Soziologin Kelek: Keine künstlerische Auseinandersetzung mit der Religion im Islam
Die Anwältin Seyran Ates und die Soziologin Necla Kelek haben die Absage von sechs muslimischen Verbänden kritisiert, die Wiederaufführung der Oper "Idomeneo" zu besuchen. Der gemeinsame Besuch der Oper sollte eigentlich ein Zeichen für die Kunstfreiheit setzen, sagte Kelek im Deutschlandradio Kultur. Innerhalb des Islams fehle grundsätzlich eine künstlerische Auseinandersetzung mit Religion und Gewalt, so Kelek weiter.
Scholl: Im September nahm die Intendantin Kirsten Harms die Mozart-Oper "Idomeneo" vom Spielplan der Deutschen Oper in Berlin. Grund waren Berichte des Berliner Innensenators, die auf mögliche Anschläge hindeuteten. Denn die geplante Inszenierung von Hans Neuenfels hat einen erfundenen Epilog: Dort werden die Köpfe von Jesus, Buddha, Poseidon - und Mohammed abgeschlagen, um die ideologiekritische Tendenz der Oper zu unterstreichen. Nach der Absetzung brach ein Sturm der Entrüstung los und über die Deutsche Oper herein, der Skandal reichte bis in die Spitzen der Politik, und sogar Bundeskanzlerin Merkel nahm öffentlich Stellung:
Merkel: "Ich habe die Erfahrung gemacht, das manche beim Recht, frei ihre Meinung zu sagen oder zu schreiben, eine völlig unnötige Schere im Kopf haben, dass gleichsam die weiße Fahne gehisst wird, bevor auch nur irgendetwas zu passieren droht. Wie anders ist denn die Entscheidung um die Absetzung der Mozart-Oper in Berlin zu werten? Über Geschmack lässt sich trefflich streiten. Es gibt in Deutschland auch kein Verbot, sich verletzt zu fühlen. Man muss auch nicht in eine Oper gehen. Aber über die Freiheit der Kunst, der Rede, der Presse, der Meinung, der Religion - über all das lässt sich nicht streiten. Hier kann es und darf es keine Kompromisse geben."
Scholl: Bundeskanzlerin Angela Merkel im September anlässlich der Absetzung von Mozarts Oper "Idomeneo". Heute Abend wird das Stück nun doch aufgeführt, und im Publikum werden zwei Damen Platz nehmen, nämlich die Anwältin Seyran Ates und die Soziologin Necla Kelek. Jetzt sind sie beide am Telefon.
Scholl: Guten Morgen, Ihnen beiden.
Ates: Guten Morgen.
Kelek: Guten Morgen.
Scholl: Frau Ates, was werden Sie heute Abend besuchen, eine schöne interessante Oper oder eine politische Demonstration?
Ates: Ich hoffe, dass beides dabei heraus kommt. Es wird in erster Linie für mich eine politische Demonstration sein und ich hoffe, dass ich mich dennoch, trotz des blutigen Akts am Ende, an der Oper erfreuen kann.
Scholl: Journalisten aus der ganzen Welt haben sich angesagt, das Publikum wird durch einen Wald von Mikrophonen und Kameras laufen, die Polizei wird kontrollieren. Was erwarten Sie von diesem Abend, Frau Kelek?
Kelek: Ich erwarte natürlich auch eine spannende Inszenierung. Ich freue mich auch über die Möglichkeit, bei so einer Vorstellung noch mal die Möglichkeit zu haben, über das Thema religiöses Leben in Deutschland, in Europa und überhaupt in der Welt zu diskutieren. Das nutze ich als Plattform, und ich freue mich darüber.
Scholl: Sie werden mit weiteren Teilnehmern der von Innenminister Schäuble einberufenen Islamkonferenz gewissermaßen politische Präsenz zeigen. Es gab ja viele muslimische Offizielle, die sich eindeutig für die Freiheit der Kunst ausgesprochen haben, aber es gab natürlich auch Proteste. Jetzt noch mal im Rückblick, Frau Ates, wie hat man eigentlich nach Ihrem Eindruck unter Muslimen über den Fall diskutiert?
