Sozialexperiment

Der mit den Hardlinern redet

Moderation: Susanne Führer · 11.02.2014
Für seinen Film "Iranien" lebte der regimekritische Regisseur Mehran Tamadon zwei Tage lang mit überzeugten Anhängern der iranischen Regierung in einem Haus. Im Interview erzählt er, was dabei passiert ist.
Susanne Führer: Der Film des iranisch-französischen Regisseurs Mehran Tamadon heißt kurz "Iranien", also "Iranisch". Er erzählt von einem Experiment der besonderen Art. Susanne Burg stellt den Film vor. Susanne Burg über den Film "Iranien" von Mehran Tamadon oder auch Tamadon, wie in seiner zweiten Heimat Frankreich gesagt wird. Ich habe den Regisseur gestern Nachmittag in unserem Berlinale-Studio getroffen und ihn gefragt, was er sich von diesem polit-psychologischen Experiment, also dem Zusammenleben von Strenggläubigen und Ungläubigen, von Gegnern und Anhängern der Islamischen Republik Iran, was er sich davon erhofft hat.
Mehran Tamadon: Man muss das Ganze als eine Art Recherche betrachten. Wenn man mit der Recherche anfängt, dann erwartet man nicht viel. Da war es schon ein großer Erfolg, Personen, die ganz anders denken, mit mir, mit jemandem, den sie als Feind betrachten, in einem Haus vor einer Kamera zu versammeln. Damit war schon mal ein Minimalkonsens gefunden, nämlich dass man miteinander spricht. Ich hänge die Latte sehr niedrig und kann mit sehr wenig zufrieden sein. In einer Gesellschaft, wo einem das Wort verweigert wird, ist das schon viel.
Führer: Die Verfechter des iranischen Regimes, also die sogenannten Verteidiger der Revolution, die sind zu viert, Sie sind allein. Und in den Diskussionen sind Ihnen die vier, besonders einer von ihnen, rhetorisch öfter überlegen. War das eigentlich bitter für Sie?
Tamadon: Zunächst dachte ich, da habe ich mich drei Jahre lang vorbereitet und komme jetzt nicht weiter. Ich suche aber etwas anderes. Ich spiele nicht Ping-Pong mit ihnen. Ich versuche, das Gespräch zu öffnen. Wenn ich nicht antworten kann, dann trifft mich das nicht. Ich finde das sogar interessant, nicht zu antworten. Mich hat das also weniger gestört als jemanden, der immer auf alles eine Antwort haben muss.
Führer: Warum finden Sie das nicht so wichtig, dass man immer die richtige Antwort hat? Weil vielleicht Argumente sowieso nichts ausrichten können?
"Man muss sich in den anderen hineinversetzen können"
Tamadon: Das Wichtigste ist doch, miteinander zu reden und auch zuhören zu können. Wenn ich eine andere Haltung gehabt hätte, wären die nicht mit mir gekommen. Ich wollte keinen Schlagabtausch. Die Iraner wollen das. Die erwarten, dass ich in den Ring steige, um mit ihnen zu boxen. Das mache ich nicht, und gelegentlich wirke ich sicherlich enttäuschend mit meinen Antworten. Das akzeptiere ich aber. Und das setze ich auch in Szene. Es ist keineswegs selbstverständlich, dass ich mich in dieser Situation so zeige, einfach sprachlos.
Führer: Zwei Tage sind ja sehr kurz, um eine Annäherung zwischen Menschen zu erreichen, die so verschiedene Auffassungen von der Welt haben. Im Film sieht man, dass gemeinsam etwas zu tun, also zum Beispiel kochen Sie ja zusammen und Sie essen zusammen, dass Sie dieses gemeinsame Tun eigentlich einander näher bringt als diese Diskussionen. Glauben Sie, dass vielleicht ein längeres Zusammenleben Sie und die Verteidiger des iranischen Regimes vielleicht noch näher gebracht hätte?
Tamadon: Ich habe zwei Tage mit ihnen gefilmt, aber seit zwölf Jahren lebe ich in diesem Milieu und mache seit 2001 Filme dort. Mein erster Film hieß "Mère de martyre", "Mutter des Märtyrers", der zweite handelte von der iranischen Miliz, und das ist jetzt der dritte Film. Seit zwölf Jahren lebe ich unter ihnen. Wir haben zwei Tage für den Film "Iranien" gedreht, bei "Basici" waren es 20 Tage, die ich mit ihnen an der irakischen Grenze verbracht habe. Wir haben zusammen gelebt. In der Küche, wir haben Fleischspieße zusammen gemacht, gefrühstückt – das eröffnet Spielräume. Nur in den Diskussionen kommt es zur Konfrontation, wobei die Diskussionen im Stehen anders ablaufen als beim Sitzen. Zum Beispiel beim Thema Abtreibung. Da ist die Hauptperson viel weniger aggressiv, als wenn sie sitzt. Auch beim Spießebraten akzeptiert er im Stehen mehr. Es ist also zum einen eine Frage der Position und andererseits der Handlung, ob wir uns näher kommen können.
