Spätes Erinnern

Vernichtungslager Sobibór bekommt endlich ein Museum

15:30 Minuten
Mit Gras zugewachsene Schienen in Sobibór
Kein Gras wächst über diese Geschichte: Schienen in Sobibór. © Deutschlandradio / Kamil Majchrzak
Von Martin Sander · 14.10.2020
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Auschwitz ist nach dem Zweiten Weltkrieg zum Symbol des Holocaust geworden. Lager wie das in Sobibór im deutsch besetzten Polen erfuhren wenig Aufmerksamkeit. Erst seit den 60er-Jahren gibt es dort eine Gedenkanlage - und jetzt endlich auch ein Museum.
"Hier weiter hinten sieht man noch Reste vom Stacheldraht, an den ganz alten Bäumen."
Die Stille des Waldes steht im monströsen Gegensatz zu dem, was sich hier einmal abspielte. Im Vernichtungslager Sobibór im Osten Polens an der heutigen Grenze zur Ukraine ließ Nazideutschland zwischen Frühjahr 1942 und Herbst 1943 bis zu 250.000 Menschen ermorden, vor allem Juden, aber auch Roma.
Es wären wohl noch mehr gewesen, hätten nicht einige Gefangene am 14. Oktober 1943 einen Aufstand gewagt, die Flucht ergriffen und damit das Ende dieses Lagers beschleunigt.
Heute am 77. Jahrestag gedachten nur sehr wenige Besucher, Nachfahren von Häftlingen, Museumsleute und Botschaftsvertreter des Gefangenenaufstands von Sobibór.
Heute sollte außerdem das neue Museum der Gedenkstätte Sobibór endlich eingeweiht werden. Doch wegen Corona und auch, weil noch nicht alle Teile der neuen Dauerausstellung aufgebaut wurden, blieb es bei einem ersten, improvisierten Rundgang durch das Museum. Äußerlich ein schiefeckiger Quader mit graubrauner Fassade am Rande des Lagers.

Persönliche Gegenstände kamen bei Ausgrabungen zu Tage

Die Dauerausstellung umfasst 330 Quadratmeter. Auf Schautafeln werden der Aufbau der Vernichtungslager, die Absichten der Täter, die Organisation des Verbrechens detailgenau erklärt. Persönliche Gegenstände der Opfer sind zu sehen, Kämme, Trinkbecher, Kinderspielzeug, das erst bei jüngeren Ausgrabungen wieder zu Tage trat.

Als vor einigen Monaten die Historiker Anne Lepper, Steffen Haenschen und Andreas Kahrs ihr Buch "Fotos aus Sobibór" vorstellten, ging die Nachricht um die Welt. Denn vom Holocaust existieren relativ wenige Fotos und gerade von den Lagern Sobibór, Treblinka und Bełżec, wo gezielt hunderttausende Menschen ermordet wurden, am allerwenigsten. Alexander Bühler hat zwei der Autoren getroffen, um mit ihnen herauszufinden, was die Fotos tatsächlich zeigen: Audio Player

Fotos, die der stellvertretende Lagerkommandant Johann Niemann aufgenommen hat, zeigen die Lagerwirklichkeit aus der Sicht der Täter. Den ganzen Museumsbau hat, den Verantwortlichen zufolge, Polen finanziert, mit mehreren Millionen Euro. Deutschland hat Geld für die Ausstellung dazu gegeben, nach langem Hin und Her.
"Nach fünf Jahren haben wir es geschafft, dass endlich eine Million Euro für die Ausstattung der neu errichteten Gedenkstätte Sobibór freigegeben worden sind."
Kamil Majchrzak ist parteiloser wissenschaftlicher Mitarbeiter für die Linke im Bundestag. Vor allem ist er ein deutsch-polnischer Erinnerungsaktivist, wie er sich selbst nennt. Majchrzak hat im Alleingang lange für die Unterstützung durch Deutschland geworben, hat Antrag um Antrag formuliert, während die Bundesregierung Geldmittel für Sobibór blockierte:
"Man hat uns gesagt, dass man bis jetzt Projekte in Sobibór mit anderen Partnern vorbereitet, also mit den Ländern, die davon betroffen waren, die dort auch Inhaftierte hatten. Da war Deutschland nicht dabei."
So noch hatte es 2013 die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Cornelia Pieper von der FDP, formuliert. Eine merkwürdige Aussage und eine falsche Annahme, findet Kamil Majchrzak und sieht dahinter eine allgemein verbreitete Haltung:
"Das Judentum wird in Deutschland nicht betrachtet als etwas, was ein Teil deutscher Kultur ist, sondern es ist etwas Äußerliches, und das zieht sich auch durch die Erinnerungspolitik. Die jüdischen Opfer werden als Fremde und nicht als deutsche Opfer auch wahrgenommen. Das ist absurd."