Ates: Über die Oper hätten viele Muslime gar nichts gewusst, wenn das nicht so ein Tamtam in der Presse, beziehungsweise wenn das nicht abgesetzt worden wäre. Diskutiert wurde letztendlich natürlich darüber, ob die Deutschen da nicht sehr voreilig handeln teilweise. Wirklich einfach erstmal abwarten, ob was passiert und dann handeln, wäre doch vielleicht sinnvoller gewesen.
Scholl: Nun haben sechs von 15 muslimischen Verbänden aus der Islamkonferenz angekündigt, dass sie die Aufführung auch heute Abend boykottieren werden, also doch nicht kommen. Ist das natürlich auch ein politisches Zeichen, oder?
Ates: Ja, auf jeden Fall. Das sehe ich schon als politisches Zeichen, weil es auch eine Demonstration für die Meinungsfreiheit, für die Kunstfreiheit sein sollte, dass wir alle gemeinsam dahin gehen, ob wir die Oper nun gut finden oder nicht. Ganz unabhängig davon, von der Inszenierung, wollten wir damit ja zeigen, dass wir es nicht gut heißen, diesen vorauseilenden Gehorsam zum einen Teil, und zum anderen: In diesem Jahr sind ja sehr viele Dinge passiert, wo wir über die Kritik am Islam diskutiert haben. Das wollten wir damit demonstrieren, dass auch über den Islam sich kritisch geäußert werden kann.
Scholl: Frau Kelek, ob die Bedrohung nun wirklich real war oder nicht, man hat ja vom Einknicken vor den Islamisten gesprochen. War diese Absetzung der Oper im September nach Ihrer Meinung die falsche Flucht nach vorn?
Kelek: Man könnte das vielleicht so sehen, aber ich finde die Reaktion jetzt gerade der islamischen Organisationen wieder ganz typisch. Es gibt ja innerhalb des Islam in Form von Kunst keine Auseinandersetzung mit dem Islam oder mit Religion. Jede individualistische Form über Religion wird unterbunden und daher ist es für mich keine Überraschung, dass die jetzt nicht teilnehmen, sondern sie zeigen ja gerade, dass sie das eben nicht wollen, die inhaltliche Auseinandersetzung mit Religion.
Weil gerade Idomeneo, und das müssen jetzt auch die Vertreter gemerkt haben, was dort eigentlich gezeigt wird, inszeniert wird: Es geht um Opferung. In zwei Wochen feiern Muslime wieder das Opferfest und da wird wieder Blut fließen. Für Gott wird geopfert. Und genau das ist ja auch in Kunstform eine Möglichkeit der Auseinandersetzung. Ist das eigentlich noch zeitgemäß? Möchte Gott eigentlich von Menschen Opfer, damit wir Menschen beweisen können, dass wir gläubig sind? Brauchen wir das? Das wäre doch so nötig gewesen, gerade die Muslimvertreter, dass sie heute Abend da sind und sich damit auseinandersetzen und dazu Stellung nehmen, warum wird noch geopfert und warum brauchen die Muslime diese Art von Opferung.
Scholl: Jetzt haben Sie schön die künstlerische Linie dieses Stückes entwickelt, die Hans Neuenfels ja auch verschärft hat mit dieser Schlussszene, die eben hinzuerfunden wurde. Also die Köpfe von Poseidon, Jesus, Buddha und Mohamed werden abgeschlagen. Ich meine, Frau Merkel hat vorhin gesagt, über Geschmack lässt sich streiten. Es gab ja auch wirklich Diskussionen, ob das denn sehr geschmackvoll sei oder ob es ästhetisch einfach albern wäre, diesen Epilog aufzuführen. Wie reagieren Sie beide eigentlich auf diese Vorstellung der abgeschlagenen Köpfe als künstlerischen Ausdruck?
