Soziologin Harpreet Cholia

Die Tochter, die fliegen muss

34:20 Minuten
Eine Frau mit langen braunen Haaren und in roter Jacke sitzt vor einer Wand mit neonbunten Buchstaben und schaut in die Kamera.
Engagiert für Menschen, die Ausgrenzung und Gewalt erfahren: die Migrationsforscherin Harpreet Cholia © Katharina Dubno
Moderation: Susanne Führer · 13.07.2021
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Harpreet Cholia hat für ihre Dissertation die postmigrantische Clubszene Londons erforscht. Geboren als Tochter indischer Eltern in London, engagiert sie sich heute in Deutschland für ein würdevolles Leben aller Menschen.
Harpreet Cholia gehört zu den Menschen, die offenbar vom Schicksal eine Extraportion Energie zugeteilt bekommen haben. Vorsitzende des Hessischen Flüchtlingsrats, Dozentin für Soziale Arbeit an der Evangelischen Hochschule Darmstadt, Arbeit bei "Response", einer Beratungsstelle für Betroffene von rechter und rassistischer Gewalt, Bereichsleiterin für Diversität und Demokratie bei der Gemeinnützigen Frankfurter Frauen-Beschäftigungsgesellschaft (GFFB), Engagement für die Bildungsinitiative Ferhat Unvar und vieles mehr.*)
"Ich glaube sehr fest daran, dass jeder Mensch das Recht hat, in Würde zu leben und in einer gewaltfreieren Gesellschaft", sagt Cholia. "Ich bin selbst ein Mensch, der weiß, was rassistische Erfahrungen sind, auch physische Gewalt. Es war für mich immer wichtig, da anzusetzen, wo ich Menschen unterstützen kann."

Ausgerechnet Deutschland

Dass sie einmal in Deutschland landen würde war in keiner Weise vorherbestimmt. Harpreet Cholias Eltern zogen in den 1970er-Jahren von Indien nach London, wo sie in den Achtzigern geboren wurde. Über das Studium der Europawissenschaften landete sie beim Studiengang Britisch-Deutsche Kulturbeziehungen, verbrachte ein Jahr in Hamburg, verliebte sich in die Stadt und wusste: "Ich bin mit Deutschland nicht fertig."
Große Teile der Familie waren skeptisch. Warum ausgerechnet Deutschland? Harpreet Cholia konterte: "Ich will was Neues ausprobieren. Ich will meine Grenzen testen. Ich will eine neue Sprache lernen. Ich will einfach neue Kulturen kennenlernen."

Für eine solidarische Gesellschaft

Ihr Vater – "ein cooler Typ" – habe Verständnis gezeigt und gesagt: "Meine Tochter muss fliegen". Und auch die Mutter, die ihre Tochter am liebsten in der Nähe behalten hätte, habe schließlich nachgegeben: Ihre Tochter habe nun einmal einen starken Willen und wisse, was sie will.
Seit zwölf Jahren lebt die promovierte Soziologin nun in Frankfurt am Main, spricht mit Deutsch ihre vierte Sprache, neben Panjabi, Englisch und Französisch, und will nicht mehr weg. "Ich habe mein politisches Ich hier gefunden", sagt Cholia. "Hier kann ich das tun, was ich immer machen wollte: für eine solidarische Gesellschaft kämpfen."

Kräfte sammeln gegen den Rechtsruck

Nun, in der Coronazeit, hat Harpreet Cholia sich zum ersten Mal gefragt, wo ihre Grenzen liegen, wie sie ein wenig Pause machen kann. Den Vorsitz des Flüchtlingsrates wird sie demnächst abgeben, denn sie will sich fokussieren, Kräfte sammeln.
"Es brennt überall in der Welt gerade", sagt Cholia und meint den Rechtsruck: "Wir haben einen Marathon vor uns und viel zu tun."
(sf)
*) Anmerkung der Redaktion: Wir haben eine Tätigkeit von Harpreet Cholia ergänzt.
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