Soziologin Allmendinger über Corona und Geschlechtergerechtigkeit

Junge Mütter sind die größten Leidtragenden

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Illustration einer Frau Zuhause am Laptop, mit einem spieleden Kleinkind und einer schlafenden Katze auf dem Schreibtisch.
Nach dem ersten Lockdown habe man gesehen, dass Frauen viel schlechter wieder in den Arbeitsmarkt reingekommen seien, sagt Jutta Allmendinger. © Getty Images / iStock / Oleksandra Bezverkha
Jutta Allmendinger im Gespräch mit Dieter Kassel · 08.01.2021
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Wer kocht, wer putzt, wer arbeitet, wer versorgt die Kinder? Diese Frage beschäftigt Familien mit Beginn der Corona-Pandemie mehr denn je. Vor allem Mütter stecken eher zurück. "Das schleicht sich so ein", beklagt die Soziologin Jutta Allmendinger.
Dieter Kassel: Jutta Allmendinger, die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, hat schon zu Beginn der Pandemie öffentlich festgestellt, diese Krise werfe die Gleichstellung der Geschlechter um dreißig Jahre zurück. Dafür hat sie Zuspruch bekommen, es gab aber auch Kritik. Ungeachtet beider Fälle, sie bleibt dabei. Nächste Woche erscheint ihre Streitschrift "Es geht nur gemeinsam" und wir reden jetzt mit ihr im Rahmen unserer Denkfabrik zum Thema "Auf der Suche nach dem Wir". Dieses Wort Wir wird im Moment öffentlich fast schon inflationär gebraucht: Wir müssen zusammenhalten, wir können gemeinsam diese Krise bekämpfen, wir müssen das und das tun. Aber bedeutet dieses Wir dann oft für Frauen etwas anderes als für Männer?
Allmendinger: Na ja, dieses Wir – das zeigen die Untersuchungen von uns mit der Vermächtnis-Studie, die wir mit "Zeit" und infas durchgeführt haben – bezieht sich ja für die Menschen in Deutschland hauptsächlich auf die Familie und nicht auf Deutschland im Allgemeinen, das muss man zunächst einmal wissen. Von daher ist es wichtig, dass man Brücken zwischen den einzelnen Familien, Bekanntenkreisen beschreibt und die auch lebt, und das ist durch die Pandemie natürlich bedroht.
Was hat das für Frauen für Auswirkungen? Es gibt zunächst mal Frauen in ganz unterschiedlichen Positionen: Einmal jene, die vor Ort arbeiten müssen, das ist ein trennender Faktor zu jenen, die im Homeoffice sind. Es gibt einen trennenden Faktor zwischen Frauen, die schon etabliert sind, ihren Weg gehen und das vielleicht auch durch das Homeoffice gar nicht verlieren. Ich gehöre dazu, ich glaube nicht, dass ich jetzt große Einbußen im Einkommen oder Standing habe durch das Homeoffice, aber es gibt verdammt viele Frauen, die allemal schon im Homeoffice sind und jetzt weiterhin im Homeoffice sein werden. Und da ist dieses Wir schon ein verletztes Wir, wo wir sehen, dass diese Pandemie insbesondere für diese jungen Mütter entsetzlich ist. Die sind durch, wissen überhaupt nicht mehr, wann und wie sie schlafen sollen, wie sie die ganzen unterschiedlichen Herausforderungen von Homeschooling und natürlich Homeoffice parallel zu bewältigen haben.

