Solo-Selbständige in Deutschland

Die Einzelkämpfer

Zeichnung einer Frau, die raucht und nachts vor ihrem Computer sitzt.
Eine Frau sitzt nachts rauchend vor ihrem Computer und arbeitet. © imago/Ikon Images
Von Wolf-Sören Treusch · 12.06.2018
Solo-Selbständige gibt es in vielen Branchen: Volkshochschullehrer etwa, Programmierer oder Haushaltshilfe. Ihr Vorteil ist, dass sie nicht an einen einzelnen Arbeitgeber gebunden sind. Nicht wenige nehmen dafür aber prekäre Verhältnisse in Kauf.
"Ich war immer schon solo-selbstständig. Es geht mal besser, mal schlechter."
"Vollzeit arbeiten, und zwischendrin fühle ich mich wie eine Studentin."
"Ich weiß, wenn ich arbeite, geht es mir gut. Aber ans Finanzielle, also wenn man dran denkt, wird einem ja ganz schnell schlecht."
"Selbständigkeit muss man wollen. Wenn es nicht gewünscht ist, dann kann es auch nicht gut sein."
"Also, man kann sich das im Prinzip nicht erlauben, krank zu werden."
"Na ja, solange ich nicht verhungere, ist es okay. Egal, wie viel Geld ich verdiene."
Grafiker, Volkshochschullehrerin und ein Theaterregisseur, Existenzgründerin, Bildungsmanagerin und Entrepreneur. Sie alle sind solo-selbstständig. Das heißt: Sie sind Unternehmer und üben ihre Tätigkeit ohne angestellte Mitarbeiter aus. Und sie sind wichtig für die Volkswirtschaft. Meint jedenfalls Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW.
"Sie spielen schon eine erhebliche Rolle. Wir haben etwa zwei Millionen Solo-Selbstständige, und das sind etwa fünf Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland."
Auch wenn einige von ihnen hohe Einkünfte erzielen - das DIW hat errechnet: Das durchschnittliche Einkommen dieser Erwerbstätigengruppe liegt unter dem der fest angestellten Arbeitnehmer.
"Es gibt Berufe, die verdienen relativ gut. Selbständige IT-Kräfte verdienen blendend. Die kommen auf einen Umsatz von knapp 100.000 im Jahr. Auf der anderen Seite der Skala hat man eben Berufe, die verdienen sehr schlecht. Beispielsweise die Körperpflegeberufe, Kosmetiker."
Friseure, Haushaltshilfen, Pflegekräfte, dann auch Paketboten und Fahrradkuriere, über die wir an dieser Stelle schon berichtet haben. "Und schlecht verdienen auch beispielsweise die Lehrer."
Und zwar die Lehrer, die an Musik- oder Volkshochschulen unterrichten: "Der Staat ist zwar der Auftraggeber, aber die Honorare sind äußerst knapp bemessen. Ja, an manchen Stellen kann man durchaus vom neuen Prekariat sprechen. Das gilt für die Berufe, die ich aufgezählt habe, es gibt aber weitere Berufe - für viele Theaterschaffende. Wir haben sehr viele Leute in Theaterberufen ausgebildet, und viele finden keine Jobs, wenn man das ganze Jahr betrachtet."

