Wenn die Überwachten den Spieß umdrehen
Weltweit zücken Menschen immer öfter ihr Handy, um Maßnahmen der Staatsgewalt zu dokumentieren. Dank eingebauter Smartphone-Kamera ist es einfach wie nie - und per Facebook oder YouTube können Filmer und Fotografen Millionen Menschen daran teilhaben lassen.
Aus den neuen Möglichkeiten, den Mächtigen auf die Finger zu schauen, ist längst eine Bewegung gegen Überwachung geworden. Sousveillance - so genannte Gegen-Überwachung - betreiben sowohl Demonstranten, die die Polizei filmen, als auch Künstler und Aktivisten, die etwa Spionen der NSA ein Gesicht geben. Rechenschaft einfordern, Machtmissbrauch sichtbar machen, eine Art Waffengleichheit herstellen - das sind die Ziele von Sousveillance. Doch lässt sich das weitreichende Misstrauen, das Überwachung sät, mit gleichen Waffen schlagen?
Komplettes Sendungsmanuskript:
M.C. McGrath: "Ich möchte euch ein paar Leute vorstellen, die uns gerade überwachen. Das etwa ist Garret Di Pietro. Er lebt in Denver, in diesem Haus."
(Publikum lacht)
"Er ist ein ziemlich normaler Typ. Er hat, wie ihr hier seht, Kinder, eine Familie"
M.C. McGrath gibt den Überwachern ein Gesicht: Wenn der junge Programmierer – wie etwa vergangenes Jahr auf der Netz-Konferenz Republica in Berlin – seine Spion-Suchmaschine präsentiert, hat er die Lacher auf seiner Seite. Aus öffentlichen Profilen des Job-Netzwerks LinkedIn hat der 22 Jahre alte US-Amerikaner eine Datenbank namens IC Watch geschaffen, mit der sich die Agenten - etwa des Geheimdiensts NSA - zurücküberwachen lassen: Gezielt lässt sich IC Watch nach Namen, Einsatzorten oder Tätigkeitsbereichen durchforsten.
Wer in die Suchmaske etwa "Germany", für Deutschland, eingibt, bekommt knapp 6000 Treffer angezeigt. Vor allem US-Geheimdienstmitarbeiter tauchen auf, betont McGrath, den ich einem Hackerspace – einem Treffpunkt für Computerfreaks - im Berliner Wedding treffe:
"In den USA ist die meiste Überwachung mittlerweile an private Firmen ausgelagert. Agenten müssten mit ihren Qualifikationen auch öffentlich werben, um Jobs zu bekommen."
Das Überwachen der Überwacher
Im Internet preisen sich Militärgeheimdienstler mit Erfahrung im Irak und Afghanistan gewinnend lächelnd als "gesellig, freundlich und hilfsbereit" an. Man sieht Spione beim Grillen im Garten oder beim Ausflug in den Alpen. Zeigt das "Überwachen der Überwacher" via Internet mehr als die "Banalität des Beobachters"? Unbedingt, sagt M.C. McGrath – und gibt behände einen Namen in die Suchmaske ein. Einen Klick später erscheint das Bild einer jungen Frau mit Strickmütze und wachem Blick.
"Diese Frau nutzt Informationen, die wohl auch unter Folter gewonnen worden sind. Sie bestimmt damit, wer von US-Drohnen getötet werden soll. Wie sie arbeiten eine Menge an Leuten mit an den sogenannten 'kill or capture'-Listen, auf denen die Ziele von Drohnenangriffen stehen."
Es gehe ihm darum, sagt M.C. McGrath, dass sich Geheimdienst-Mitarbeiter dafür verantworten müssen, was sie tun:
"Es handelt sich bei unseren Geheimdienstlern um eine sehr verschwiegene Gruppe, die nicht einmal unseren Senats-Ausschüssen ausreichend Rechenschaft darüber ablegt, was sie genau machen. Aber sie hinterlassen Datenspuren – und denen können wir folgen, und so nachvollziehen, wer wann was wo getan hat. Das sind Informationen, die letztlich auch als Beweis vor Gericht dienen können, wenn es darum geht, wer - etwa bei einer rechtlich fragwürdigen Drohnen-Tötung - genau die Verantwortung trägt."
