Sondierungsgespräche

Wer spricht für wen?

04:40 Minuten
Gefaltetes Wahrsage-Origami in den Farben rot, gelb und grün.
Eine Ampel-Koalition könnte dafür sorgen, dass unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen gehör in der Politik finden, meint Laura-Kristine Krause. © imago / fStopImages / Alexandra C.Ribeiro
Überlegungen von Laura-Kristine Krause · 13.10.2021
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Wenn sich SPD, FDP und Grüne zu Sondierungen treffen, verhandeln dabei auch Vertreter bestimmter Milieus. Wer miteinander spricht und wer nicht, ist von Bedeutung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, meint Laura-Kristine Krause, vom Think Tank „More in Common“.
"Sprecht doch einmal miteinander" – das ist privat immer ein guter Ratschlag und auch gesellschaftlich ist es wichtig, miteinander zu sprechen, idealerweise über gesellschaftliche Trennlinien hinweg. Beim Versuch, diese zu verstehen und klarer zu sehen, haben wir in unserer Forschung bei More in Common deshalb sechs gesellschaftliche Typen identifiziert – Wertemilieus, die alle eine eigene Perspektive auf Gesellschaft haben: die Offenen, die Involvierten, die Etablierten, die Pragmatischen, die Enttäuschten und die Wütenden. Für den Zusammenhalt wäre es wichtig, dass sie miteinander sprechen.


Im politischen Berlin wird aktuell noch mehr als sonst miteinander gesprochen und in verschiedenen Konstellationen sondiert und vielleicht auch bald koaliert. Doch wer spricht – gesellschaftlich gesprochen – eigentlich miteinander in den Sondierungsgesprächen? Wer hat die Ampelparteien hauptsächlich gewählt und wer hat bei den Sondierungsgesprächen vielleicht keine Vertretung am Tisch?
Diese Frage ist in Zeiten des brüchigen Vertrauens in Politik und Demokratie nicht trivial. Aus Umfragen ist bekannt, dass sich viele Menschen nicht ausreichend von der Politik gehört fühlen. In einer kürzlich von uns und der Robert Bosch Stiftung veröffentlichten Studie zu Demokratieeinstellungen sagen nur 51 Prozent der Befragten in Deutschland, dass sie sich politisch in ihren Ansichten gut vertreten fühlen.

Eine Ampel-Koalition eröffnet Möglichkeiten

Überraschenderweise könnte die für das Erreichen einer politischen Mehrheit nötig gewordene Dreier-Konstellation in den Verhandlungen nun dafür sorgen, dass recht unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen gut abgedeckt sind. Allerdings nur in dieser Kombination: SPD, Grüne und FDP.
Denn eine Regierung ohne die SPD – etwa eine Jamaika-Koalition – hätte einen ausgeprägten "Westdrall": FDP, Grüne und auch CDU/CSU schöpfen ihre Wahlergebnisse überdurchschnittlich aus westdeutschen Wahlkreisen, die Grünen sind zudem fast nur in den Städten wirklich stark. Im Gegensatz dazu schneidet die SPD zum ersten Mal seit Langem im Osten wie im Westen ähnlich gut ab, die Menschen im Osten machten sie vielerorts sogar zur stärksten Kraft.

FDP – der Shootingstar bei den Jungen

FDP und Grüne wiederum können zwar nicht unbedingt mit einer regionalen Breitenwirkung punkten, dafür bringen sie enorme Wählerunterstützung der jüngeren Generationen mit. Die Große Koalition wäre vor allem ein Wählerbündnis von Menschen über 60, bei Jüngeren fällt die Unterstützung für SPD und CDU deutlich schwächer aus. Grün und Gelb sind dagegen auch bei Wählern unter 50 stark und zur Überraschung vieler mit jeweils 23 Prozent die meistgewählten Parteien der Erstwählenden. Für die vielerorts eingeforderte Zukunftsgestaltung und das Anhören der jüngeren Generationen ist das eine gute Nachricht.
Trotzdem darf der Blick auf Wählerwanderungen und -Präferenzen über zwei Dinge nicht hinwegtäuschen: Erstens gibt es zu viele Menschen, die in den Datensätzen der Forschungsinstitute nicht auftauchen, etwa weil sie freiwillig oder unfreiwillig nicht gewählt haben. So haben wir bei More in Common das sogenannte "Unsichtbare Drittel" identifiziert.

Was für den gesellschaftlichen Zusammenhalt wichtig ist

Bei ihm findet sich die Hälfte der Nichtwähler und rund 30 Prozent von ihnen sagen, dass sie gar nicht wissen, wen sie wählen sollen. Zudem sind die Menschen im Unsichtbaren Drittel häufiger einsam und fühlen sich weniger unterstützt – sie bleiben also im Sinne des Wortes gesellschaftlich oft unsichtbar. Bei ihnen muss jede neue Bundesregierung Aufbauarbeit betreiben. Mit den hohen AfD-Werten in einigen Teilen Ostdeutschlands kann die Politik ebenfalls nicht zufrieden sein.
Und zweitens leben in Deutschland ca. 20 Millionen Menschen, die gar nicht wählen dürfen, entweder weil sie zu jung sind oder trotz dauerhaftem Aufenthalt kein Wahlrecht haben. Für den Zusammenhalt sind aber auch sie wichtig, weshalb bei allen Farbenspielen für jede Bundesregierung vor allem eins gilt:
Sie muss sich immer den Interessen der Bevölkerung als Ganzes verpflichtet fühlen und eben nicht nur denjenigen Menschen, die sie jeweils gewählt haben oder die besonders laut sind, wie z.B. die Offenen und die Wütenden. Das ist die Idee unserer Demokratie. Daran ändert auch keine frische Dreierkoalition etwas. Man muss es also schaffen – Sie ahnen es – dass alle miteinander im Gespräch bleiben.

Laura-Kristine Krause ist Gründungsgeschäftsführerin von "More in Common" Deutschland, einer Initiative für gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den USA. Sie studierte Staats- und Politikwissenschaften in Passau, Berlin und Seattle und ist Mitautorin zahlreicher Studien zum Zustand der deutschen Gesellschaft.

Eine junge Frau mit halblangen Haaren lächelt in die Kamera.
© Paula Faraco
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