Regisseur: Jahresumsatz maximal 18.000 Euro

Wolfgang Hagemann, 57 Jahre alt: "Ich arbeite schrecklich gerne, und ich weiß, wenn ich arbeite, geht es mir gut. Aber ans Finanzielle, also wenn man daran denkt, wird einem ja ganz schnell schlecht. Und das möchte ich ja nicht."
1982 begann Hagemann als Regie-Assistent am Schauspielhaus Bochum unter der Intendanz von Claus Peymann. Seit 1991 arbeitet er als freier Regisseur an deutschsprachigen Bühnen. Zuletzt in Konstanz, Kaiserslautern, Dessau und Bern:
"Das Verrückte ist, wenn die Panikattacken kommen - und die kennt, glaube ich, jeder, der so wie ich im Theaterbereich arbeitet – , dass man plötzlich denkt, man kriegt keinen Job mehr oder die nächste Generation junger Regisseure kommt erstaunlich schnell, dass man denkt 'oh Gott, gehöre ich jetzt zu den alten Säcken, denen ich noch als Assistent assistiert habe', und mich schon immer gelangweilt habe. Es ist sofort weg, wenn der nächste Anruf kommt und man ein Angebot kriegt oder eine Frage, ob man dann und dann Zeit hätte, Lust hätte. Weil ich weiß, dass ich in dem Moment, wo ich die Tür zumache, einen Probenraum betreten habe, geht es mir gut, und ich denke keine Sekunde an das Geld."
Theaterregisseur Wolfgang Hagemann im Porträt
Theaterregisseur Wolfgang Hagemann liebt seinen Job. Wenn er denn einen Auftrag erhält.© Deutschlandradio/ Wolf-Sören Treusch
Nur: So viele Angebote kommen nicht - in der Regel drei oder vier pro Spielzeit. Von denen er dann mindestens eines ablehnen muss, weil es zeitlich parallel liegt. Die Gagen sind zudem so gering, dass schon sehr viel Enthusiasmus für den Beruf nötig ist:
"Es geht, es ist machbar. Ich rauche nicht, ich trinke nicht, Bücher kann ich in der Buchhandlung lesen oder in der Bücherei. Ich komme mir selber blöde vor, wenn ich so darüber nachdenke. Ich habe mal gehört, was jemand am Burgtheater, um mal ganz hoch zu greifen, pro Produktion verdient. Das ist dann mitunter schon erbärmlich, wenn man überlegt, dass man für dieselbe Arbeit, auch für sechs Wochen jeden Tag bestenfalls acht Stunden, dann nur ein Fünftel von dem verdient."
Zwischen vier- und sechstausend Euro erhält er als Gage für eine Produktion. Macht zwölf- bis 18.000 Euro Jahresumsatz. Brutto. Maximal. Kein Auto, kein Urlaub, keine teuren Klamotten. Zum Glück hat er eine günstige Mietwohnung, in der er ein Zimmer sogar untervermieten kann.

"Jeder am Theater weiß, wie toll der Beruf ist"

Wolfgang Hagemann spaziert viel, liest, fotografiert, geht in Museen. Oft wartet er. Auf den einen erlösenden Anruf.
"Und dann kam ein Anruf. Dann kam ein Angebot. Die erste Reaktion war: totale Erleichterung, Freude: 'Ich war wieder dabei'. Ich wusste, dass ich wieder eine spannende Arbeit habe, bis ich nach paar Tagen feststellte: Das ist eigentlich ein ganz blödes Stück, was ich da mache, und viel zu schlecht bezahlt. Warum kriege ich nicht gleichzeitig auf der großen Bühne den Klassiker? Warum muss ich das kleine Ding da machen? Die Halbwertszeit von diesem euphorischen Gefühl ist manchmal erschreckend kurz, vielmehr aber das Gefühl, nicht mehr dazu zu gehören. Nicht mehr gewünscht zu werden. Dass die Meinung, die man mitteilen will auf der Bühne, nicht mehr gefragt ist."
Vor einem halben Jahr hätte er das Interview nicht gegeben, erwähnt er nebenbei, da waren sie mal wieder da: die "Panikattacken", die er in Gänsefüßchen setzt. Zur eigenen Beruhigung.
"Dann fängt man an, darüber nachzudenken und auch die verpassten Chancen und so weiter sich durch den Kopf gehen zu lassen. Im Grunde genommen ist man dadurch auch wunderbar erpressbar, weil jeder im Theater weiß, dass das ein toller Beruf ist und man gerne zusagt."
Wolfgang Hagemann hat auch die andere Seite kennen gelernt. War mal für zwei Jahre Oberspielleiter in Ulm. Da habe es andere Zwänge gegeben, zum Beispiel beim Drücken der Gagen in den Verhandlungen. Er habe sich diesen Spielchen damals verweigert, sagt er. Heute ist er froh, freiberuflich tätig, solo-selbstständig zu sein. Auch wenn er das Maß an Selbstausbeutung, so scheint es, gelegentlich überschreitet:
"Im Moment zum Beispiel warte ich nicht auf einen Anruf, weil ich einfach weiß: Die nächsten drei Produktionen sind in trockenen Tüchern. Ich weiß: Ich kann einen Zeitraum von ungefähr einem Jahr überschauen."