Ates: Ich selbst schließe mich da Frau Merkel an. Darüber kann man sich streiten. So blutrünstige Aufführungen sind nicht so mein Geschmack unbedingt. Aber im weitesten Sinne, im übertragenen Sinne ist das doch ein Bild, was uns tatsächlich dazu führen kann und sollte, uns damit auseinanderzusetzen, wie Necla das gerade so schön ausgeführt hat: Sind wir denn in einer Zeit, in der wir tatsächlich so etwas Blutrünstiges vollziehen sollten, ob Religion nicht jetzt zeitgemäßer ausgelegt werden sollte?
Scholl: Frau Kelek?
Kelek: Für mich ist es auch genau diese Möglichkeit darüber zu diskutieren. Die Europäer haben sicherlich schon das als Postmodern hinter sich und inszenieren immer mehr, um sich selbst auch zu inszenieren und haben diese inhaltliche Auseinandersetzung über Kunst halt nicht mehr so nötig. Aber für die Muslime ist es vielleicht erstmal gerade der Beginn, sich damit auch so auseinanderzusetzen. Und die Kunst gibt uns doch die Möglichkeit, uns geistig damit auseinanderzusetzen, abstrakt damit endlich auseinanderzusetzen, damit wir das im Alltag nicht mehr so leben müssen. Da kommen also wieder zwei Welten zusammen. Die einen haben das schon über und bezeichnen bestimmte Aufführungen wie diese, ist das geschmacklich noch in Ordnung oder nicht, die anderen haben es noch nicht einmal angefangen. Und so leben wir miteinander in einer Gesellschaft.
Scholl: Heute früh kam Kritik von der christlichen Seite. Die Bischöfin Bärbel Wartenberg-Potter für den Sprengel Holstein-Lübeck hat die Aufführung genau anders herum kritisiert, nämlich gemeint, in unseren Zeiten, die über Religion wieder neu nachdenke, hätte diese Inszenierung eigentlich keinen ästhetischen Wert.
Ich würde gerne noch auf ein anderes Thema mit Ihnen beiden zu sprechen kommen. Sie beide stehen in der Öffentlichkeit, Sie beide wissen, wie das ist, wenn man bedroht wird. Frau Ates, Sie sind Anwältin und haben sich vor allem für die Rechte türkischer Frauen stark gemacht seit Jahrzehnten, und Sie wissen aus schmerzlicher Erfahrung, was es heißt, wenn man wirklich körperlich angegriffen wird. Vor 20 Jahren wurde auf Sie geschossen, Sie wurden schwer verletzt. Jetzt haben Sie im Herbst Ihre Anwaltspraxis geschlossen nach erneuten Morddrohungen, als Sie nämlich Musliminnen in Deutschland aufgefordert haben, das Kopftuch abzulegen.
Auch Frau Kelek hat Drohungen erhalten durch ihre publizistischen Arbeiten, die sie gerade in diesem Jahr veröffentlicht hat. Die Intendantin Kirsten Harms hat die Streichung der Oper mit Ihrer Verantwortung für ihr Ensemble und das Publikum begründet. Nach dieser Entscheidung wurde Sie an den Pranger gestellt regelrecht. Können Sie Frau Harms nicht auch aus ihrer persönlichen Sicht ein wenig verstehen?
Ates: Ja, selbstverständlich kann ich das verstehen. Vorhin sagte ich ja auch, in diesem Jahr hatten wir den Karikaturen-Streit und dann noch die Papst-Rede. Wir haben ja sehr vieles erlebt, wo wir gesehen haben, dass es ganz, ganz gefährlich ist. Und auch ich am eigenen Leibe: Ich bin ja zur Zeit keine Anwältin, weil ich diese Gefahr nicht mehr ertragen habe. Trotzdem ist es eine Frage, ob man als Gesellschaft nicht insgesamt reagiert. Ich denke schon, dass sie verantwortungsvoll gehandelt hat, wenn tatsächlich auch Anzeichen dafür da gewesen wären.
Nun kann es aber nicht sein, dass wir uns wirklich alle insgesamt zurückziehen. Ich ganz alleine in meiner privaten Kanzlei, das ist denke ich schon was anderes als so eine Oper. Also da hätte sie vielleicht doch ein bisschen mehr Hilfe einfordern können und sollen. Wir sollten nicht in jedem Bereich einknicken. Mein Einknicken und ihr Einknicken ist, denke ich, schon ein kleiner Unterschied.