Für Väter und Mütter ist es nicht dasselbe

Kassel: Nun sind natürlich inzwischen auch viele Väter im Homeoffice, betrifft die das nicht genauso?
Allmendinger: Nein, es betrifft sie nicht genauso. Die Väter – und das freut mich, da es ja immer viele, gerade wenn es gegen mich gerichtet ist, Reportagen gibt, die zeigen: Wir machen doch alles, wir sind doch auf den Spielplätzen. Aber schauen Sie doch mal, wer auf den Spielplätzen ist. Wenn wir über die Cognitive Load oder die Mental Load sprechen, dann ist das hauptsächlich bei Frauen, die die Organisation des Haushalts machen. Diese Verantwortung lässt sich eben nicht in Stunden und Sekunden berechnen, sondern ist eine ganz andere Dimension, auf die wir zu wenig schauen. Und wir schauen zu wenig darauf, dass Frauen durch die überwiegenden Teilzeitjobs, die sie machen, allemal schon viel mehr Sorgearbeit machen und gar nicht so viel Luft nach oben haben, das auch noch zu vergrößern, sodass diese proportionalen Zuwächse bei Männern mich leicht irritieren. So lügt man auch mit Statistik. Natürlich kann ich von dem Niedrigniveau aus proportional einen großen Fortschritt machen. Aber wenn ich schon hoch liege, sind natürlich Grenzlasten zu bezeichnen.
Kassel: Was mir vor allen Dingen aufgefallen ist bei diesen Zahlen, die man gelegentlich bekommt dazu, wie Männer sich um ihre eigenen Kinder kümmern, dass tatsächlich die Kinderbetreuung in Minuten gerechnet mit niedrigem Niveau, aber sie hat zugenommen. Aber ich finde dann immer daneben Zahlen, dass zum Beispiel die Wohnung putzen oder Kochen in der Regel gar nicht zugenommen haben.
Allmendinger: Nein, das hat nicht zugenommen. Wir haben auch gesehen, dass nach dem ersten Lockdown, wenn es zurück in die Erwerbsarbeit ging, Männer das ziemlich schnell wieder hinbekommen haben und die Zeit mit den Kindern drastisch zurückgegangen ist, während Frauen, die allemal mehr Erwerbsarbeit verloren haben, viel schlechter wieder in den Arbeitsmarkt reingekommen sind. Das hat eine Studie der Böckler-Stiftung gezeigt. Wir haben zunehmend mehr Informationen aus der Psychologie, die zeigen, dass diese ganzen Stressfaktoren bei Frauen unendlich viel größer sind. Bei Männern ist das mehr oder weniger eine Gerade, bei Frauen springt es nach oben. Das sind auch mal wichtige, auch aus der Wissenschaft kommende Erkenntnisse.

Quotenregelung zu Hause?

Kassel: Aber wenn wir jetzt über die berufliche Situation von Frauen reden, da kann man natürlich mit Quoten was machen. Das Bundeskabinett hat ja gerade erst vorgestern …
Allmendinger: Juhu!
Kassel: Juhu?
Allmendinger: Ja.
Kassel: Ich komme gerne auf diesen Gesetzesbeschluss und möchte einiges wissen. In der Familie kann man nicht mit Quotenregelungen arbeiten. Man kann nicht gesetzlich vorschreiben, Frau und Mann müssen die Hausarbeit fifty-fifty machen. Wir reden seit Jahren und je nach Alter auch Jahrzehnten mit jeweils anderen Leuten über dieses Thema. Wie kann sich das denn wirklich verändern?
Allmendinger: Ich habe ja ein sehr biografisches Buch geschrieben, wo ich auch meine eigenen Situationen dargestellt habe. Selbst bei mir, die ich jetzt schon mit einer Professur das Kind bekommen habe, waren diese Karotten niedrig gehängt, muss ich schon sagen. Selbst der wunderbare Vater meines wunderbaren Sohnes sagte dann: Pass mal auf, wenn du halbtags arbeitest, dann ist unser Haushaltseinkommen kaum niedriger. Das ist das Ehegattensplitting, welches da massiv zuschlägt, es ist die kostenlose Mitversicherung.
Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB)
Jutta Allmendinger beklagt: Zwei Monate Elternzeit für Väter reichen nicht aus.© Imago / Thomas Imo/photothek.net
Wir haben ja nach wie vor strukturell sehr viele Anreize, dass eine Person heruntergeht - und die eine Person ist so gut wie immer die Frau. Wir haben zwei Monate Elternzeit, die Väter nehmen, da sie ansonsten verfallen. Wir müssten da leicht auf vier Monate kommen können wie in anderen Ländern. Das heißt, wir können ganz andere Rahmenbedingungen schaffen, sodass Männer und Frauen das auch leben können, was sie doch beide wollen, und das ist doch super. Wenn wir sie befragen, bevor sie Kinder haben, dann sagen sie, wir wollen eine partnerschaftliche Familie haben, wir wollen es partnerschaftlich aufteilen. Das ist der Wunsch der Väter, das ist der Wunsch der Mütter. Und wenn man sie dann zwei Jahre später betrachtet, arbeitet der Mann wie zuvor und die Frau auf Teilzeit. Das schleicht sich so ein.
Wir müssen die Rahmenbedingungen ändern und wir müssen unseren Vorsätzen treu bleiben. Das heißt, immer wieder uns fragen, was hat das, was wir im Moment entscheiden, um den Status quo zu maximieren und es einfacher zu machen, in fünf, in zehn Jahren für Auswirkungen? Wie entwickeln sich dann Mann und Frau auseinander? Die wenigsten möchten das, und dann müssen sie danach leben.