"Ich trenne Wohn- und Arbeitsraum nicht"

"Selbständigkeit ist eine Qualität und Selbstausbeutung: Da veräppelt man sich ja selber. Selbständigkeit muss man wollen. Wenn es nicht gewünscht ist, dann kann es auch nicht gut sein."
Catharina Bruns, 38 Jahre alt. Mit ihrer Geschäftspartnerin lebt sie im Berliner Szenebezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Wer die beiden in ihrem Büro besucht, landet im Wohnzimmer. Ein großer, heller Raum mit Parkett und angeschlossener Wohnküche. Die beiden Esstische dienen als Schreibtische - oder auch umgekehrt.
"Ich brauche kein Wohnzimmer. Ich habe noch nie so gerne auf der Couch gelegen oder so, sondern immer schon gern lieber am Schreibtisch gearbeitet. Und klar: Für mich ist mein Wohnraum… für mich ist es absurd, das von meiner täglichen Arbeit zu trennen."
Catharina Bruns und Sophie Pester, im Hintergrund hohe Gebäude
Catharina Bruns und Sophie Pester sind Entrepreneurinnen. Sie produzieren Bastelsets, geben Seminare und haben Bücher geschrieben.© Deutschlandradio / Wolf-Sören Treusch
Catharina Bruns sagt, sie sei selbstständig aus Leidenschaft. Arbeit sei mehr als nur ein Job. Jobs machten den Menschen abhängig, Arbeit sollte ihn unabhängig machen. Sie arbeitet in der Kreativwirtschaft. Das erste Produkt, das sie und ihre Geschäftspartnerin 2012 gemeinsam auf den Markt brachten, war gleich ein großer Erfolg: "Supercraft".
"Ja, 'Supercraft' sind Do-it-yourself-Sets, muss man sich vorstellen wie einen Baukasten, wo dann alle Materialien, eine Anleitung und Ideen und Inspirationen zur Umsetzung drin sind. Viele kennen das von Kochboxen, wo dann eben die Zutaten drin sind, und dann kann man was draus machen. Ja, wir schauen immer, dass es auf einem Level ist, dass halt Anfänger sehr gut was umsetzen können. Aber auch Leute, die Super-Techniken beherrschen, quasi Profis sind, dass es denen auch nicht langweilig wird. Das erscheint alle zwei Monate, das kann man entweder im Abo bestellen oder einzeln, eben wie man Lust hat."

Mit mehreren Standbeinen lebt es sich besser

Ab 24,95 Euro kostet ein solches Bastel-Kit: zum Nähen, Färben, Häkeln, Malen. Die Logistik geschieht in einer ehemaligen Textilfabrik in Sachsen, dort hilft eine 400-Euro-Kraft. Mit "Supercraft" habe sie einen großen Sprung nach vorne gemacht, sagt Catharina Bruns selbstbewusst. Vom Freiberufler zum Entrepreneur – zur Unternehmensgründerin mit innovativer Geschäftsidee. Ganz wichtig dabei: das Alleinstellungsmerkmal.
"Wenn man Freelancer ist, dann ist man ja in der Regel Dienstleister. Man hat häufig eine Dienstleistung, die man anbietet. Und man gerät schnell wieder in eine bestimmte Abhängigkeit, entweder von einem großen Kunden, es kann auch Preis-Dumping passieren, weil andere Leute genau das gleiche anbieten und so weiter, man hat Schwierigkeiten sich abzusetzen. Und sobald man aber ins Unternehmerische kommt und sich anguckt, wo kann man was besser, einfacher, schneller, intelligenter lösen und tatsächlich Entrepreneurship einfließen lässt in das eigene unternehmerische Handeln, da wird es eigentlich erst interessant, was Unabhängigkeit, Freiheit, Gestaltungsfreiheit und so weiter angeht."
Mittlerweile stehen die beiden Freundinnen auf mehreren Standbeinen. Sie haben eine GbR gegründet, veranstalten Seminare für Existenzgründer, zwei Bücher und weitere Do-it-Yourself-Plattformen sind entstanden. Kurzum: Wirtschaftlich geht es ihnen gut. Wie gut, verraten sie nicht.
"Wir sind komplett eigenfinanziert, von Anfang an. Wir haben keine Investments oder so angenommen, wir haben keine Kredite aufgenommen. Deshalb haben wir uns ja auch dagegen entschieden, das irgendwie auf dem Startup-Weg zu machen, weil ich eben diese Fremdbestimmung nicht haben wollte."

