"Alle Sportarten sind anfällig für Doping"
Sogar für viele Hobbysportler ist Sport inzwischen zur Leistungsfalle geworden. Der Sportsoziologe und Leistungssportler Sascha Severin sieht Doping im Breitensport auf dem Vormarsch: "Schwerpunkt sind sicherlich die Ausdauersportarten, weil es da am meisten Sinn macht."
Jörg Degenhardt: Dr. Sascha Severin war früher selbst Leistungssportler, er war Triathlet, Basketballer und Radsportler und da Mitglied der Nationalmannschaft. Er hat sich mit dem „Neusser Modell" zudem einen Namen im Anti-Doping-Kampf gemacht. Heute sitzt er im Rathaus von Neuss und ist dort der Verantwortliche für Gesundheit und Sport. Können Sie eigentlich mit Sport-Apps etwas anfangen?
Sascha Severin: Für mich sind Sport-Apps Fluch und Segen zugleich. Segen in der Beziehung, wenn sie vernünftig eingesetzt werden, sprich als erweitertes Instrument zum Training, Betonung liegt auf erweitert, kann ich darin schon einen Nutzen sehen. Nur ist es halt so, dass Training nicht nur etwas mit Bewegung zu tun hat, sondern Training hängt von vielen anderen Faktoren ab, beispielsweise von einer gescheiten Pause. Man nennt das im Fachjargon Superkompensation: Die Zeit muss eben auch sein, und die hängt von vielen Dingen ab. Und das ist fraglich, ob das durch so eine App allein abgefragt werden kann.
Jörg Degenhardt: Ich glaube, das können die. Das kann auch die Apple Watch. Wir leben ja heute im biometrischen Zeitalter, muss man das nicht in Rechnung stellen? Gehört das nicht dazu?
Sascha Severin: Vitalparameter, da glaube ich schon, dass die das können. Aber das Ganze ist ja doch ein bisschen mehr als die Summe seiner Teile. Das heißt, ich habe noch so etwas wie eine mentale Erholung, ich habe einen Biorhythmus, und ich glaube, der wird durch diese Instrumente nicht abgedeckt.
Jörg Degenhardt: Jeder kann natürlich selbst entscheiden für sich, ob er sich dieser digitalen Hilfsmittel bedient, um seinen Fitnesszustand zu verbessern. Lassen Sie uns über die anderen Varianten reden, die möglicherweise ja auch mehr oder weniger bedenklich sind. Was bringen zum Beispiel dem Breitensportler Vitaminpräparate?
Sascha Severin: Das ist ein schwieriges Thema. Grundsätzlich geht es darum, dass man versucht, sich ausgewogen zu ernähren, das ist das Entscheidende. Vitaminpräparate kann angebracht sein in Phasen, wo ich nicht in der Lage bin, mich vernünftig zu ernähren, das sollte aber einfach die Ausnahme bedeuten. Natürlich gibt es noch andere Präparate, sogenannte Energieriegel, die können durchaus auch Sinn machen, beispielsweise im Wettkampf. Ich gebe mal als Beispiel, wenn ich bei einem Radrennen auf dem Rad sitze oder beim Triathlon, und ich fange dann bei Puls 180 an, mir eine Mandarine zu schälen oder ein Butterbrot auszupacken, damit gefährde ich zum einen die anderen, zum anderen ist es sicherlich nicht eine sonderlich komfortable Art, Nahrung aufzunehmen. Und da macht dann so ein Energieregel oder so ein Ergänzungspräparat schon Sinn. Aber grundsätzlich sollte ich darauf achten, wenn es nicht sein muss, dass ich mich weitestgehend ausgewogen ernähre.
Jörg Degenhardt: Leistungsfalle Sport, das ist unser Thema. Kommen wir zu den wirklich kritischen Mittelchen. Stichwort Doping: Welche Bereiche, welche Sportarten sind da im Freizeitbereich aus Ihrer Sicht besonders anfällig?
Sascha Severin: Ich finde das immer ganz schwierig. Ich glaube, dass alle Sportarten anfällig sind, weil alle Sportarten eins gemeinsam haben, das ist nämlich der Wettkampfcharakter. Sobald ich mich irgendwo im Wettbewerb befinde, geht es darum, dass ich mir auf irgendeine Art einen Vorteil verschaffe. Ein Vorteil kann sein, dass ich mir besseres Material zulege, das ist natürlich eine Frage der Geldbörse. Ein Vorteil kann auch sein, dass ich einfach genetisch besser geeignet bin als mein Nebenkämpfer, meine Nebenkämpferin. Ein Vorteil kann aber auch sein, dass ich mir irgendwelche Medikamente aus der Apotheke besorge, um meine Leistung in die Höhe zu schrauben.
Jörg Degenhardt: Oder um Schmerzen zu tilgen, die ich mir zugezogen habe bei einer Sportverletzung beispielsweise. Das ist doch dann nachvollziehbar und legitim.
Sascha Severin: Das sicherlich auch, das ist eine Möglichkeit. Da muss man auch gucken, wie sieht die Doping-Definition aus? Ich habe einmal das Doping, was eingesetzt wird, um meine Leistung zu steigern, also wirklich ein bewusstes Doping. Dann habe ich noch das Doping, was erst mal eingesetzt wird, um Schmerzen zu lindern. Wobei, da muss man auch gucken, was ist jetzt Doping? Ich glaube, landläufig wird Doping auch anders verstanden.
Jörg Degenhardt: Wo fängt denn Doping an und in welchen Sportarten? Radsport haben wir schon erwähnt, da ist das besonders häufig anzutreffen. Wo kann oder muss man das im Freizeit- und Breitensport vermuten zumindest?
Sascha Severin: Schwerpunkt sind sicherlich die Ausdauersportarten, weil es da am meisten Sinn macht. Aber ich sehe auch Mannschaftssportarten wie beispielsweise Fußball, Basketball, Handball, dort sehe ich Doping genauso vertreten wie in Ausdauersportarten. Und welche Mittel zum Einsatz kommen – im Breitensportbereich gehe ich davon aus, das sind Präparate, die man noch rezeptfrei in der Apotheke kaufen kann. Alles andere ist medizinisch wahrscheinlich einfach zu aufwändig.
Jörg Degenhardt: Oder im Internet zum Beispiel kann man sich wahrscheinlich auch das eine oder andere besorgen.
Sascha Severin: Richtig, genau. Im Internet werden Sie wahrscheinlich auch die Präparate erhalten, die dann eher in den High-End-Bereich fallen, also zum Beispiel Epo oder Wachstumshormone. Wobei es ist natürlich nicht nur damit getan, diese Präparate einzunehmen, sondern Sie brauchen auch natürlich eine gewisse Anleitung, also das ist schon nicht ganz unaufwändig.
Jörg Degenhardt: Sind Männer eigentlich verführbarer, wenn es darum geht, im Sport besonders viel Leistung zu bringen? Und sei es auch nur im Breitensport, wenn es darum geht, sich mit jemand zu messen und im Wettkampf mit dem die Nase vorn zu haben?
Sascha Severin: Gefühlt würde ich sagen, ja. Biochemisch deutet auch einiges darauf hin. Das hängt bei den Männern damit zusammen, dass sie Testosteron produzieren, das ist ein Hormon und das verstärkt das Verlangen nach intensiven Empfindungen. Das sagen zumindest Studien, die diesbezüglich angefertigt wurden. Das kann sicherlich eine mögliche Ursache sein, dass Männer eben risikobereiter sind.