Dass Überwachte den Spieß umdrehen und ihrerseits den Überwachern in Politik und Sicherheitsbehörden auf die Finger schauen – dafür hat der US-Amerikanische Professor Steve Mann den Begriff der "Sousveillance" geprägt. Das Kunstwort, das sich aus dem englischen "Surveillance" - für Überwachung – und dem französischen Wort "sous" für "unter" ableitet, lässt sich wörtlich in etwa mit "Unterwachung" übersetzen. Als massenhafte Praxis etablierte sich die "Überwachung von unten" in den weltweiten sozialen Protesten ab 2008.
Ob auf dem "Tahir" in Ägypten oder bei den Platzbesetzungen der "indignados" in Spanien – stets sehen sich Sicherheitskräfte in brenzligen Situationen von einer Schar von Demonstranten umringt, die den Einsatz mit ihren Mobiltelefonen filmen. Mit der massenhaften Verbreitung von Smartphones und der zunehmenden Vernetzung aller Lebensbereiche sind die Möglichkeiten für Sousveillance geradezu explodiert. "Unterwacher" nehmen auf digitale Art und Weise ihre Bürgerrechte wahr, sagt
Selbstermächtigung mit dem Smartphone
Arne Hintz. Er forscht an der Uni Cardiff zu "digital citizenship" - also dazu, wie Menschen mit modernen Medien ihre Bürgerrechte wahrnehmen können:
"Die Tools, die es gibt, die verschiedenen Möglichkeiten über Smartphones, über Digitalkameras, über Blogs und so weiter, die haben natürlich diesen Teil von Sousveillance und der 'digital citizenship' enorm beeinflusst und ermöglicht: Selbst aktiv zu werden, digitale Bürgerrechte zu nutzen, selbst zu analysieren und auch journalistisch tätig zu werden – auch der Bürgerjournalismus ist in dieser Hinsicht ja ein Teil von Sousveillance."
Das Smartphone kann so zum Werkzeug für eine Selbstermächtigung der Bürger werden, betont Hintz. Zwar führe die Allgegenwart von Kameras im Handy wie auch zur Überwachung im öffentlichen Raum bei vielen einerseits zu einer Abstumpfung, auch Resignation gegenüber dem dauernden Gefilmt- und Fotografiertwerden. Andererseits provoziert sie Manchen aber auch geradezu zum Handeln: Der Reflex, sich gegen die Dauerbeobachtung zu wehren, die Kamera auch einmal gegen die Überwacher und ihre Kameras zu richten – er sitzt lockerer:
"Es gibt natürlich immer wieder Aktionen, speziell gegen Überwachungskameras, manchmal sogar Sabotageaktionen In der Regel vor allem mehr spaßige Aktionen, Straßentheater, wo das Thema der Überwachungskameras thematisiert wird."
Mutige Spionforscher mit Humor
"In Griesheim haben sich mutige Bürger zusammengefunden, um auf das Thema aufmerksam zu machen. Sie wollen nicht ganz ernst genommen werden, aber ihre Gegner müssen sie ernst nehmen. Also: Wenn sie auch ein Problem mit der Überwachung haben und auch einmal in Griesheim sind, fragen Sie doch nach dem 'NSA Spion Schutzbund'!" (Youtube-Video NSA Spion Schutzbund)
Daniel Bangert: "Ein Untensil der Spionforscher ist hier eine selbstgebastelte Spionforscher-Kamera. Besteht aus einem Schuhkarton, schwarz lackiert, mit roten Buchstaben. Einmal NSA-TV, und auf der anderen Seite Spy-TV: einer angeklebten Bierdose und einem Holzstiel. Wir treffen uns hier jeden Samstag, um zu den Spionen zu Spazieren und das örtliche Spiongehege zu begutachten. Wir laufen jetzt zum NSA-Außenposten zwischen Griesheim und Darmstadt. Das ist laut Spiegel die wichtigste NSA-Einrichtung in Europa."