Konjunktur steigt, Zahl der Solo-Selbständigen sinkt

Das starke Wirtschaftswachstum des Kreativsektors ist ein Grund, warum die Zahl der Solo-Selbstständigen lange Zeit kontinuierlich anstieg. Ein zweiter Grund ist, dass viele Betriebe und Behörden vermehrt Funktionen an Freiberufler auslagerten, um Kosten zu sparen. Mitte der 2000er Jahre kamen konjunkturelle Gründe hinzu - Stichwort 'Ich-AG'. Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung:
"Man kann sagen, dass der Mangel an Alternativen für eine abhängige Beschäftigung ein starkes Motiv war, sich solo-selbständig zu machen: Arbeitslose, die selbst eine Existenz gegründet haben. Und man kann auch sehen, dass wir seit 2012 etwa eine umgekehrte Entwicklung haben: Die Zahl der Solo-Selbstständigen nimmt ab, das hängt mit der guten Konjunktur zusammen. Wir hatten 2012 noch 2,3 Millionen, jetzt haben wir 2 Millionen, also eine Abnahme um ein Achtel. Immerhin."
Andreas Lutz, Vorstandsvorsitzender vom Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland, sieht noch einen weiteren Grund für den Rückgang der Zahlen.
"Liegt sicher auch an der guten Konjunktur. Liegt aber auch daran, dass eben wir diese gründerfeindlichen Gesetze haben. Vor einigen Jahren wurde zum Beispiel der Gründungszuschuss, der beim Gründen half, sehr stark eingeschränkt. Die Zahl der Geförderten nahm von einem Jahr aufs andere um 85 Prozent ab. Also wo vorher hundert Gründer gefördert worden sind, waren es danach 15. Und das ist der Grund, wieso wir hier entgegen dem Trend in den anderen Ländern einen Rückgang haben."

"Im ersten Jahr bis nachts um eins Unterricht vorbereitet"

"Ich war schon mal in einer unbefristeten Festanstellung. Das war für mich ein Gefühl, wo ich dachte: Oh Gott, mein ganzes Leben lang soll ich diesen Job machen? Das war für mich eher belastend. Deswegen nehme ich auch jetzt erstmal diese ganzen Unannehmlichkeiten in Kauf."
Suri Reiners, 39 Jahre alt. Sie unterrichtet Deutsch als Zweitsprache an der Volkshochschule Berlin-Neukölln. Ihre Schüler kommen aus Syrien, Afghanistan, Somalia und dem Irak. Der enorme Anstieg der Flüchtlingszahlen seit 2015 half ihr, als Lehrerin Fuß zu fassen. Jetzt kann sie sich vor Arbeit kaum retten.
"Eine Vollzeit-Lehrerstelle sind eigentlich 28 Unterrichtsstunden, ich arbeite 35 plus noch vier bis fünf Stunden in der Beratung. Das ist sehr viel - plus Vorbereitungszeit und ein bisschen Nachbereitungszeit hat man dort an der Volkshochschule. Das war eine ganze Zeit lang wirklich sehr belastend, weil zu Anfang, das erste Jahr, saß ich jede Nacht bis ein, halb zwei und habe den Unterricht vorbereitet. Das muss ich jetzt nicht mehr."
Die Sonne scheint auf das Gesicht von Suri Reiners.
Suri Reiners unterrichtet an der Volkshochschule. Rücklagen kann sie von ihrem Verdienst nicht bilden.© Deutschlandradio / Wolf-Sören Treusch
Suri Reiners nimmt, was sie kriegen kann. Sie ist alleinerziehende Mutter, hat einen 13-jährigen Sohn. Für die Volkshochschule arbeitet sie auf Honorarbasis. Zwischen 25 und 44 Euro brutto erhält sie pro Unterrichtseinheit. Im Moment läuft es gut für sie.
"Aber das hat natürlich ein großes 'Aber'. Also alle Dozenten und Dozentinnen an der Volkshochschule sind freiberuflich, das heißt: Niemand ist angestellt. Wir zahlen natürlich alle Abgaben selber: Steuer, Krankenkasse und Rentenversicherung. Diese Beiträge sind unheimlich hoch. Wir arbeiten aber nur neun Module, das heißt wir bekommen neun Gehälter, müssen aber trotzdem zwölf Mal diese ganzen Abgaben zahlen, inklusive Miete und was man sonst noch so alles zu zahlen hat. Ich komme nie in die Lage, dass ich also ein bisschen Rücklagen bilden kann."
Erst recht nicht, wenn der Sohn eine Zahnspange braucht. 500 Euro im Monat jedenfalls gehen weg für die gesetzliche Krankenversicherung. Denn als Solo-Selbstständige zahlt sie den Arbeitgeberanteil mit. Eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall erhält sie natürlich nicht. Denn die müsste ja der Arbeitgeber zahlen.
"Ich bin fast nie krank. Aber ich kenne das natürlich von anderen Kollegen und Kolleginnen, wenn die mal krank sind, dann schleppen die sich in den Unterricht, weil natürlich: Wenn du nicht arbeitest, hast du auch kein Gehalt. Also man kann sich das im Prinzip nicht erlauben, krank zu werden."

