Geld. Da müssen wir uns nichts vormachen."
"Da bin ich ganz bei Ihnen. Ich bin auch Sozialpolitikerin im Landtag."
Es brauche eine bessere Vergütung und mehr Anerkennung für den Pflegeberuf, sagt Özlem Ünsal.
"Hört sich alles gut an. Aber die Umsetzung ist ja eigentlich nicht da!"
"Dann sollten wir uns gemeinsam noch stärker dafür einsetzen, dass das passiert!"

Alles einfach nur "Grütze"

Im letzten Stockwerk öffnet ein Mann im gestreiften Pulli seine Tür.
"Was brennt mir unter den Nägeln? Ich finde die ganze Politik der letzten Jahre einfach nur Grütze!"
Drei Berufe habe er gelernt um dann bei der Arbeitsagentur zu erfahren, dass er "überqualifiziert" sei. Das Hartz-IV-System müsse abgeschafft werden und Arbeit fair bezahlt werden.
"Ich bin Rentner und meine Frau bekommt auch Hartz IV. Und wir haben einenn 19-jährigen Sohn, der eine Fleischerlehre macht. Und jetzt streiten wir uns per Anwalt mit dem Jobcenter darum, warum sie ihm sein Urlaubsgeld abziehen. Erste Antwort von meinem Sohn: ‚Dann bleib‘ ich zu Hause!‘"
Der Mann befürchtet außerdem, dass die Schwächsten der Gesellschaft durch die nach Deutschland gekommenen Flüchtlinge noch kürzer kommen könnten. Marc Fricke und Özlem Ünsal bedanken sich für das Gespräch und ziehen weiter.
"Wir fangen hier gleich an …"

75 Gespräche in zwei Stunden

Auch im Kieler Stadtteil Elmschenhagen ist einer von 15 SPD-Trupps an diesem Samstagvormittag unterwegs: Peter Lohse und Kenneth Arp. In dem Kieler Vorort wechseln sich Reihenhäuser und Klinker-Siedlungen mit Mietswohnungen ab.
75 Gespräche innerhalb von zwei Stunden hätten sie geführt, sagt der 69-Jährige Rentner Peter Lohse.
"Ich sag mal drei waren recht abweisend. Und der Rest war doch recht positiv. Wobei ich sage mal zehn waren besonders positiv, die sich bedankt haben für die Bürgernähe und Aufnahme von Kritikpunkten und Verbesserungsvorschlägen."
Echter Ärger auf die SPD scheint sich im beschaulichen Elmschenhagen nicht Bahn zu brechen: Geklagt wird über fehlende Grillplätze, die Fahrzeiten der Busse oder mangelnde Tüten für die Hundekotentsorgung.
Kenneth Arp hat alle diese Themen auf seinem Klemmbrett notiert. Der 20-jährige Altenpfleger zeigt sich selber kritisch über seine Partei, genauer dessen langjährigen Landeschef Ralf Stegner. Auch Serpil Midyatli – vermutlich ab Frühling die neue Landesvorsitzende - bereitet ihm Bauchschmerzen. Sie steht Stegner zu nahe, findet Kenneth Arp.
"Deswegen fände ich es besser, wenn die jemand Junges, Unerfahrenes sage ich jetzt einfach mal, an die Spitze der SPD Schleswig-Holstein setzen, der einfach mal das Zeichen setzt, bundesweit vielleicht auch mal, wir wollen uns erneuern und wollen die alten endlich mal absetzen!"
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