Teilnehmer am Spion-Beobachtungs-Spaziergang: "Ich bin öfters hier, um aufzuzeigen, dass hier beobachtet wird. Die Politik macht nix dagegen, und schaut einfach nur zu. Und deswegen schauen wir einfach nur zu, was hier passiert."
Der Griesheimer Daniel Bangert und sein österreichischer Freund Flo machen einen Spaziergang zum "Spion-Gehege". Auslöser für diese Erkundungsspaziergänge mit Gleichgesinnten waren die sogenannten Snowden-Enthüllungen" vor drei Jahren. Als damals der Ex-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden aufdeckte, dass die NSA von Menschen weltweit umfassend Daten sammelt, ihnen bis in den letzten Winkel der Privatsphäre nachschnüffelt, ihre Grundrechte verletzt, empörte dies auch Daniel Bangert. Der damals 28-jährige Informatiker verfasste einen Aufruf auf Facebook: Er lud dazu ein, "gemeinsam den bedrohten Lebensraum der NSA-Spione zu erforschen".
Spontane Guerilla-Aktion mit Erfolg
Die spontan angekündigte Guerilla-Aktion fand überraschend großen Anklang: 80 Personen marschierten mit Bangert zum "Dagger-Komplex", einem tristen Gelände mit Baracken, Lüftungsrohren und Antennen auf freiem Feld. Bald bekamen die Medien Wind von Bangerts Aktion, überregionale Zeitungen und Fernsehsender berichteten. Zum zweiten Spaziergang kamen fast 500 Teilnehmer, die mit Bollerwagen, Bier und Musik vor die Tore des NSA-Geländes zogen.
Es gab dort Musik - und ein Picknick: Auch in der Hoffnung, der köstliche Duft der Nahrungsmittel möge vielleicht sogar einen scheuen Spion "aus seinem Bau" locken. Die Spion-Expeditionen begleitet Bangert stets bewaffnet mit einer Digitalkamera, manchmal lässt er auch eine Drohne steigen. Die spontihaften Gegenspionage-Expeditionen brachten dem "NSA Spion Schutzbund" überregionale Bekanntheit – und Initiator Bangert einen Besuch des Staatsschutzes ein. Der ganz große Rummel um die Spion-Spaziergänge ist mittlerweile abgeflaut, erzählt Flo:
"Auch wenn heute nicht viele dabei sind: Es wird schon relativ viel beobachtet, aus Zeitungen und im Internet. Da holen sich die Leute schon Informationen. Und sie wissen, dass jeden Samstag hier jemand vor der Tür ist."
Subversiver Foto-Wettbewerb
Um die Aufmerksamkeit für die Geheimdienst-Schnüffler vor der eigenen Haustür aufrechtzuerhalten, werden die Ergebnisse der Beobachter-Touren ausführlich im Internet dokumentiert: Was geschieht im Gehege? Werden Radarstationen ab- oder aufgebaut; wer fährt hinein, wer fährt hinaus? Der Dagger-Komplex ist auch Teil der Bilder-Sammlung des Foto-Künstlers und Aktivisten Trevor Paglen. Paglen lobte einen Wettbewerb aus, für den Hobby-Fotografen "Landschaften der Überwachung" in Deutschland in den Blick nehmen sollten:
