Sparkurs der neuen Regierung Macri

Argentiniens "kultureller Blackout"

Schauspieler im Teatro Colon in Buenos Aires
Auch am Teatro Colon in Buenos Aires gab es Proteste gegen Einschnitte im Kulturbereich. © afp / Emiliano Lasalvia
Von Peter B. Schumann · 18.07.2016
Seit einem halben Jahr gibt es in Argentinien mit dem neuen neoliberalen Präsidenten Macri einen politischen Umbau. Der Staat zieht sich aus vielen Bereichen zurück. Auch die Kultur bleibt nicht verschont.
"Was wir bei Macri sehen, ist ein Volk, das vorwärts will, und eine Regierung, die rückwärtsgeht."
So singen die Studenten der EMAD‚ der "Akademie der dramatischen Kunst" der Stadt Buenos Aires. Sie haben ihr Institut geschlossen und den Lehrbetrieb in den öffentlichen Raum verlegt, auf die riesige Terrasse des Teatro Colón, einer der größten Opern der Welt.
Sie wollten die Öffentlichkeit auf die unhaltbaren Zustände in der Akademie aufmerksam machen. Ein Sprecher der Studierenden:
"Wir haben große Raum-Probleme. Die Toiletten laufen über, die Dächer sind undicht. Hin und wieder wird etwas geflickt, aber da hilft nur eine gründliche Renovierung. Der Etat reicht nicht einmal, um die Dozenten angemessen zu bezahlen. Auch bräuchten wir neuen Stellen, doch die gibt es nicht, weil der Kulturetat zusammengestrichen wurde. Unser Protest ist kein Selbstzweck, sondern eine Notwendigkeit."

Kultur leidet unter Finanzpolitik

Größte Etatprobleme hat der gesamte Bereich der künstlerischen Ausbildung. Manche Institute mussten deshalb bereits den Lehrplan ausdünnen oder Einrichtungen wegen Einsturzgefahr schließen. Die Schwierigkeiten sind nicht neu, doch sie haben sich durch die auf 40 Prozent zutreibende Inflation verschärft. Sie ist die höchste seit 14 Jahren und eine Folge der neuen, neoliberalen Finanz- und Wirtschaftspolitik der Regierung Macri. Darunter leidet vor allem die Kultur, für deren Vielfalt Buenos Aires berühmt ist.
"Kultureller Blackout! Wir machen das Licht aus und entzünden die Not!"
Im Mai gingen in 150 Off-Theatern, privaten Kulturzentren, Konzertsälen und Tango-Clubs für eine Minute das Licht aus. Die Künstler protestierten gegen die Erhöhung der Energiekosten. Sie hatte tiefe Löcher in die meist schmalen Budgets gerissen. Überall wurde am Schluss der Vorstellung die gleiche Erklärung verlesen.
"Durch den von der Regierung veranlassten, unmäßigen Anstieg der Strom- und Wasserpreise droht dieser Form des Theaters die Gefahr, seine Türen für immer schließen zu müssen. Deshalb erklären wir heute den Notstand, denn unsere monatelangen Beschwerden haben bei der Regierung keinerlei Echo gefunden. Wir fordern einen Sonderfond, der die Erhöhung ausgleicht, und einen besonderen Tarif für den gesamten Kulturbereich. Wir machen die Lichter aus, um die freie und unabhängige Kultur zu verteidigen."

Konsum ist in allen Bereichen rückläufig

Um den Protest zu entspannen, bot die Kulturbehörde der Stadt jeder Institution einen einmaligen Zuschuss von 50.000 Pesos an, das sind allerdings nicht einmal 3.000 Euro.
Die Argentinier gehen nach einer jüngsten Umfrage nur noch halb so oft wie bisher ins Kino oder ins Theater. Der Konsum ist in allen Bereichen rückläufig. Im Buchhandel sind die Verkäufe um bis zu 50 Prozent gesunken. Verschiedene Buchläden mussten schließen, darunter Adán Buenosayres, einer der namhaftesten der Metropole. David De Vita, der Besitzer:
"Nachdem sich der Warenkorb der Leute verändert hat, sind Bücher etwas völlig Sekundäres geworden, das sich viele nicht mehr leisten können. Wir haben die Buchpreise seit dem letzten Jahr stabil gehalten. Doch wenn die Kosten dramatisch steigen und der Verkauf sinkt, dann ist das nicht mehr rentabel."
David De Vita hatte Glück. Nachdem er die Schließung und den Ausverkauf im Internet angekündigt hatte, stürmten die Leser seinen Laden. Autoren kamen und spendeten kleine Summen. Und schließlich bot sogar ein Kulturmanager seine Hilfe an. Eine Kooperative wurde gegründet, und seither existiert wieder Adán Buenosayres.

Behörden sind Arbeitsbeschaffungs-Maschinen

Demonstration von Angestellten des Kulturzentrums Kirchner. 500 von ihnen waren von der neuen Regierung auf einen Schlag entlassen worden. Ein Gewerkschaftsvertreter:
"In ersten Gesprächen hat die neue Kulturbehörde garantiert, dass alle Arbeitsplätze erhalten würden... Aber jetzt wurden plötzlich unsere Verträge gekündigt und die meisten von uns auf die Straße gesetzt. Wir werden weiterkämpfen, haben Einspruch erhoben und einen runden Tisch der Vermittlung gefordert."
Doch die Entlassungen wurden nicht zurückgenommen. – Expräsidentin Kirchner hatte das riesige Kulturzentrum zu einer pompösen Gedenkstätte mit angegliedertem Veranstaltungsprogramm ausbauen lassen. Ihr verstorbener Mann sollte so unübersehbar in die Geschichte eingehen. Bei dieser Gelegenheit wurden zahllose Arbeitsplätze für die eigene Klientel eingerichtet.
Etwas Ähnliches geschah in der Nationalbibliothek: auch sie hatte zuletzt als Arbeitsbeschaffungs-Maschine gedient. Viele der Angestellten beider Institutionen sollen überflüssig oder von ihren Aufgaben überfordert gewesen sein. Eine Reduzierung des Personals ist in allen Bereichen des Staatsapparats notwendig. Aber es ist charakteristisch für Präsident Macri, dass er die unvermeidlichen Reformen in vielen Teilen von Kultur und Gesellschaft nicht mit sozialer Sensibilität durchführen lässt, sondern mit der neoliberalen Keule.
Mehr zum Thema