"Sound of the Cities"

Per Plattenspieler durch die Welt

US-Präsident Barack Obama singt "Sweet home Chicago" bei einem Konzertabend im Weißen Haus, beifällig verfolgt von Blues-Legende B. B. King (rechts)
US-Präsident Barack Obama singt "Sweet home Chicago" bei einem Konzertabend im Weißen Haus, beifällig verfolgt von Blues-Legende B. B. King (rechts) © dpa / picture alliance / Pete Souza
Philipp Krohn im Gespräch mit Vivian Perkovic · 28.07.2015
Das Buch "Sound of the Cities" beschreibt Amerika als Land der unbegrenzten musikalischen Möglichkeiten, behandelt aber auch andere Orte, die vorkommen: Blues, Punk, House und Post-Rock sind nur vier der vielen Stilarten, die Ko-Autor Philipp Krohn beleuchtet.
Vivian Perkovic: "The Sound of the Cities" von Ole Löding und Philipp Krohn, das klingt wie: Bevor die ernsthafte Karriere losgeht, machen wir uns noch mal locker und leben unseren Journalistentraum. Musikgeschichte da anhören und leben oder nacherleben, wo sie entstanden ist. Also sind Löding und Krohn in 24 Städte und eine Provinz gefahren, haben 160 Musiker und Musikzusammenhängende interviewt und 500 Songs zusammengesucht, die versuchen zu illustrieren, warum manches Musikgenre gerade in dieser oder in jener Stadt entstanden ist und was das genau beeinflusst hat.
Daraus ist das Buch "Sound of the Cities" geworden, und daraus ist unsere Sommerserie "Sound of the Cities" entstanden. Wir picken zehn der 24 Städte, also 24 Städte und eine Provinz heraus und deren Musik. Später hören Sie das Porträt über Chicago, aber erst mal gibt es noch einige Fragen, die glücklicherweise einer der Autoren, Philipp Krohn, jetzt beantworten kann. 24 Städte, eine Provinz und die dazugehörige Musik oder daraus entstandene Musik – wonach haben Sie diese Orte ausgesucht?
Philipp Krohn: Wir haben begonnen im Sommer 2013, zunächst mal eine Liste aufzustellen, und haben versucht, diesen interessanten Musikstädten Musiker zuzuordnen. Wir haben natürlich geträumt, wir haben natürlich angefangen, erst mal zu überlegen, wie kann man so eine Stadt in den Griff bekommen, was für Leute müsste man da eigentlich sprechen. Und dann haben wir diese Listen versucht von oben abzuarbeiten und hatten die Prominentesten angedacht, die wir gerne sprechen würden. Und natürlich hat das nicht alles geklappt, und wir haben, glaube ich, insgesamt 400 Musiker und Musiksachverständige angefragt und haben am Ende 160 Interviews tatsächlich realisieren können. Aber das zeigt schon, dass wir halt auch eine Menge von Musikern begeistern konnten für die Idee, die das interessant fanden, über ihre Stadt zu reden. Und das hat man dann auch hinterher in den Interviews gemerkt, dass das für die eben einen großen Stellenwert auch hatte, auch über ihre Herkunft zu sprechen und über ihre Einflüsse und den weiteren Gang der Musik, die sie selbst erschaffen haben.
Wie archäologische Ausgrabungen
Perkovic: Aber um Musik in einer Stadt – das ist doch wie archäologische Ausgrabungen, da vermischt sich ja auch in der Stadt über die Zeit eines mit dem anderen, legt sich übereinander. Wie haben Sie sich denn durch die Musik in der jeweiligen Stadt orientiert? Nehmen wir mal Chicago. Also, das steht sowohl für House, aber auch für Punk – woher weiß man dann, was da das Prägendste ist?
Krohn: Ja, das ist natürlich tatsächlich schwierig. Wir haben versucht, einfach erst mal anhand dieser Liste zu gucken, was sind denn die bedeutenden Musikströmungen in diesen Städten, und haben dann versucht, Gesprächspartner zu gewinnen, die jeweils für diese Strömung stehen, exemplarisch, und haben eben in jeder Stadt versucht, und in Chicago ist es dann eben die Blues-Musik, die elektrifizierte, die da entstanden ist, House-Musik, wo wir leider keinen Gesprächspartner finden konnten, der uns Auskunft gegeben hat, aber eben auch Post-Punkmusik, aber auch Post-Rockmusik. Und da haben wir dann auch viele Gesprächspartner finden können, die uns bereitwillig Auskunft gegeben haben.