"Ich wollte schon lange Fotos von NSA-Einrichtungen in Deutschland machen, und hatte mir auch schon einige angeschaut. Dort hängen überall Schilder am Zaun: "Fotografieren verboten". Das ist unrechtmäßig! Solang du dich auf öffentlichen Grund befindest, darfst du deine Bilder machen. Ich wusste aber von meiner Arbeit in den USA: Wenn du trotzdem Fotos machst, kommen die Sicherheitsleute, die Polizei nimmt deine Personalien auf, du hast stundenlange Diskussionen. Da dachte ich mir: Wir sollten das Militär schulen darin, dass es absolut legal ist solche Bilder zu machen. Lasst uns einen Fotowettbewerb veranstalten, um jedermann daran zu gewöhnen, solche Bilder zu machen"
Mit seinen Fotos geheimer Stützpunkten von CIA und NSA erregte Trevor Paglen weltweit Aufmerksamkeit. Mit einem extrem starken Teleobjektiv schaffte er es etwa, eine dutzende Kilometer entfernte, in einem Wald verborgene Abhörstation abzulichten. Er wolle helfen, neu sehen zu lernen, sagt Paglen:
"Diese militärischen Überwachungseinrichtungen sind allgegenwärtig. Aber normalerweise richten wir unsere Aufmerksamkeit nicht darauf. Wenn wir das doch tun, sehen wir Landschaften auf eine ganz andere Art und Weise"
Paglen überflog mit einem Hubschrauber das NSA-Hauptquartier Fort Meade im US-Bundesstaat Maryland:
"Über die NSA-Zentrale darfst du nur mit einer Sondergenehmigung fliegen. Ich hatte ein wenig Angst, dass sie mich abschießen - jede Flugbewegung wird von ihren Sicherheitssystemen per Laser erfasst. Ich habe es trotzdem gemacht: Es ist mein Beitrag zur visuellen Kultur unserer Zeit. Ja, ich fühle mich fast zu diesem Dienst an der Öffentlichkeit verpflichtet"
Das Unsichtbare sichtbar machen
Um das Unsichtbare sichtbar zu machen, wagt Paglen, der in New York und Berlin lebt, auch ungewöhnliche Expeditionen. Im Dezember tauchte er zu einem zentralen Transatlantik-Kabel, durch das ein Großteil des Internetverkehrs zwischen Europa und den USA läuft – und das die NSA mit Sensoren und einem speziellen Spionage-U-Boot abhört. Doch Paglen nimmt nicht nur die Tiefen des Meeres in den Blick. Auch in den Himmel richtete der US-Fotograf seine Objektive bereits:
"Künstler bilden seit Tausenden von Jahren den Himmel ab. Was zeichnet nun den Himmel im Jahr 2016 aus? Der Himmel heutzutage ist voll mit elektromagnetischen Wellen der Radarstationen. Eine Menge Spionage-Satelliten sind dort unterwegs – und Drohnen. Die Mittel der Kunst erlauben es, das sichtbar zu machen."
Paglens vielleicht spektakulärste Arbeit dokumentiert das Buch "Torture Taxi". Darin werden die sogenannten Folter-Flüge der CIA aufgedeckt. Er enthüllte – in Zusammenarbeit mit dem investigativen Journalisten A.C. Thompson - dass die CIA Terrorverdächtige in Foltergefängnisse weltweit entführt und wie sie dabei mit privaten Unternehmen zusammenarbeitet. Gemeinsam studierten sie die Routenpläne kleiner Fluggesellschaften, die im Auftrag von Tarnfirmen an abgelegene Orte flogen.
Eine Gemeinschaftsarbeit, die die Grenzen der Kunst – und des autonomen Künstlers – überschreitet:
"Manche Künstler geben sich gern sehr distanziert. Das ist nicht mein Ding. Wenn du etwas zu unserer Gesellschaft beitragen kannst: Teile es! Sei großzügig! Ich arbeite auch mit Anwälten von Opfern und Menschenrechtsanwälten zusammen. Für mich gibt es keine scharfe Trennlinie zwischen Künstler und Aktivist."