Führer: Es gibt ein kleines Buch des israelischen Schriftstellers Amos Oz, das heißt "Wie man Fanatiker kuriert", und darin empfiehlt er unter anderem Sinn für Humor und die Fähigkeit, sich in den anderen hineinversetzen zu können. Was halten Sie davon?
Tamadon: Man muss sich in den anderen hineinversetzen können. Ich habe diese Erfahrung gemacht. Bei der Debatte über den Film wurde mir vorgeworfen, es sei frustrierend gewesen, da ich nicht immer geantwortet hätte. Ich aber habe mich in die anderen hineinversetzt und denke, die sind frustriert, weil sie glauben, sie hätten nicht die richtige Antwort gegeben. Man muss den Film sehen. Die Situation ist so oder so frustrierend. Wenn wir miteinander reden, sind wir immer frustriert, weil wir nicht alles sagen können. Man muss auch zuhören. Und fürs Zusammenleben ist es wichtig, Dinge zu akzeptieren, die man nicht akzeptiert hätte, wenn man alleine wäre. Ich versetze mich also in die Leute hinein, akzeptiere Dinge, um etwas zu ermöglichen.
"Nein, ich bereue nichts"
Führer: Zu Gast im Deutschlandradio Kultur ist der iranisch-französische Filmemacher Mehran Tamadon. Wir sprechen über seinen Film "Iranien", der hier auf der Berlinale Premiere hatte. Monsieur Tamadon, zu Beginn des Films sagen Sie, Sie träumen von einem Iran, in dem Menschen wie Sie einen Platz haben. Und dann machen Sie sich da noch auf die Suche, und am Ende des Films muss man wohl sagen, diesen Iran gibt es nicht, zumindest jetzt nicht.
Tamadon: Es ist richtig, dass wir in diesem Iran heute nicht existieren. Mit der Ausgestaltung des Filmsets wollte ich den Alltag, ein gemeinsames Leben inszenieren. Das war nur eine Hoffnung. Wenn ich den Raum in seinen Ursprungszustand zurückversetze, kommen weiße Mauern, kommt dieses leere Haus zum Vorschein. Das ist die Realität. Das liegt nicht nur am Regime, sondern auch an den Leuten. Viele wollen das nicht. Iraner aus dem Westen, Leute aus meinem Milieu haben mich gebeten, doch nicht solche Filme zu machen. Bei der Diskussion im Saal, im Kino, gab es Iraner, die sehr negativ reagiert haben, weil sie denken, dass ich bei dem Schlagabtausch im Boxring nicht als Sieger da stehe. Sie finden, ich sei zu passiv gewesen, hätte aggressiver sein sollen. Sie werfen mir vor, ich sei zu sehr ich selbst gewesen, hätte zugehört, eine Tür aufgestoßen. Ich will natürlich nicht verallgemeinern, aber viele sind durch mein Vorgehen irritiert.
Führer: Apropos Regime: Die Dreharbeiten waren schon schwierig. Sie sind vom Regime, von der Regierung behindert worden, und was nach dem Dreh passiert ist, noch schlimmer. Es wurde Ihnen gesagt, wenn Sie das nächste Mal in den Iran einreisen sollten, dann dürfen Sie ihn nie mehr verlassen, dann wird Ihnen der Pass abgenommen. Ihre Frau und ihre Kinder leben aber in Frankreich. Also ich habe mich dann gefragt, bereuen Sie vielleicht heute, diesen Film gemacht zu haben? Ist der Preis zu hoch, den Sie dafür zahlen müssen.
Tamadon: Es stimmt, dass mir gesagt wurde, wenn ich das nächste Mal in den Iran käme, würde mir der Pass bei der Einreise abgenommen, damit ich nicht wieder filme. Bereue ich, den Film gedreht zu haben? Sie hatten mir ja auch diesen Film verboten, und ich hab ihn trotzdem gedreht. Nein, ich bereue nichts. Man muss sich über Verbote hinwegsetzen, das gehört zum Filmemachen im Iran dazu. Es gibt immer Leute, die dagegen sind.
Führer: Das sagt der iranisch-französische Regisseur Mehran Tamadon. Wir haben über seinen Film "Iranien" gesprochen, der jetzt auf der Berlinale gezeigt wurde.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.