Altersarmut scheint vorprogrammiert zu sein

Viele Dozentinnen und Dozenten leben zudem mit der Angst, dass keine Aufträge mehr reinkommen. Immer wieder werden Kurse gestrichen - kurzfristig und ersatzlos. Und dann ist da eben noch die Sache mit der Rentenversicherung.
Als Lehrerin an der Volkshochschule ist man verpflichtet, in die Rentenkasse einzuzahlen. 500 Euro im Monat sind es bei Suri Reiners, der Weg in die Altersarmut scheint programmiert zu sein.
"Ich habe neulich mit einer Kollegin gesprochen, die arbeitet jetzt 30 oder 35 Jahre an der Schule. Die ist schon fast 70, die unterrichtet immer noch. Die hat mir gesagt: Sie hat eine Rente von 600 Euro. Die hat die ganzen Jahre voll gearbeitet und sagt: 'Ein Glück habe ich einen Mann, der mich unterstützt'. Das ist natürlich eine Situation, die blende ich auch erstmal aus. Muss ich ja, weil: Ich meine, mit so Aussichten, wie kann man da morgens aufstehen? Das geht ja im Prinzip gar nicht. Du musst dir ja irgendwie deine Realität bunt machen."

"Krankenversicherung? Bis zu 40 Prozent des Einkommens"

"Letztes Jahr hat meine Fraktion eine große Anfrage gestellt zur sozialen Lage von Solo-Selbstständigen."
Auch der Bundestag beschäftigt sich immer wieder mit dem Thema. Petra Sitte, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken:
"Und daraus ist hervorgegangen, dass circa 30 Prozent aller Solo-Selbstständigen über ein Nettoeinkommen von unter 1.100 Euro verfügen. Beitragssätze bei der freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung machen aber nicht selten bis zu 40 Prozent des Einkommens aus. Und das halten wir für einen unhaltbaren Zustand."
Nicht nur für die Volkshochschullehrer sind die Krankenversicherungsbeiträge ein Reizthema. Alle Solo-Selbstständigen müssen doppelt einzahlen - Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil. Dazu kommt die hohe Mindestbemessungsgröße, sie liegt aktuell bei 2.284 Euro im Monat. Viele Solo-Selbstständige verdienen aber gar nicht so viel, können sich also die hohen Beiträge nicht oder gerade so eben leisten.
Andreas Lutz am Potsdamer Platz in Berlin
Andreas Lutz am Potsdamer Platz in Berlin© Deutschlandradio / Wolf-Sören Treusch
Eine Besserung scheint in Sicht. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat das so genannte GKV-Versichertenentlastungsgesetz auf den Weg gebracht. Zum 01. Januar 2019 soll es in Kraft treten. Danach wird die Mindestbemessungsgröße auf 1.142 Euro halbiert, der Mindestbeitrag für Kranken- und Pflegeversicherung sinkt von etwa 420 auf 210 Euro im Monat. Ein wichtiger Schritt, sagt Andreas Lutz vom Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland, VGSD:
"Aber es kann nur ein erster Schritt sein. Denn durch die Absenkung auf 1.142 Euro zahlen halt die, die zwischen 450 und 1.142 Euro sind, immer noch überproportional hohe Beiträge, und die Gesamtbelastung ist zu hoch. Also wir haben viele Leute, viele Frauen zum Beispiel, die momentan nebenberuflich selbstständig sind, und die gern mehr als 435 Euro, das ist bei Selbstständigen die Grenze, verdienen würden, wo das dann aber so unattraktiv gemacht ist, dass sie in dieser Falle festsitzen."