Eine App zur Überwachung der New Yorker Polizei
Um die Routen geheimer Folter-Flüge nachzuvollziehen, arbeiteten Paglen und Thompson mit sogenannten Plane-Spottern zusammen, die als Hobby Flugzeuge mit der Kamera verfolgen. Die digitale Vernetzung ermöglicht solche neuen Allianzen der Unterwachung: Statt dem Orwellschen "Big Brother", der auf alles ein Auge hat, heißt es nun "Small brother is watching you". Viele solcher "kleinen Brüder" haben etwa in New York die Polizei im Blick: Mittels der App "Stop and frisk" melden sie es, wenn Polizisten willkürlich Schwarze und Latinos anhalten und durchsuchen. Nutzer der App können dann ihre Behandlung durch die Polizei bewerten und diskutieren. Auch Filmaufnahmen können damit an die Bürgerrechtsorganisation ACLU übertragen werden - die dann eventuellen Fällen von Diskriminierung und Polizeigewalt nachgeht. Besonders in Ländern, in denen demokratische Kontrolle nicht – oder nur unzureichend funktioniert, kann Sousveillance als Korrektiv der Mächtigen dienen, glaubt der Wissenschaftler Arne Hintz:
"Es gibt ne ganze Menge Zusammenarbeit und Vernetzung, die nicht unter das Stichwort 'Sousveillance' fällt. Das, was Bürgerjournalisten da machen in China, was Blogger da machen – das können wir als Teil von Sousveillance sicher sehen. Da gibt es eine große Bloggerbewegung, die zum Teil auch die Arbeit investigativer Journalisten übernommen haben, die schon einiges an Korruption aufgedeckt haben und den Herrschenden, den Politikern oder den herrschenden Eliten auf die Finger gucken Und da gab es einiges an Korruptionsfällen in den letzten Jahren, die von Bloggern aufgedeckt wurden."
Politische Teilhabe bedeutet heute digitales Beobachten – und Einschreiten, wenn etwas nicht richtig läuft: so zumindest die These von Michael Schudson. Der amerikanische Soziologe spricht in diesem Zusammenhang vom "monitorial citizen" - dem überwachenden Bürger. Ein aktiver Bürger zu sein – das heißt laut Schudson, ständig als "Unterwacher" ein Auge auf seine Politik zu haben.
Der US-Programmierer M.C. McGrath, der nun einem "Transparency Toolkit" einem Transparenz-Werkzeugkasten zur Kontrolle von Geheimdiensten und der Aufdeckung von Menschenrechtsverletzungen arbeitet, denkt diese Idee in globalem Maßstab weiter:
"Mein Ziel auf lange Sicht ist es, eine Art globaler Gemeinschaft zu etablieren, die es jedermann erlaubt, solche Mächte überall auf der Welt zu kontrollieren. Das wäre wohl eine effektivere Kontrolle der Geheimdienste, als wir sie jetzt haben"
Ein Unterwacher in Aktion
Daniel Bangert: "Military Area, amerikanische Streitkräfte, betreten verboten – innerhalb dieses Bereiches ist es verboten, zu filmen und zu fotografieren. Aber wenn man draußen steht, geht das alles in Ordnung. Eigentlich fotografiere ich immer so da drunter. Also, vorher war der Sichtschutz nicht so gut, da konnte man durch den Sichtschutz fotografieren. Das geht jetzt nicht mehr. Jetzt muss man sich immer bücken....oh, oh! Da ist wohl Action im Fitnessstudio!
Mein Fotoapparat, wo ist denn der? Entweder es ist gleich das Fenster zu, oder ich kriege ihn.
Ich fotografiere einen Spion im Fitnessstudio! Ansonsten fotografiere ich immer die Kennzeichen, und habe privat so für mich eine Kennzeichendatenbank angelegt, eine Forschungsdatenbank, und versuche immer bei öffentlichen Veranstaltungen die Leute zu motivieren, es mir gleich zu tun. Nicht veröffentlichen, weil das ist strafbar! Einfach nur für sich selbst zu sammeln – und dann könnte man einen Abgleich machen. Und dann könnte man so ne Deutschlandkarte nehmen, und so n Spinnennetz drauf malen: Verbindungen, von da nach da waren Autos unterwegs. Das würde die bestimmt mächtig ärgern, wenn man Bewegungsprofile von ihnen hätte!"
Daniel Bangert und seine Mitstreiter teilen weniger brisante Erkenntnisse und offene Forschungsfragen ihrer Expeditionen zu den Spionen bereitwillig im Internet. Welche Einheiten sind auf dem Griesheimer NSA-Stützpunkt stationiert? Welche Rolle spielt der Dagger-Komplex beim Drohnen-Krieg der USA?
