Sind wir auf dem Weg in die Scoring-Gesellschaft?
Wir vergeben Sternchen für Restaurants, in denen wir gegessen haben. Wir geben unsere Daten auf Facebook preis. Bereiten wir damit einer Kultur des permanenten Bewertens den Boden? Der Wirtschaftswissenschaftler Gert G. Wagner warnt vor einer sozialen Dynamik.
Sag mir, wo du wohnst – und ich sage dir, wie kreditwürdig du bist! Scoring bedeutet das Bewerten von Menschen mittels gesammelter Daten. Auch der Wohnort kann dazugehören, wenn meist geheime Algorithmen einen Score, also einen Wert, über uns errechnen.
Neben der Schufa gibt es noch viel mehr Auskunfteien und Unternehmen, die Daten über uns sammeln – oft ohne unser Wissen. Sie verkaufen den Score dann an potentielle Vermieter, Kreditgeber oder Verkäufer. Der Wert bedeutet dann für uns: Daumen hoch oder runter. Hierzulande bezieht sich das vor allem noch auf Geschäftsbeziehungen.
Messung des sozialen Kreditwertes
In China dagegen geht man weiter. Dort will man in einem Pilotprojekt Menschen auch im Hinblick auf ihre soziale Zuverlässigkeit, ihre Zahlungsfähigkeit oder ihr Gesundheitsverhalten bewerten. Bis zum Jahr 2020 könnte es soweit sein, dass jeder chinesische Bürger den sozialen Kreditwert eines anderen auf dem Smartphone einsehen kann. Der Wirtschaftswissenschaftler Gert G. Wagner, Mitglied im Sachverständigenrat für Verbraucherpolitik, warnt:
"Es könnte sein, dass wir ungewollt in das chinesische System hineinrutschen. Nämlich dadurch, dass es irgendwann nicht mehr möglich ist, freiwillig alle möglichen Informationen preiszugeben. Also dass man sich schon verdächtig macht, wenn man nicht bewertet und nicht zulässt, dass man selbst bewertet wird. Das ist die größte Gefahr, dass ungewollt ein sozialer Zwang entsteht, der nichts mit Gesetzen zu tun hat."
Zu viele schwarze Schafe
Scoring könne zwar die sogenannten schwarzen Schafe herausfiltern, es würden aber viel zu viele Leute zu schwarzen Schafen abgestempelt, sagt der Wissenschaftler, der auch Fellow am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung ist.
Andererseits würden viele Menschen eine Software wie das Notrufsystem eCall im Auto begrüßen, dass ab März von den Autoherstellern in jeden Neuwagen eingebaut wird, sagt Wagner. Die Software meldet nach einem Unfall Informationen weiter. Leute, die unvorsichtig fahren, müssten unter Umständen dann mehr für die Versicherung zahlen. Sein abschließendes Fazit:
"Das Ganze ist sehr, sehr zweischneidig. Die meisten werden sagen: Noch mehr Scoring will ich nicht! Aber in bestimmten Bereichen werden das trotzdem sehr viele für vernünftig halten und da gibt es kein richtig oder falsch. Eine offene Diskussion ist wichtig."
(Cosa)