Scholl: Frau Kelek, war diese Diskussion am Ende vielleicht sogar förderlich im Sinne von mehr Toleranz. In dieser ominösen Schlussszene konkretisiert sich ja gewissermaßen der Konflikt, wird da auf die Spitze getrieben. Und diese Debatte hat ja da vielleicht auch diesen Effekt erzeugt, oder?
Kelek: Ja, auf jeden Fall. Wir müssen jede Möglichkeit ausnutzen. Wie auch bei Seyran zum Beispiel, wie viel Solidarität sie erlebt hat, weil wir in der Öffentlichkeit auch über diese Situation so gut uns inhaltlich auseinandersetzen konnten. Wir müssen jede Möglichkeit ausnutzen, Gewalt und Religion zu thematisieren und zu diskutieren. Und leider ist es für mich immer noch so, dass die Religion, also der Islam, sich nicht öffentlich wirklich - vielleicht mündlich, aber nicht inhaltlich - von Gewalt so weit distanziert und wegen einer Karikatur oder wegen so einer Aufführung wieder wir über Gewalt uns Gedanken machen müssen und Angst haben müssen.
Je mehr wir in der Öffentlichkeit diskutieren und auch die muslimischen Vertreter darüber diskutieren und sich distanzieren, desto mehr wird auch denen, die sehr schnell gewaltbereit sind, die Möglichkeiten genommen, sich so zu verhalten. Ich finde, jede Möglichkeit ist für uns wichtig, um inhaltlich weiterzukommen, dass wir sagen, Religionen sind für Frieden da, Religionen sind für uns da, dass wir zusammenkommen, uns gegenseitig verstehen und nicht Angst haben müssen, auf die Straße zu gehen, weil wir unsere Meinung offen über Religionen aussprechen.
Scholl: Seyran Ates und Necla Kelek, ich danke Ihnen beiden für das Gespräch und ich wünsche Ihnen auch einen schönen Opernabend.
Kelek: Danke.
Ates: Hoffentlich.
Scholl: Ja, hoffentlich wird es so sein.
Kelek: Darf ich einen Satz noch dazu sagen? Also die Absage der Islamverbände finde ich wirklich sehr bedenklich, weil sie unterstreichen damit im Grunde genommen, dass die Intendantin vielleicht doch Recht hatte.
Scholl: Wir werden die Diskussion weiter führen. Erstmal Ihnen alles Gute. Heute Abend "Idomeneo" von Wolfgang Amadeus Mozart in der Deutschen Oper in Berlin.
Merkel: "Ich habe die Erfahrung gemacht, das manche beim Recht, frei ihre Meinung zu sagen oder zu schreiben, eine völlig unnötige Schere im Kopf haben, dass gleichsam die weiße Fahne gehisst wird, bevor auch nur irgendetwas zu passieren droht. Wie anders ist denn die Entscheidung um die Absetzung der Mozart-Oper in Berlin zu werten? Über Geschmack lässt sich trefflich streiten. Es gibt in Deutschland auch kein Verbot, sich verletzt zu fühlen. Man muss auch nicht in eine Oper gehen. Aber über die Freiheit der Kunst, der Rede, der Presse, der Meinung, der Religion - über all das lässt sich nicht streiten. Hier kann es und darf es keine Kompromisse geben."
Scholl: Bundeskanzlerin Angela Merkel im September anlässlich der Absetzung von Mozarts Oper "Idomeneo". Heute Abend wird das Stück nun doch aufgeführt, und im Publikum werden zwei Damen Platz nehmen, nämlich die Anwältin Seyran Ates und die Soziologin Necla Kelek. Jetzt sind sie beide am Telefon.
Scholl: Guten Morgen, Ihnen beiden.
Ates: Guten Morgen.
Kelek: Guten Morgen.
Scholl: Frau Ates, was werden Sie heute Abend besuchen, eine schöne interessante Oper oder eine politische Demonstration?