Wie lässt sich die Rentenvorsorge verbessern?

Ein weiteres Reizthema ist die Rente. Wenn es nach der Großen Koalition geht, soll noch in dieser Legislaturperiode eine Altersvorsorgepflicht für Selbstständige eingeführt werden. Gerade die Solo-Selbstständigen sorgen zunehmend weniger privat fürs Alter vor, nicht einmal die Hälfte von ihnen. Auch die gesetzliche Rentenversicherung nutzen Solo-Selbstständige kaum.
Hier also soll die Altersvorsorgepflicht einen Ausweg bieten. Danach müssen alle selbstständig arbeitenden Menschen zwischen der gesetzlichen Rentenversicherung und einer privaten Altersvorsorge wählen. Die Vorsorgeform muss insolvenz- und pfändungssicher sein sowie eine Rente oberhalb des Grundsicherungsniveaus ermöglichen. Das liegt derzeit bei durchschnittlich 800 Euro im Monat. Andreas Lutz vom VGSD sieht in dieser Angelegenheit mehr Fragen als Antworten:
"Eine offene Frage: Wie ist das denn mit den Selbstständigen, die alles richtig gemacht haben? Die privat vorgesorgt haben? Die gut für ihr Alter vorgesorgt haben? Die jetzt dann altersvorsorgepflichtig würden, müssen sie dann ihre Immobilie, die sie angespart haben, verkaufen? Um dann das Geld in eine zertifizierte Anlage einzubezahlen? Müssen die einen langfristigen Versicherungsvertrag beenden unter Verlust, um in einen anderen langfristigen Versicherungsvertrag oder in die Rentenversicherung einzuzahlen?"
Fragen, die sich ein Großteil der Solo-Selbstständigen mangels Möglichkeiten allerdings gar nicht erst stellt. DIW-Referent Karl Brenke ist sowieso skeptisch, dass die Bundesregierung die Pläne noch in dieser Legislaturperiode umsetzen wird:
"Wir hatten jetzt zwei Arbeitsministerinnen, eine von der SPD, davor eine von der CDU, die haben auch über dieses Thema nachgedacht, dabei ist dann kein Gesetz herausgekommen."

Wenn keine Aufträge kommen, hilft die Familie

"Ich war immer schon solo-selbstständig. Es geht mal besser, mal schlechter."
Eike Wendland, 42 Jahre alt. In der Schule Wandzeitungsagitator und Bezirksmeister im Schönschreiben, ist auf seiner Website zu lesen, heute Grafiker mit reichlich Organisationstalent. Wenn die Auftragslage im Kerngeschäft mal wieder etwas mau ist, organisiert er Modeschauen und Messen. Die Solo-Selbstständigkeit, sagt er, hat er in den Genen:
"Mein Vater ist auch Freiberufler, der ist auch Solo-Selbstständiger, schon sein ganzes Leben. Er hat jetzt einen Kugelschreiber bekommen von so einer Werbefirma, wo draufsteht: '30 Jahre solo-selbstständig'. Oder 40? Ich weiß es gar nicht mehr. Wo wir beide gesagt haben: 'Äh, so lange jetzt schon?‘ Jedenfalls aus der Erfahrung von ihm und aus dem Wissen, dass ich zwar teamfähig bin und auch gern im Team arbeite, möchte ich gern nicht angestellt sein. Das war für mich schon von vornherein klar."
Einige Jahre war Eike Wendland auch als Produktions- und Tourmanager mit Paul Kalkbrenner unterwegs, einem der weltweit gefragtesten Techno-Musiker aus Berlin. Finanziell waren das sehr gute Jahre, als Grafiker lief es zuletzt nicht so gut:
"Es gibt so Jahre, wie dieses Jahr dann auch, das dann durch intrafamiliäre Geldtransfers, wie es das Finanzamt so schön benennt, ermöglicht wird. Dankenswerterweise haben wir ein großes, gutes soziales Umfeld, eine Familie, die uns versteht und liebt, alle aus ähnlichen Situationen kommen. Und in der Zeit, wo ich viel Kohle hatte, habe ich genauso Kohle verteilt an andere wie es dann andersrum ging.
Ab und zu macht er Kompromisse. Und verdingt sich für 500 Euro am Tag in einer Agentur. Da verzapfe er dann viel Werbemüll, sagt er, aber irgendwie müsse das Geld ja reinkommen. Seine Frau ist freischaffende Fotografin. Die beiden haben zwei Kinder. Natürlich ist er Einzelkämpfer, sagt er. Aber wenn nötig, kann er nicht nur die Familie, sondern auch weitere Einzelkämpfer aktivieren:
"Also ich habe ein sehr großes Netzwerk an Solo-Selbstständigen. Wenn die Projekte größer werden, kann man halt schnell sagen: 'Warte mal, ich habe da noch einen Zweiten, wir können es bis vorgestern fertig machen. Wir nennen uns Worldoptimizer.' Das funktioniert jetzt nicht als Agentur oder so. Das ist einfach nur ein loses Miteinander. Und wenn halt Sachen aufploppen, werden die zusammen umgesetzt."
Und das häufig genug in Nachtarbeit. Termindruck - ein typisches Merkmal der Solo-Selbstständigen-Szene:
"Freiheit, sein eigener Chef zu sein, ist echt manchmal ganz schön schwer. Man muss sich ganz schön in den Arsch treten und sagen: 'Ey jetzt, komm jetzt hier ran, mach fertig' und so. Aber das gehört dann einfach halt dazu."

