Sozialprojekt "Brot am Haken"

Stullen, die von Herzen kommen

Roggenbrot mit Kräuterquark
Gutes Brot zum Frühstück - selbst das können sich viele Menschen oft nicht leisten. © imago / Chromorange
Michael Spitzenberger im Gespräch mit Dieter Kassel · 20.06.2018
Manchen Menschen fehlt das Geld, um sich regelmäßig gutes Brot leisten zu können. Das Münchner Projekt "Brot am Haken" ermuntert Bürger, beim Bäckerbesuch Gutscheine zu verschenken. Einfach um Freude zu bereiten, sagt Initiatior Michael Spitzenberger.
Dieter Kassel: Heute vergibt die Initiative "startsocial" ihre Preise für besonders interessante und aus ihrer Sicht förderungswürdige soziale Projekte. Sie werden, ich habe es vorhin schon erwähnt, von Angela Merkel übergeben, die ist die Schirmherrin dieses Projekts und damit auch des Wettbewerbs, und es könnte sein, dass Michael Spitzenberger aus ihren Händen einen Preis bekommt, denn er ist nominiert mit seinem Projekt "Brot am Haken". Schönen guten Morgen, Herr Spitzenberger!
Michael Spitzenberger: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Dieses Projekt, Ihr Projekt könnte genial sein, finde ich, denn ein Hinweis darauf ist, es ist extrem einfach, und das sind geniale Dinge ja häufig. Ich traue Ihnen zu, bitte tun Sie es, Sie können in zwei Sätzen erklären, worum es geht, oder?
Spitzenberger: Sehr gern. "Brot am Haken" widmet sich der Einfachheit. Wir haben den Claim "Einfach Freude schenken", und ein Geschenk ist für alle da.
Kassel: Das ist mir jetzt natürlich zu wenig konkret. Wieso Brot, wieso Haken?

Geber und Nehmer auf Augenhöhe

Spitzenberger: Brot, weil wir ja eine Brotkultur in Deutschland haben. Brot ist Teilen, Brot ist Freude, Brot ist Geschmack, ist Lebensgefühl. Warum Einfachheit? Weil jeder mitmachen kann, weil jeder sich das Geschenk vom Haken nehmen kann. Wir kontrollieren nicht, und das ist sehr sinnvoll, dass wir auf Augenhöhe von Gebern und Nehmern miteinander sprechen und kommunizieren.
Kassel: Also ganz konkret kann man in München inzwischen, glaube ich, in so rund 50 Geschäften, Bäckereien, Konditoreien und Ähnliches, hingehen und sagen, ich kauf mir ein Brot oder auch eine Brezel oder es darf ja, glaube ich, auch ein Stück Kuchen sein, wenn man das bevorzugt. Als Weiteres bezahle ich, aber ich kriege es nicht, sondern dafür gibt es eine Art Gutschein, der dann an dem namengebenden Haken hängt?
Spitzenberger: Richtig, genau. Und das ist der ganze Sinn. Das Wichtige bei uns ist der Gedanke hinter dem Geschenk, der da steckt, dass man wirklich an den anderen Menschen denkt und sagt, ich hab ein gutes Gefühl, ich denk an dich, ich freue mich, dass du dieses Geschenk annimmst. Setz dich hin, und fühl dich normal.

"Wir wollen eine Schenkkultur"

Kassel: Sie sagen immer, und ich glaube, das ist ganz bewusst, "geschenkt". Das heißt, Sie sehen das nicht unbedingt als Spende?
Spitzenberger: Nein, bewusst nicht. Was wir wollen, ist eine Schenkkultur wieder im Kleinen aufbauen, dass man einfach das Gefühl hat, ich möchte jemandem etwas schenken, egal, ob er jetzt bedürftig ist oder nicht bedürftig. Für uns ist ja per se erst mal die Frage, was heißt Bedürftigkeit? Wir denken sehr schnell in Form von Bedürftigkeit in Richtung monetärer Dinge, aber es gibt auch noch andere Formen der Bedürftigkeit. Es gibt einen Menschen, der gern geben will, und der ist auch bedürftig, weil er geben will.
Kassel: Und darüber hinaus nehme ich an, wenn es sich – ich hab das jetzt nicht ironisch gemeint mit Kuchen oder Croissant oder eben München-Brezel oder was auch immer. Es geht auch darum, dann die eventuell in dem Café verspeisen zu können und einfach mal wieder unter Leute zu kommen auf diese Art und Weise?
Brote im Regal der Brotmanufaktur Schmidt
Die Idee von "Brot am Haken": Wer Brot beim Bäcker kauft, kann dabei gleich einen fremden Menschen mit einem Gutschein beschenken.© Deutschlandradio / Andi Hörmann
Spitzenberger: Genau richtig. Es geht um ein normales Lebensgefühl, sich nicht abgehängt zu fühlen, nicht isoliert zu fühlen, sondern einfach eingeladen zu werden von einem Menschen, den man noch nicht kennt. Es ist aber in der Nachbarschaft, und das ist das Geniale, wie Sie gesagt haben, das Einfache, dass man weiß, man geht nicht zehn Kilometer in eine Bäckerei mit der Wahrscheinlichkeit, hängt da jetzt was an den Haken oder nicht, sondern es findet alles in der nächsten Umgebung statt.

