Wird das Auto zur Datenschleuder?
Ab März müssen Autohersteller in jeden Neuwagen eine Software einbauen, die bei Unfällen automatisch den Rettungsdienst alarmiert. Klingt erstmal gut – ruft aber Datenschützer wie Thilo Weichert auf den Plan. Denn damit drohe der gläserne Autofahrer
Ute Welty: Es klingt ungeheuer sinnvoll, was da im Laufe des Jahres Realität werden soll: Ab März sind alle Autobauer verpflichtet, in jedes neue Pkw-Modell und auch bei neuen und leichten Nutzfahrzeugen einen automatischen Notruf einzubauen. eCall soll dann bei einem schweren Unfall eben automatisch den Rettungsdienst alarmieren sowie über die Position des Autos und die letzte Fahrtrichtung informieren. Ziel ist es, den Zeitraum zwischen einem Unfall und dem Eintreffen der Rettungskräfte auf ein Minimum zu reduzieren. So weit die Vorteile. Und, Sie ahnen es schon, eCall hat auch Nachteile, und die bespreche ich jetzt mit Thilo Weichert, bis 2015 Datenschutzbeauftragter in Schleswig-Holstein und inzwischen tätig für das Netzwerk Datenschutzexpertise. Und er sitzt im Vorstand der Deutschen Vereinigung für Datenschutz. Guten Morgen, Herr Weichert!
Thilo Weichert: Ich grüße Sie!
Welty: Auf welche Systeme wird eCall zugreifen? Denn die notwendigen Daten für einen solchen Notruf, die fallen ja nicht vom Himmel.
Weichert: Nein, die fallen nicht vom Himmel, sondern die werden im Auto gespeichert, zum Beispiel, wenn die Unfallangaben festgestellt werden durch das Auto, dann wird also ein automatischer Notruf an eine Leitstelle gesendet, und dieser Notruf löst dann sofort eine entsprechende Notrufveranlassung bei der Feuerwehr oder insbesondere beim Roten Kreuz aus, die dann sofort zu dem Auto dazukommen können.
Bei höherpreisigen Modellen ist eCall bereits Realität
Welty: Und dass es gekracht hat, das merkt das Auto beispielsweise daran, dass der Airbag aufgegangen ist?
Weichert: Airbag ist eine Geschichte, oder man kann es auch manuell auslösen, wenn man also feststellt, dass man eine Panne hat oder dass man irgendwelche Probleme im Auto hat, kann man also auf einen Notknopf drücken, und das führt dann auch dazu, dass die Leitstelle informiert wird, und führt außerdem dazu, dass eine Tonleitung zur Leitstelle hergestellt wird mit der Konsequenz, dass dann also auch ein Gespräch zwischen der Leitstelle und dem Autoführer durchgeführt werden kann.
Welty: Wie verbreitet ist diese Technologie bereits?
Weichert: Die Technologie gibt es schon in vielen höherpreisigen Autos, und zwar insbesondere auch im deutschen Markt zum Beispiel bei BMW, bei Audi oder bei Mercedes. Sie wird dann aber von den Herstellern angeboten. Und ab April dieses Jahres muss es in jedes Auto, also auch in niederpreisige Autos dann eingebaut werden.
Welty: Ob März oder April, auf jeden Fall im Frühjahr. Wer hat denn Zugriff auf die Daten, und wem gehören sie?
Weichert: Die Daten sind zweckgebunden, das heißt, die Daten werden nicht für irgendwelche anderen Zwecke verwendet, sondern ausschließlich für die Leitstelle, das heißt also für die Feuerwehr oder für die Polizei.
Schnittstelle zwischen Auto und Internet kann missbraucht werden
Welty: Wer garantiert das?
Weichert: Das steht so im Gesetz, und das muss auch gewährleistet werden durch die Anwender. Wenn das rauskommen würde, ich glaube, das wäre ein ziemlicher Skandal.
Welty: Reicht das denn, was da an gesetzlichen Vorschriften, an gesetzlichen Regelungen existiert, oder besteht Ihrer Meinung nach noch Nachbesserungsbedarf?
Weichert: Die gesetzlichen Regelungen selbst sind absolut okay. Die wurden auch mit Datenschützern abgesprochen. Das Problem bei eCall ist, dass eine Schnittstelle zwischen dem Auto und dem Internet hergestellt wird, und diese Schnittstelle dann auch für andere Zwecke, das ist sogar explizit so geplant, genutzt werden kann.
Das heißt also, die Internetanbieter, die Kfz-Hersteller oder auch Anbieter von irgendwelchen Werbemaßnahmen, die können dann diese Schnittstelle verwenden, um Navigationsdienste zu verwenden, um einen Internetverbindung aufzubauen oder um zum Beispiel Werbung anzuzeigen. Und das ist im Prinzip das große Problem. eCall selbst baut eine Verbindung nur auf, wenn also tatsächlich ein Unfall passiert oder eben der Notfallknopf ausgelöst wurde. Aber mit dieser Schnittstelle kann zum Beispiel auch das Auto täglich oder sekündlich verfolgt werden.
Es droht der transparente und gläserne Autofahrer
Welty: Inwieweit hat sich der Gesetzgeber da schon Gedanken drüber gemacht?
Weichert: Darüber gibt es natürlich eine Vielzahl von Überlegungen, aber das ist etwas, was jetzt nicht in eCall geregelt ist, sondern das sind die allgemeinen Datenschutzregelungen, und das wird dann praktisch über ganz allgemeine Geschäftsbedingungen geregelt, die also dann auch zum Beispiel heute schon mit Internetbetreibern existieren. Und da haben wir als Datenschützer die große Angst, dass also ähnlich wie Google, Facebook, Apple dann wahnsinnig viele Daten speichern, also dass das Auto zur Datenschleuder wird und dadurch dann im Prinzip wirklich der Autofahrer transparent und gläsern wird.
Welty: Haben Sie den Eindruck, dass der Gesetzgeber permanent von den technischen Möglichkeiten überholt wird und praktisch hinterherläuft?
Weichert: Im konkreten Fall würde ich das nicht sagen. Es geht mit diesem eCall-Gesetz eher darum, die Technologie voranzubringen im Kfz. Hintergrund ist auch, dass eben das Auto immer mehr elektronisiert, automatisiert werden soll. Eine Idee ist dann auch, das Auto eben fürs autonome Fahren, fürs automatisierte Fahren fertig zu kriegen oder es zu schaffen, dass also dann so was möglich ist. Und dafür ist es dann natürlich notwendig, dass sekündlich und die ganze Zeit eine Verbindung zum Internet hergestellt wird.
Welty: eCall kommt, das automatische Notrufsystem fürs Auto. Aber es braucht eine gesellschaftliche Debatte über die Konsequenzen, und es braucht einen entsprechenden gesetzlichen Rahmen. Das sagt Datenschutzexperte Thilo Weichert im Gespräch mit "Studio 9". Herr Weichert, haben Sie herzlichen Dank!
Weichert: Gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.