Gedenkhalle erinnert an alle Opfer

Zu diesen jüdischen Deutschen gehörten unter vielen anderen auch die Großmutter und der Onkel von Elke Tischer aus Berlin.
"Die Großmutter ist ermordet worden und der Bruder meines Vaters ist auch ermordet worden. Also unser Vater hat an diesem Trauma sein ganzes Leben getragen."
Ihr Vater, Kurt Gutmann, entkam dem Holocaust durch einen Kindertransport nach Großbritannien und kehrte bei Kriegsende nach Deutschland zurück. Dass seine Mutter und sein Bruder in Sobibór ermordet wurden, erfuhr er erst spät.
Heute gibt es einen Stein für die Angehörigen der Familie Gutmann in der Gedenkallee in Sobibór. Die Gedenkallee, die an alle Opfer erinnert, war die Initiative des privaten Bildungswerks "Stanisław Hantz", in dem Polen und Deutsche zusammenarbeiten.
"Also ich finde es schon beschämend, dass es so lange gedauert hat, und ich denke es ist wirklich die Pflicht der deutschen Bundesregierung, diese Gedenkstätten finanziell so zu unterstützen, dass sie würdige Gedenkstätten dieses Massenmordes werden und Austauschstätte auch für junge Menschen."
Wandtafel und Lichtinstallation im Museum der Gedenkstätte Sobibor
Im Museum werden auf Schautafeln der Aufbau der Vernichtungslager, die Absichten der Täter und die Organisation des Verbrechens detailgenau erklärt.© Deutschlandradio / Kamil Majchrzak
Finanzielle Probleme wie in Sobibór gibt es auch in Bełżec und Treblinka, den beiden anderen Gedenkstätten der großen Vernichtungslager im Osten Polens. Diese Lager der sogenannten Aktion Reinhardt verkörpern mit bis zu zwei Millionen Ermordeten den Kern des Holocausts. Dennoch erfahren sie bis heute unvergleichlich weniger Aufmerksamkeit als Auschwitz, das zum Symbol der Ermordung der europäischen Juden durch die Deutschen wurde.
Die Lager der Aktion Reinhardt finden auch deshalb weniger Aufmerksamkeit, weil es den Tätern noch vor Kriegsende gelang, diese Lager dem Erdboden gleich zu machen und so die Spuren ihrer Verbrechen zu verwischen. Das wirkt sich auf die Gedenkarbeit bis heute aus – und auch auf ihre Finanzierung. Als nächstes benötigt zum Beispiel Treblinka Geld für eine Erweiterung seines Museums und für ein internationales Begegnungszentrum.

Fundamente der Gaskammern sollen zu sehen sein

Auch in Sobibór sind die Arbeiten für einen neuen Gedenkort noch längst nicht beendet. Demnächst soll der sogenannte "Schlauch" rekonstruiert werden, jener Waldpfad, durch den die Opfer von der Bahnrampe direkt in die Gaskammer getrieben wurden. Auch die Fundamente der Gaskammern sollen nach Ausgrabungsarbeiten teilweise für Besucher zu sehen sein, erklärt Gedenkstättenleiter Tomasz Oleksy-Zborowski.
"Wir haben sie 2016 konserviert, eingehüllt und später wieder mit Sand bedeckt. Der Sand trägt laut Meinung der Experten zur Konservierung bei. Aber an zwei drei Stellen werden wir sie bereits im kommenden Jahr aufdecken. Durch Panzerglas wird man dann von oben in sie hineinsehen können."
Und es gibt noch mehr Pläne. Unabhängig von der Gedenkstätte wird derzeit der alte Bahnhof von Sobibór renoviert und in eine Begegnungsstätte für historisch-politische Bildung umgewandelt.
Für dieses Projekt ist die Kreisverwaltung von Włodawa verantwortlich, zu der die kleine Ortschaft Sobibór gehört. Es gibt also zahlreiche Vorhaben, die aus Sobibór einen bedeutenden Ort der Erinnerung an den Holocaust machen werden – wenn das nötige Geld zur Verfügung steht und die Arbeiten abgeschlossen sind.
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