Mit Grüßen und mit Herzchen

Kassel: Lernen die Leute sich dann eigentlich kennen? Wüsste ich jetzt zum Beispiel, dass ein gewisser Herr Schmidt mir ein Brot geschenkt hat?
Spitzenberger: "Brot am Haken" ist ja noch sehr jung, und wir geben der ganzen Sache auch viel Zeit. Aber es passiert zumindest in der Triade, dass ein Schenker, der die Verkäuferin fragt, ja, wer ist denn das, wer nimmt sich etwas vom Haken? Und da gibt es eine kleine Geschichte, eine berührende Geschichte, die die Verkäuferin zu erzählen hat, und irgendwann wird es auch passieren, dass Schenker und Beschenkter sich treffen oder sich austauschen. Es passiert schon in der Form, dass ein Schenker etwas auf diesen Bon schreibt, der ja trotz alledem recht anonym ist. Zum Beispiel kann da stehen "Von Michael für dich, hab einen schönen Tag, lass dir den Cappuccino schmecken, ich denke an dich", was auch immer. Oder ein kleines Herzchen. Das ist alles schon passiert.
Kassel: Mal ganz ehrlich, und ich habe volles Verständnis, wenn Sie dann keine Namen nennen, das möchte ich auch gar nicht, aber sind Sie auch an Geschäfte geraten in München, die gesagt haben, ich möchte das nicht machen?
Spitzenberger: Natürlich. Es ist ja wie immer im Leben. Man kann ja nicht jeden dazu einladen. Oder es gibt Geschäfte, die sagen, ich arbeite schon mit der Kirche zusammen oder ich mache andere soziale Dinge. Aber wer den Grundgedanken, den tiefen Sinn einer Schenkkultur versteht – also es passiert etwas, wenn während 30 Sekunden ein Hakenbrett verkauft wurde…, dass sofort erkannt wurde, dass das auch für das Ladengeschäft sehr sinnvoll ist, um einfach das Viertel dazu einzuladen, miteinander zu reden.

Stigmatisierte Menschen in den ersten Arbeitsmarkt holen

Kassel: Die Förderung durch "startsocial", so ist ja dieser Wettbewerb auch gemeint, soll Ihnen ja auch dabei helfen, das Ganze noch weiter auszubauen. Woran denken Sie da zunächst? In München noch mehr, und vielleicht auch ganz andere Geschäfte, oder eher was Bundesweites?
Spitzenberger: Mein persönlicher Gedanke ist immer, in die Tiefe zu gehen. München ist auch nicht so klein, im Vergleich zu Berlin natürlich, aber wir haben da noch viel vor. Wir beginnen auch mit kleinen Mikro-Praktika, um stigmatisierte Menschen aus dem dritten und zweiten Arbeitsmarkt in den ersten zu holen, um über "Brot am Haken" – "Brot am Haken" schafft Vertrauen in den Läden, schafft Vertrauen in den Vierteln. Und so können Menschen, die sich normalerweise outen müssen, auf eine ganz normale Art und Weise wieder ins Leben zurückkommen.
Kassel: Nun haben ja die Tafeln relativ nach ihrer Gründung angefangen, die Berechtigung zu überprüfen, die Bedürftigkeit. Andere sagen auch, wir müssen auch ein bisschen aufpassen in einer Kultur, die es ja gibt in Deutschland, einer Umsonst-Kultur, wo jeder sagt, warum was bezahlen, was ich auch umsonst haben kann, muss man das auch kontrollieren. Aber Sie kontrollieren das bewusst nicht. Wenn ich jetzt die Dreistigkeit besäße, in München in so ein Geschäft zu gehen und mir einen Cappuccino umsonst zu holen, müsste ich – und ich gebe zu, ich könnte es mir selbst in München auch selbst leisten –, müsste ich aber eigentlich nicht mit Ärger rechnen, oder?

Eine komplexe Angelegenheit

Spitzenberger: Nein, überhaupt nicht. Als wir ganz bewusst umgestellt haben, noch mal, vom Gedanken, das Geschenk ist für alle da, da sind auch die Verkäuferinnen sehr erleichtert gewesen, weil sie sagen, was ist Hilfsbedürftigkeit? Wann ist jemand bedürftig? Der nächste Schritt, die nächste Frage ist ja, wie viel darf er sich vom Haken nehmen, wenn drei Bons oder drei Geschenke am Haken sind, darf er sich eines nehmen oder darf er sich eingeladen fühlen, dass er alle nimmt? Es ist sehr komplex, und wenn man da anfängt zu überprüfen, zu kontrollieren, dann fällt diese ganze Vertrauensbasis in sich zusammen.
Kassel: Michael Spitzenberger über sein Projekt "Brot am Haken", das im Finale des Wettbewerbs von "startsocial" ist. Ich wünsche Ihnen viel Glück. Ich bin mal ganz vorsichtig – Aberglauben, wir wissen das ja alles noch nicht. Aber so oder so ist es ein tolles Projekt, und es geht weiter. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Spitzenberger: Ich danke, Herr Kassel! Schönen Tag noch!
Kassel: Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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