Oft finden sich in den "Forschungsberichten" Aufrufe, weiter zu recherchieren. Jeder soll – und kann – Teil der Sousveillance werden. Wo Whistleblower früher – technisch bedingt – nur Zugang zu einer begrenzten Anzahl an Dokumenten hatten, können sie heute mithilfe kleiner Datenträger oder Webserver Millionen Dokumente an die Öffentlichkeit bringen, sagt Arne Hintz:
"Da gibt es ja jetzt mit den ganzen Whistleblower-Fällen, von WikiLeaks über Snowden, Panama-Papers und so weiter. Das waren ja keine Sonderfälle: Leute, die zufällig mal zu diesen ganzen Daten Zugriff hatten. Sondern im Fall von Chelsea Manning war es ja so, dass der einer von zwei Millionen Menschen war, glaub ich, die Zugang zu den Dokumenten über den Irakkrieg und den Afghanistan-Krieg hatten. Und insofern ist das natürlich auch eine Herausforderung für staatliche Behörden bezüglich der Informationskontrolle."
Herausforderung für staatliche Informationskontrolle
Hintz erzählt vom Insider-Threat-Programm in den USA, mit dem Whistleblower schneller entdeckt werden sollen. Mitarbeiter öffentlicher Behörden sollen sich dafür gegenseitig überwachen:
"Und diese Versuche der Informationskontrolle und der Kampf darüber, wie Informationen kontrolliert werden können oder andererseits der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden können: Das ist eine interessante Dynamik auch sicher im Bezug auf Überwachung, zwischen Surveillance und Sousveillance.
Auf welche Informationen hat der wachsame und mündige Bürger Anspruch? Welche sollten mit gutem Grund unter Verschluss bleiben? Die Veröffentlichung geheimer Dokumente auf WikiLeaks gefährde Menschenleben, kritisierte die US-Regierung 2011. In den Dokumenten aus den Kriegen im Irak und Afghanistan tauchten die vollen Namen von Informanten und Quellen auf - was dieses zur Zielscheibe mache. In Deutschland gerieten mehrere anonyme Plattformen zur Aufdeckung wissenschaftlicher Plagiate in die Kritik – sie könnten sich in ein perfides Werkzeug für Rufmord verwandeln, warnte ein Professor. In China kam es zu Todesdrohungen und Lynchmobs gegen korrupte Politiker: Online–Communities hatten gemeinschaftlich Informationen über bestechliche Funktionäre zusammentragen und diese an den Pranger gestellt.
Der US-Hacker M.C. McGrath wird nachdenklich, wenn man ihn auf die Schärfe seiner Transparenz-Werkzeuge anspricht:
"Es ist interessant: Mit meiner Spion-Suchmaschine bin ich in die gleichen ethischen Konflikte geraten, vor denen sonst die Überwacher stehen. Die Geheimdienstler sind sauer, wenn sie in meiner Datensammlung auftauchen. Etliche haben mich am Telefon beschimpft, es gab Todesdrohungen: Nimm mich raus, sonst passiert dir etwas! Dabei habe ich nur Daten verknüpft, die ohnehin öffentlich im Netz stehen. Manche Daten führen allerdings in die irre, wenn man sie nicht im Kontext betrachtet."
Es gehe ihm nicht um einen digitalen Pranger, betont der junge Programmierer:
"Ich will anhand der Daten verstehen: Warum tun diese Geheimdienstmitarbeiter das, was sie tun? Die meisten handeln in guter Absicht. Eigentlich will ich mit Agenten in Kontakt kommen. Ich würde mit ihnen reden, versuchen, ihnen Alternativen aufzuzeigen. So könnten wir mithelfen, eine Institution wie die NSA von innen heraus zu verändern."
McGrath klickt auf ein Job-Profil von ICWatch. Das Bild zeigt einen Ex-Geheimdienstmitarbeiter, der nun als Auto-Verkäufer arbeitet. Ein Aussteiger?
"Dieser Mann hatte zuvor eine externe Überprüfung der Datensammlungs-Praxis der NSA angeregt. Möglicherweise ist er ausgestiegen, weil er den Job nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbaren konnte."