In den ersten neun Monaten 7000 Euro erwirtschaftet

"Es ist immer mit einer Unsicherheit verbunden am Anfang, wenn man sich gründet. Das heißt, es muss nicht nur an harten Fakten ausgemacht werden wie Umsatz und Gewinn, sondern es gibt natürlich auch eine gefühlte Prekarisierung. Wohin führt mich dieser Weg? Was mache ich mit meinem weiteren Erwerbsverlauf?"
Özlem Yildiz, 41 Jahre alt. Existenzgründerin aus der Not heraus. Eigentlich ist sie Wirtschaftswissenschaftlerin, Schwerpunkt Nachhaltigkeitsmanagement. Aber wie bei so vielen Akademikern stockt ihre Karriere. An Universitäten und Fachhochschulen fehlen die Stellen. Deshalb hat sie sich vor einem Dreivierteljahr solo-selbstständig gemacht. Und hält nun Vorträge, veranstaltet Fortbildungen.
"Im Bereich migrantische Selbstständigkeit oder Frauen in der Selbstständigkeit, das sind so meine Themenfelder."
Gülcan Nitsch und Özlem Yildiz sitzen an einer Straße
Gülcan Nitsch und Özlem Yildiz wollen türkischen Unternehmerinnen in Deutschland helfen.© Deutschlandradio/ Wolf-Sören Treusch
In den ersten neun Monaten hat sie damit knapp 7.000 Euro erwirtschaftet. Ist schon okay, sagt sie. Eine Existenz zu gründen, verlange eben Geduld und langen Atem. Die Unsicherheit bleibt. Nur eines weiß sie sicher: Den Fortbildungsbedarf in ihrer türkischen Community, den gibt es.
"Manche migrantische Frauen brauchen da auch Unterstützung zu wissen, wie man Instagram zu nutzen hat oder Facebook oder sonst dergleichen, für die Selbstständigkeit als Unternehmerin und auch Weiterbildungen in anderer Form. Dass man sagt, wir stellen euch Expertinnen und Experten zur Verfügung, die Steuern noch einmal erklären. Wie läuft es ab mit Versicherungen, wie läuft es ab mit dem Marketing, mit Kommunikation grundsätzlich, Verhandlungen führen. Und ja, wir arbeiten gerade daran, ein Empowerment zu schaffen: die Stärkung von migrantischen, selbstständigen Frauen."