Neue Vorbilder braucht die Frauenwelt

Kassel: Ich hab Ihnen konzentriert zugehört, musste mir aber Mühe geben, weil mir Ihr Juhu-Schrei nicht ganz aus dem Kopf wollte. Dieses Gesetz ist ja schön. Zum Beispiel muss selbst in Unternehmen, die einen Vorstand aus nur drei Leuten haben, jetzt mindestens eine Frau sein und je nach Art des Unternehmens und Größe auch noch mehr. Aber ich glaube das immer erst, wenn es passiert. Das würde in Zukunft bedeuten, dass sogar Strafzahlungen fällig werden, wenn da nur Männer im Vorstand sitzen. Könnten Sie sich nicht sogar vorstellen, dass das ein oder andere Unternehmen sagt, ich zahle sogar lieber Strafe, als da eine Frau reinzusetzen?
Allmendinger: Das werden wir sehen. Ich sage Ihnen, warum ich Juhu schrie. Ich arbeite an einem wunderbaren Wissenschaftszentrum in Berlin, und wir haben eine Bestandsaufnahme gemacht, was von dem Koalitionsvertrag alles durchgesetzt worden ist und was nicht. Wir haben festgestellt, dass ausgerechnet die Frauensache, die da einen kleinen Teil dargestellt hat, überhaupt nicht angegangen wird. Dann wurde zunächst mal gesagt, wir hatten Corona und jetzt anderes zu tun.
Aber wir konnten dann wirklich eine Koalition schmieden von Frauen auch aus anderen Sektoren. Da war eine Schriftstellerin dabei, da war jemand aus dem Sport dabei, und wir waren bei der Bundespressekonferenz und wir hatten das erste Mal Frauen über unterschiedliche Altersgruppen und unterschiedliche Sektoren hinweg solidarisiert und haben das gepusht. Von daher verzeihen Sie mir bitte mein Juhu, aber das war das erste Mal, dass ich da irgendwie aktivistisch tätig war als Wissenschaftlerin. Aber es ist natürlich für Frauen ganz wichtig, dass sie das sehen - und insbesondere für junge Frauen, für Mädchen, die in der Berufsbildungsphase sind und für die es nun andere Vorbilder gibt. Das zeigt die Literatur: Vorbilder, was sehen wir denn da draus, was kann ich werden, was kann ich mir zumuten, das ist ganz wichtig. Von daher kann ich nicht hoffen, dass die Unternehmen sich rauskaufen – das sehen wir auch bei der Schwerbehindertenquote.
Kassel: Daran habe ich auch gedacht, ehrlich gesagt.
Allmendinger: … oder bei Personen mit körperlichen Einschränkungen, psychischen, physischen Einschränkungen. Wir gehen jetzt erst mal nicht davon aus. Wir hatten den Unternehmen lange, lange Zeit gegeben, das von sich aus zu ändern, jetzt wird die Zielgröße null oft noch angegeben, also man möchte gar keine Frau. Ich glaube schon, dass das einen Druck ausübt. Ich bin Optimistin wie immer.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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