Wenn sie dann erzählt haben, dann konnte man auch sehr schnell herausfinden, das sind jetzt die Vorbilder, über die möchten die eigentlich gern sprechen, dass die für sie eine Inspiration waren. Und so haben wir uns dann eigentlich durch die Musikgeschichte dieser Städte gehangelt. Es war uns wichtig, dass wir immer über verschiedene Generationen erzählt haben. Wir haben also versucht, eigentlich immer jemanden aus den 60er-Jahren, aus der Frühphase der Rockmusik zu finden. Dann aus den 70er-Jahren jemand, der so ein bisschen mehr Punk-beeinflusst war, und dann eben zu gucken, welches sind denn die modernen Strömungen in den Städten und wer könnte dafür exemplarisch etwas erzählen.
Künstlerseelen in spannenden Stadtteilen
Perkovic: Also das jetzt mal von der formellen Arbeit an diesem Projekt. Aber jetzt mal zum Ergebnis. Sie haben ja einen wahnsinnigen Schatz gesammelt. Was für Muster haben Sie erkannt, also wann wird eine lokale Struktur der richtige Boden für aufregende Musik?
Krohn: Was man sagen kann, ist, meistens finden diese Musikinnovationen statt in sehr spannenden Stadtteilen, in denen sich viele, viele Künstlerseelen zusammenfinden, die dann im Austausch miteinander irgendetwas Interessantes erschaffen. Das ist auch der Grund, warum wir daran geglaubt haben, dass Städte so bedeutend sind. Dass eben da das Zusammenkommen von verschiedenen Strömungen ist, dass da Mode zusammenkommt, dass da vielleicht literarische Ideen zusammenkommen, dass da musikalische Innovation und auch die Produktionsmöglichkeiten, die man natürlich dort vorfinden muss, also Studios, Agenturen, Produzenten, die Musikindustrie. All das zusammen ergibt dann das Amalgam, das man braucht, damit spannende neue Musik entstehen kann.
Perkovic: Also habe ich das richtig verstanden? Sie sagen, spannende Stadtteile heißt, da, wo die Armen, Betrunkenen, Drogensüchtigen leben, die da ihre Freiheit leben, aber auch, wo es andere Stadtteile gibt, wo die, wenn sie was geschaffen haben, ihre Musik produzieren können in einem Studio und wo sie auch die Infrastruktur haben, dass das in die Welt hinaus verteilt wird?
Krohn: Klar. Die Stadt zeichnet sich dadurch aus, dass es eben diese Nähe gibt von den etablierten und eher kommerziellen Verwertungsmechanismen und gleichzeitig auch den kreativen Köpfen, die ja meistens nicht in den wohlhabenden Stadtteilen wohnen, sondern in den Stadtteilen, in denen sie sich leisten können zu leben, in denen sie Freiräume finden dafür, neue gewagte Experimente auszuprobieren.
"Die alte Kultur steht vor großen Herausforderungen"
Perkovic: Zum Schluss jetzt noch ein Blick in die Zukunft oder auch in die Gegenwart. Es ist ja klar, dass Städte als Zentren für bestimmte kulturelle Bewegungen Kristallisationsorte waren, Sie haben es ja gerade auch beschrieben. Aber seit Musikhypes im Internet passieren, was für eine Bedeutung haben momentan noch lokale Szenen, und wie wichtig werden Städte überhaupt noch sein?
Krohn: Wir haben uns diese Frage praktisch in jedem Kapitel auch gestellt. Wir sind immer wieder zu dem Punkt gekommen, dass natürlich durch die Digitalisierung und das starke Leben und die Austauschmöglichkeiten, die es im Internet gibt, da diese alte Kultur vor große Herausforderungen gestellt ist. Und andererseits haben wir noch einen weiteren Aspekt identifiziert, der sehr, sehr wichtig ist, nämlich die Gentrifizierung, die in vielen Metropolen fortschreitet, wodurch es immer schwieriger wird, sich diese Freiräume, von denen ich gesprochen habe, um Experimente auszuprobieren, auch tatsächlich zu finden. Diese zwei Effekte sind tatsächlich ganz neue Entwicklungen, die bedeutend sind für die Rolle von Städten künftig.
Wir haben aber sehr viele Gesprächspartner gefunden, die sagten, der physische Austausch, die physische Begegnung, ist doch immer noch das entscheidende Schmiermittel, um kreative Prozesse in Gang zu bekommen. Also haben wir eigentlich uns auf die Prognose verständigt, wir glauben, dass Städte weiterhin von großer Bedeutung sein werden, auch wenn sich ihre Rolle vielleicht etwas ändert. Es wird nicht mehr so sehr auf diese Infrastruktur wie Plattenstudios ankommen, sondern es wird weiterhin darauf ankommen, dass sich eben Künstler miteinander verbinden können, und da ist die Gentrifizierung aus unserer Sicht, also die fortschreitende Aufwertung von Stadtteilen, in denen die Wohnungen immer teurer werden, das ist gerade etwas, was natürlich für künstlerischen Austausch sehr, sehr bedeutsam und schwierig ist, weil natürlich Künstler meistens gerade auch unter den heutigen Bedingungen der Musikindustrie nicht unbedingt solche sind, die gleich mit viel Geld starten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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