Von 10.000 Euro auf bis zu 100.000 Euro Jahresumsatz

Wir, das sind Özlem Yildiz und ihre Freundin Gülcan Nitsch, 45 Jahre alt. Sie ist in der türkischen Community schon seit langem als Bildungsmanagerin unterwegs. Zunächst angestellt bei einer Umweltorganisation, machte sie sich 2012 selbstständig und gründete Yesil Cember, türkisch für 'grüner Kreis', eine ökologisch interkulturell gemeinnützige GmbH. Das Ziel: türkischsprachige Menschen für den Umweltschutz sensibilisieren und ihr Verhalten ändern. Was tatsächlich klappt.
"Die haben den Stromanbieter gewechselt, die sind jetzt bei Ökostrom. Die benutzen kein Plastik, sie verursachen weniger Müll, sie kaufen anders ein, die verhalten sich anders. Und das erzählen sie in der türkischen Community weiter. Das heißt: Meine Wirkung ist so stark, ich verändere die türkische Kultur. Ich verbreite nachhaltige Lebensstile. Und das kannst du gar nicht mit Geld bezahlen. Ich dachte, solange ich nicht verhungere, ist okay. Und ich habe dann gesagt: Bis ich in Deutschland den letzten Türken wirklich erreicht habe, der sagt 'okay, ich bin dabei, Nachhaltigkeit ist auch mein Thema', werde ich so lange weitermachen. Egal, wie viel Geld ich verdiene."
Geduld und langer Atem: Bei Gülcan Nitsch schlägt sich der Erfolg der Arbeit mittlerweile auch im Umsatz nieder.
"Ich liege so zwischen 70.000 und 100.000. Nein, ich bin nicht so prekär, das würde ich nicht so bezeichnen, aber es war mal so. Wo ich mich nicht bezahlen konnte, wo ich im Jahr nur 10.000 hatte. Was machst du mit 10.000? Das ist einfach ... kannst du dich selbst nicht bezahlen."
Dann kam 2014 - das Jahr des Umschwungs. Gülcan Nitsch bekam vom damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck den Bundesverdienstorden verliehen. Die höchste Form gesellschaftlicher Anerkennung. Dabei war sie kurz davor hinzuschmeißen, ihre Solo-Selbstständigkeit aufzugeben.
"Das hat mich motiviert: 'Nein, ich darf es noch nicht'. Das heißt: Das, was ich tue, wird gesehen, von der höchsten Stelle. Und dann habe ich meine Lebensversicherung gekündigt zum Beispiel, um weiterzumachen. Genau. Das war einfach für mich eine Entscheidung: Es geht nicht um meine Person, um meine Zukunft, sondern es geht um die zukünftigen Generationen. Es geht um die Gesellschaft. Ich kann so viel bewirken, ich habe bisher Tausende von Menschen erreicht, also mobilisiert. Und wir sind schon in vielen Städten. Das heißt: Wenn ich diese Entscheidung damals nicht getroffen hätte beziehungsweise den Bundesverdienstorden nicht bekommen hätte, vielleicht hätte ich doch den Laden geschlossen."

Fragen durch den digitalen Wandel

Ihr Projekt Yesil Cember ist mittlerweile in 13 bundesdeutschen Städten aktiv. Gülcan Nitsch will weiter expandieren. Deshalb überlegt sie nun, ihre Solo-Selbstständigkeit doch zu beenden. Aber nicht um aufzugeben, sondern um neue Mitgesellschafter ins Boot zu holen. Unter anderem Özlem Yildiz, mit der sie seit vielen Jahren immer wieder zusammenarbeitet.
Der digitale Wandel führt zu neuen Erwerbsformen. IT-Spezialisten beispielsweise arbeiten oft auf Projektbasis. Viele der begehrten Fachkräfte sind Solo-Selbstständige. Andere werden von Zeitarbeitsfirmen zu den Kunden geschickt und pendeln häufig zwischen Selbstständigkeit und Festanstellung. Hauptsache flexibel. Die Frage ist, wie viele Solo-Selbstständige in dieser neuen Arbeitswelt Unterschlupf finden.
Dem freien Theaterregisseur Wolfgang Hagemann kann diese Entwicklung egal sein. Er ist sozusagen ein Vertreter der alten Schule. Bei seiner Solo-Selbstständigkeit wird es immer nur darum gehen: Ist das Glas halb leer oder halb voll?
"Eines meiner Lieblingsstücke ist Beckett, das 'Endspiel'. Irgendwann mal stöhnt der Clov, eine der beiden Hauptfiguren, und sagt: 'Es gibt so viele schrecklichen Dinge'. Und dann sagt der Ham, sein Freund, Herr, Meister: 'Och, es gibt gar nicht mehr so viele'."
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