Ates: Ich hoffe, dass beides dabei heraus kommt. Es wird in erster Linie für mich eine politische Demonstration sein und ich hoffe, dass ich mich dennoch, trotz des blutigen Akts am Ende, an der Oper erfreuen kann.
Scholl: Journalisten aus der ganzen Welt haben sich angesagt, das Publikum wird durch einen Wald von Mikrophonen und Kameras laufen, die Polizei wird kontrollieren. Was erwarten Sie von diesem Abend, Frau Kelek?
Kelek: Ich erwarte natürlich auch eine spannende Inszenierung. Ich freue mich auch über die Möglichkeit, bei so einer Vorstellung noch mal die Möglichkeit zu haben, über das Thema religiöses Leben in Deutschland, in Europa und überhaupt in der Welt zu diskutieren. Das nutze ich als Plattform, und ich freue mich darüber.
Scholl: Sie werden mit weiteren Teilnehmern der von Innenminister Schäuble einberufenen Islamkonferenz gewissermaßen politische Präsenz zeigen. Es gab ja viele muslimische Offizielle, die sich eindeutig für die Freiheit der Kunst ausgesprochen haben, aber es gab natürlich auch Proteste. Jetzt noch mal im Rückblick, Frau Ates, wie hat man eigentlich nach Ihrem Eindruck unter Muslimen über den Fall diskutiert?
Ates: Über die Oper hätten viele Muslime gar nichts gewusst, wenn das nicht so ein Tamtam in der Presse, beziehungsweise wenn das nicht abgesetzt worden wäre. Diskutiert wurde letztendlich natürlich darüber, ob die Deutschen da nicht sehr voreilig handeln teilweise. Wirklich einfach erstmal abwarten, ob was passiert und dann handeln, wäre doch vielleicht sinnvoller gewesen.
Scholl: Nun haben sechs von 15 muslimischen Verbänden aus der Islamkonferenz angekündigt, dass sie die Aufführung auch heute Abend boykottieren werden, also doch nicht kommen. Ist das natürlich auch ein politisches Zeichen, oder?
Ates: Ja, auf jeden Fall. Das sehe ich schon als politisches Zeichen, weil es auch eine Demonstration für die Meinungsfreiheit, für die Kunstfreiheit sein sollte, dass wir alle gemeinsam dahin gehen, ob wir die Oper nun gut finden oder nicht. Ganz unabhängig davon, von der Inszenierung, wollten wir damit ja zeigen, dass wir es nicht gut heißen, diesen vorauseilenden Gehorsam zum einen Teil, und zum anderen: In diesem Jahr sind ja sehr viele Dinge passiert, wo wir über die Kritik am Islam diskutiert haben. Das wollten wir damit demonstrieren, dass auch über den Islam sich kritisch geäußert werden kann.
Scholl: Frau Kelek, ob die Bedrohung nun wirklich real war oder nicht, man hat ja vom Einknicken vor den Islamisten gesprochen. War diese Absetzung der Oper im September nach Ihrer Meinung die falsche Flucht nach vorn?
Kelek: Man könnte das vielleicht so sehen, aber ich finde die Reaktion jetzt gerade der islamischen Organisationen wieder ganz typisch. Es gibt ja innerhalb des Islam in Form von Kunst keine Auseinandersetzung mit dem Islam oder mit Religion. Jede individualistische Form über Religion wird unterbunden und daher ist es für mich keine Überraschung, dass die jetzt nicht teilnehmen, sondern sie zeigen ja gerade, dass sie das eben nicht wollen, die inhaltliche Auseinandersetzung mit Religion.