Verhängnisvolle Dynamik bei Demonstrationen
Es ist nicht immer legitim, alle Daten zu veröffentlichen, glaubt McGrath. Nur weil man zurücküberwachen kann, hat man nicht automatisch das Recht auf seiner Seite. Für den Wissenschaftler Peter Ullrich, der schwerpunktmäßig an der TU Berlin zu Surveillance Studies und Videoüberwachung forscht, ist die dank digitaler Werkzeuge allgegenwärtige Möglichkeit für Sousveillance ein zweischneidiges Schwert. Besonders auf Demonstrationen hat Ullrich eine verhängnisvolle Dynamik zwischen Überwachern und Unterwachern beobachtet:
"Da ist es eher so, dass diese polizeiliche Dauerüberwachung einen Motor für einen verstärkten Konflikt darstellt. Und dann werden so Prozesse in Gang gesetzt, die sich dann wiederum gegenseitig verstärken: Dann gibt es, das hat mal jemand genannt 'die Spirale von Überwachung und Gegenüberwachung', die aber letztendlich dazu führt, dass immer mehr Daten entstehen, dass immer mehr gefilmt wird. Also ist damit eine Spirale losgetreten. Das geht eher in eine Richtung der gegenseitigen Aufstachelung, eine Spirale der Aggression."
Daniel Bangert: "Dann hab ich mich zirka zehn Meter entfernt, und wollte ein Foto machen – und dann ist es hat total eskaliert. Die wollten nicht fotografiert werden: Persönlichkeitsrechte."
Daniel Bangert berichtet von einer Polizeikontrolle, die aus dem Ruder lief.
"Hab ich gesagt: Er steht ja neben mir, wenn ich jetzt fotografiere, ist er auf keinen Fall drauf. Dann wollte er die Kamera haben. 'Kamera her, Kamera her!' Das hab ich halt nicht gemacht. Dann hieß es 'Hände auf den Rücken!'. Dann hat er versucht, mir die Hände auf den Rücken zu drehen und dann war ich am Boden. Dann haben sie Verstärkung geholt, und saßen zu dritt auf mir. Irgendwann hab ich dann aufgegeben. Und zum dank gab es dann auch noch ne Ladung Pfefferspray ins Gesicht."
Drohende Atmosphäre des gegenseitigen Belauerns
Führt das wechselseitige Beobachten zu einer Atmosphäre des gegenseitigen Belauerns, das sich bis zu Gewalt hochschaukeln kann? Zumindest für die aufgeheizte Atmosphäre bei einer Demo scheint dies manchmal zu gelten. Gewalt, zumindest massives Misstrauen zwischen Überwachern und Überwachten kann die Folge sein, sagt der Wissenschaftler Peter Ullrich.
Wenn sich die Überwacher massiv gegenseitig überwachen - blockieren sie sich dann irgendwann gegenseitig? Wenn sich die Beobachter gegenseitig beobachten – und dabei von kritischen Bürgern beobachtet werden, irgendwann also jeder jeden überwacht: Wäre die allgegenwärtige Über- und Unterwachung dann vielleicht in ein "gutes" Gleichgewicht zu bringen? Die Sozialwissenschaftler Arne Hintz und Peter Ullrich glauben dies:
Arne Hintz: "In der Wissenschaft wird da ja über 'Veillance' diskutiert: Darüber, ob sich Surveillance und Sousveillance vielleicht ausgleichen könnten. Ich finde das eher fraglich – wenn man sieht, welche Ressourcen für die Internetüberwachung da sind, welche Mengen an Daten da gesammelt werden: Das ist schon eine ziemliche Ungleichheit. Ausgleichen kann man das zum gegenwärtigen Zeitpunkt überhaupt nicht."
Peter Ullrich: "Auf Demos ist das so: Die Polizei ist in der Regel durch exzessives Datensammeln immer in der besseren Situation – wenn es zu Gerichtsverfahren kommt. Und kann dann aus ihrer Sicht auch entsprechende Darstellungen von Entwicklungen geben. Was nicht unbedingt objektivere Darstellungen sind. Und das ist ja auch ein konkretes Risiko für Demonstrierende."