Weil gerade Idomeneo, und das müssen jetzt auch die Vertreter gemerkt haben, was dort eigentlich gezeigt wird, inszeniert wird: Es geht um Opferung. In zwei Wochen feiern Muslime wieder das Opferfest und da wird wieder Blut fließen. Für Gott wird geopfert. Und genau das ist ja auch in Kunstform eine Möglichkeit der Auseinandersetzung. Ist das eigentlich noch zeitgemäß? Möchte Gott eigentlich von Menschen Opfer, damit wir Menschen beweisen können, dass wir gläubig sind? Brauchen wir das? Das wäre doch so nötig gewesen, gerade die Muslimvertreter, dass sie heute Abend da sind und sich damit auseinandersetzen und dazu Stellung nehmen, warum wird noch geopfert und warum brauchen die Muslime diese Art von Opferung.
Scholl: Jetzt haben Sie schön die künstlerische Linie dieses Stückes entwickelt, die Hans Neuenfels ja auch verschärft hat mit dieser Schlussszene, die eben hinzuerfunden wurde. Also die Köpfe von Poseidon, Jesus, Buddha und Mohamed werden abgeschlagen. Ich meine, Frau Merkel hat vorhin gesagt, über Geschmack lässt sich streiten. Es gab ja auch wirklich Diskussionen, ob das denn sehr geschmackvoll sei oder ob es ästhetisch einfach albern wäre, diesen Epilog aufzuführen. Wie reagieren Sie beide eigentlich auf diese Vorstellung der abgeschlagenen Köpfe als künstlerischen Ausdruck?
Ates: Ich selbst schließe mich da Frau Merkel an. Darüber kann man sich streiten. So blutrünstige Aufführungen sind nicht so mein Geschmack unbedingt. Aber im weitesten Sinne, im übertragenen Sinne ist das doch ein Bild, was uns tatsächlich dazu führen kann und sollte, uns damit auseinanderzusetzen, wie Necla das gerade so schön ausgeführt hat: Sind wir denn in einer Zeit, in der wir tatsächlich so etwas Blutrünstiges vollziehen sollten, ob Religion nicht jetzt zeitgemäßer ausgelegt werden sollte?
Scholl: Frau Kelek?
Kelek: Für mich ist es auch genau diese Möglichkeit darüber zu diskutieren. Die Europäer haben sicherlich schon das als Postmodern hinter sich und inszenieren immer mehr, um sich selbst auch zu inszenieren und haben diese inhaltliche Auseinandersetzung über Kunst halt nicht mehr so nötig. Aber für die Muslime ist es vielleicht erstmal gerade der Beginn, sich damit auch so auseinanderzusetzen. Und die Kunst gibt uns doch die Möglichkeit, uns geistig damit auseinanderzusetzen, abstrakt damit endlich auseinanderzusetzen, damit wir das im Alltag nicht mehr so leben müssen. Da kommen also wieder zwei Welten zusammen. Die einen haben das schon über und bezeichnen bestimmte Aufführungen wie diese, ist das geschmacklich noch in Ordnung oder nicht, die anderen haben es noch nicht einmal angefangen. Und so leben wir miteinander in einer Gesellschaft.
Scholl: Heute früh kam Kritik von der christlichen Seite. Die Bischöfin Bärbel Wartenberg-Potter für den Sprengel Holstein-Lübeck hat die Aufführung genau anders herum kritisiert, nämlich gemeint, in unseren Zeiten, die über Religion wieder neu nachdenke, hätte diese Inszenierung eigentlich keinen ästhetischen Wert.
Ich würde gerne noch auf ein anderes Thema mit Ihnen beiden zu sprechen kommen. Sie beide stehen in der Öffentlichkeit, Sie beide wissen, wie das ist, wenn man bedroht wird. Frau Ates, Sie sind Anwältin und haben sich vor allem für die Rechte türkischer Frauen stark gemacht seit Jahrzehnten, und Sie wissen aus schmerzlicher Erfahrung, was es heißt, wenn man wirklich körperlich angegriffen wird. Vor 20 Jahren wurde auf Sie geschossen, Sie wurden schwer verletzt. Jetzt haben Sie im Herbst Ihre Anwaltspraxis geschlossen nach erneuten Morddrohungen, als Sie nämlich Musliminnen in Deutschland aufgefordert haben, das Kopftuch abzulegen.
Auch Frau Kelek hat Drohungen erhalten durch ihre publizistischen Arbeiten, die sie gerade in diesem Jahr veröffentlicht hat. Die Intendantin Kirsten Harms hat die Streichung der Oper mit Ihrer Verantwortung für ihr Ensemble und das Publikum begründet. Nach dieser Entscheidung wurde Sie an den Pranger gestellt regelrecht. Können Sie Frau Harms nicht auch aus ihrer persönlichen Sicht ein wenig verstehen?
Ates: Ja, selbstverständlich kann ich das verstehen. Vorhin sagte ich ja auch, in diesem Jahr hatten wir den Karikaturen-Streit und dann noch die Papst-Rede. Wir haben ja sehr vieles erlebt, wo wir gesehen haben, dass es ganz, ganz gefährlich ist. Und auch ich am eigenen Leibe: Ich bin ja zur Zeit keine Anwältin, weil ich diese Gefahr nicht mehr ertragen habe. Trotzdem ist es eine Frage, ob man als Gesellschaft nicht insgesamt reagiert. Ich denke schon, dass sie verantwortungsvoll gehandelt hat, wenn tatsächlich auch Anzeichen dafür da gewesen wären.
Nun kann es aber nicht sein, dass wir uns wirklich alle insgesamt zurückziehen. Ich ganz alleine in meiner privaten Kanzlei, das ist denke ich schon was anderes als so eine Oper. Also da hätte sie vielleicht doch ein bisschen mehr Hilfe einfordern können und sollen. Wir sollten nicht in jedem Bereich einknicken. Mein Einknicken und ihr Einknicken ist, denke ich, schon ein kleiner Unterschied.
Scholl: Frau Kelek, war diese Diskussion am Ende vielleicht sogar förderlich im Sinne von mehr Toleranz. In dieser ominösen Schlussszene konkretisiert sich ja gewissermaßen der Konflikt, wird da auf die Spitze getrieben. Und diese Debatte hat ja da vielleicht auch diesen Effekt erzeugt, oder?
Kelek: Ja, auf jeden Fall. Wir müssen jede Möglichkeit ausnutzen. Wie auch bei Seyran zum Beispiel, wie viel Solidarität sie erlebt hat, weil wir in der Öffentlichkeit auch über diese Situation so gut uns inhaltlich auseinandersetzen konnten. Wir müssen jede Möglichkeit ausnutzen, Gewalt und Religion zu thematisieren und zu diskutieren. Und leider ist es für mich immer noch so, dass die Religion, also der Islam, sich nicht öffentlich wirklich - vielleicht mündlich, aber nicht inhaltlich - von Gewalt so weit distanziert und wegen einer Karikatur oder wegen so einer Aufführung wieder wir über Gewalt uns Gedanken machen müssen und Angst haben müssen.
Je mehr wir in der Öffentlichkeit diskutieren und auch die muslimischen Vertreter darüber diskutieren und sich distanzieren, desto mehr wird auch denen, die sehr schnell gewaltbereit sind, die Möglichkeiten genommen, sich so zu verhalten. Ich finde, jede Möglichkeit ist für uns wichtig, um inhaltlich weiterzukommen, dass wir sagen, Religionen sind für Frieden da, Religionen sind für uns da, dass wir zusammenkommen, uns gegenseitig verstehen und nicht Angst haben müssen, auf die Straße zu gehen, weil wir unsere Meinung offen über Religionen aussprechen.
Scholl: Seyran Ates und Necla Kelek, ich danke Ihnen beiden für das Gespräch und ich wünsche Ihnen auch einen schönen Opernabend.
Kelek: Danke.
Ates: Hoffentlich.
Scholl: Ja, hoffentlich wird es so sein.
Kelek: Darf ich einen Satz noch dazu sagen? Also die Absage der Islamverbände finde ich wirklich sehr bedenklich, weil sie unterstreichen damit im Grunde genommen, dass die Intendantin vielleicht doch Recht hatte.
Scholl: Wir werden die Diskussion weiter führen. Erstmal Ihnen alles Gute. Heute Abend "Idomeneo" von Wolfgang Amadeus Mozart in der Deutschen Oper in Berlin.