Der Staat verfolgt keinen künstlerischen Zweck
Es ist nicht nur dieses Macht-Ungleichtgewicht zwischen Überwachern und Gegen-Überwachern, das den Aktivisten und Fotokünstler Trevor Paglen in dieser Diskussion stört. Die Sousveillance des "normalen" Bürgers, sagt Paglen, sei von seiner Qualität her etwas völlig anderes als Surveillance, die ein Staat ausübt.
Wenn er Bürger auch in Deutschland dazu aufrufe Überwachungseinrichtungen der NSA und des BND zu fotografieren, dann stecke dahinter kein künstlerischer oder aktivistischer Selbstzweck, betont Paglen:
"Wir müssen lernen, auf unseren Rechten zu beharren. Denn wenn du deine Rechte nicht in Anspruch nimmst, dann verschwinden sie nach und nach. Es ist wie mit unseren Muskeln: Wir müssen sie regelmäßig benutzen, damit sie stark bleiben."
Sousveillance-Aktionen von Künstlern wie Trevor Paglen oder Aktivisten wie Daniel Bangert könnte man demnach auch als Symptom sehen: Dafür, dass die Kontrolle der demokratischen Institutionen versagt. Sie richten die Aufmerksamkeit auf Missstände, mit denen sich die Öffentlichkeit mittlerweile abzufinden scheint.
Bangert wendet seine Ohnmacht angesichts der NSA-Überwacher vor seiner Haustür ins Absurd-Komische: Nachdem er zum Fotografieren den Zaun erklommen, einen Spion und ein paar Autos fotografiert hat, die das Gelände verlassen, hat der Sicherheitsdienst schließlich die US-Militärpolizei verständigt:
"Und da kommt gerade die Militärpolizei....Foto machen!
Hey Bro´s!
Jetzt stehen die hier und gucken uns zu, wie wir uns unterhalten. Die stehen jetzt rum, bis wir wieder gehen.
Ich wär ja dafür, sie mit unserem Spion-Futtermittel zu ködern. Wir können versuchen, sie mit Erdnüssen zu füttern. Hast du echt alle gegessen? Du bist so ein Idiot! Unser Spion-Futtermittel wurde aufgebraucht! Jetzt sind wir angeschmiert, und können die Spione nicht mehr herauslocken."
Hey Bro´s!
Jetzt stehen die hier und gucken uns zu, wie wir uns unterhalten. Die stehen jetzt rum, bis wir wieder gehen.
Ich wär ja dafür, sie mit unserem Spion-Futtermittel zu ködern. Wir können versuchen, sie mit Erdnüssen zu füttern. Hast du echt alle gegessen? Du bist so ein Idiot! Unser Spion-Futtermittel wurde aufgebraucht! Jetzt sind wir angeschmiert, und können die Spione nicht mehr herauslocken."
Direkte Kontaktaufnahme klappt nicht immer
Die direkte Kontaktaufnahme mit den Überwachern und ihren Bewachern - den "Gehegewärtern", wie Bangert sie nennt – sie wird an diesem Nachmittag scheitern. Doch der NSA-Spion-Schutzbund wird auch am nächsten Samstag wieder zu einem Beobachtungs-Spaziergang in Richtung Dagger-Komplex aufbrechen.
Denn Überwachung, sagt Bangert, betreffe mehr denn je jeden: Nicht nur, wer ein Smartphone besitze, sei im Visier. Auch die Gesundheitskarte, und Kontobewegungen würden überwacht. Die Aufmerksamkeit dafür will Bangert mit seinen Beobachtungs-Spaziergängen aufrechterhalten, weitere kreative Aktionen seien geplant, um Nachahmer zu aktivieren:
"Ich finde das Kacke und versuche, denen nach meinen Möglichkeiten ein bisschen auf die Nerven zu gehen. Und das mit dem Dokumentieren und Forschung betreiben – es war immer so ein Ziel von mir, dass die Leute das einfach nachmachen. Das muss nicht hier in Griesheim sein. Einfach jeden, den das nervt mit dieser Überwachung, der es nicht gut findet – dass der von sich aus hingeht - egal wo, wo auch immer."