Slavko Goldstein: "1941 - Das Jahr, das nicht vergeht"

Kroatien: Wie aus Nachbarn Feinde wurden

Buchcover Slavko Goldstein: 1941 - Das Jahr, das nicht vergeht.
Bis heute herrscht zwischen den Bevölkerungsgruppe Kroatiens Hass. © Fischer Verlag / imago
Von Jörg Plath · 12.04.2018
Massenmorde, Vergeltungsaktionen und benachbarte Dörfer, deren Bewohner bis heute nicht miteinander reden: Slavko Goldstein zeigt mit "1941 – Das Jahr, das nicht vergeht", wie mit der Unabhängigkeit Kroatiens Hass gesät wurde, der bis heute nachwirkt.
Faszinierend oszilliert Slavko Goldsteins Buch über "1941 – Das Jahr, das nicht vergeht" zwischen Autobiografie und Historiografie. Das Jahr vergeht nicht nur für ihn selbst nicht, es wirkt auch bis heute nach in Kroatien und den Nachfolgestaaten der Sozialistischen Volksrepublik Jugoslawien.
"Die Saat des Hasses auf dem Balkan", so der Untertitel, wird 1941 gelegt: Von Hitlers und Mussolinis Gnaden entsteht der "Unabhängige Staat Kroatien", und sofort terrorisiert Ante Pavelićs faschistische Ustascha Serben, Juden und Roma im Staatsgebiet. Kroatien soll allein den Kroaten (und den akzeptierten muslimischen Bosniaken) gehören.
Nur drei Tage nach der Gründung des Vasallenstaates wird Goldsteins Vater, ein politisch links stehender Buchhändler und Jude, inhaftiert und ermordet. Seine Mutter wird ebenfalls verhaftet, sie geht nach der Entlassung mit Slavko und dessen Bruder zu den Partisanen.
Goldstein, der 2017 im Alter von 89 Jahren verstarb, war Publizist, Drehbuchschreiber und Leiter des angesehenen Verlags Novi Liber. Er trat in den 1950er-Jahren aus der stalinistischen KP aus und gründete 1989 die erste nichtkommunistische Partei Kroatiens.
Goldstein hat Zeit seines Lebens über das Jahr 1941 nachgedacht, verstärkt in den jugoslawischen Kriegen. Wie vielen anderen auch erscheinen sie ihm als eine traumatische Wiederkehr der 50 Jahre zurückliegenden Ereignisse.

Plünderungen und Morde zwischen Nachbarn

Der Zwölfjährige, von Jaga, der Hausangestellten der Eltern, in ihrem Heimatdorf versteckt, hat sie selbst erlebt. Banski Kovačevac liegt an einem kleinen Fluss, der einst die Militärgrenze zwischen dem Habsburgischen und dem Osmanischen Reich bildete. Am anderen Ufer befinden sich Dörfer, in denen kroatische Serben wohnen.
Dort bringen die Ustaschi mit Hammern, Sensen und Gewehren 600 bis 700 Zivilisten auf bestialische Weise um, plündern die Häuser und stecken sie in Brand. Die Dörfer jenseits des Flusses bleiben unbehelligt. Noch heute reden die einst befreundeten Dörfler nicht miteinander.
Slavko Goldsteins Mikrogeschichte versucht, allen Seiten gerecht zu werden. Er nennt Namen von Tätern und Opfern – auch von solchen, die zu helfen und aus dem fatalen Dualismus auszubrechen versuchen. Mit vielen kleinen Geschichten will er das große Schweigen beenden, dessen Instrumentalisierung noch 1995 taugte, Menschen im Kampf für oder gegen die Serbische Republik Krajina in Kroatien morden zu lassen.
Goldstein erzählt mit Ruhe und Umsicht, obwohl ihm die Recherche schwer fiel. Die "Säuberungen" genannten Vernichtungsaktionen der Ustaschi gegen mehr als zwei Millionen Serben, Juden und Roma im Staatsgebiet werden mit äußerster Brutalität durchgeführt. Das stärkt die Partisanen, deren Massenexekutionen nach dem Sieg 1945 Goldstein als Spiegelbild des Ustascha-Terrors geißelt.

Hoffnung auf Versöhnung

Nicht immer gelingt ihm die Synthese von persönlicher und kollektiver Geschichte so fesselnd wie in der Geschichte zweier Dörfer. Zuweilen wird er zum Historiker und Journalisten. Immer aber will er auch jene verstehen, die "die Geschichte auf verschiedenen Seiten der Ereignisse platziert hat", um sein Land mit sich und den Nachbarn zu versöhnen.
Dieses von großer Zuneigung erfüllte Buch ist eine so persönliche wie komplexe Einführung in Zeitgeschichte und Traumata eines Landes, das viele nur vom Urlaub am Mittelmeer kennen.

Slavko Goldstein: 1941 - Das Jahr, das nicht vergeht. Die Saat des Hasses auf dem Balkan
Aus dem Kroatischen von Marica Bodrožić
Fischer Verlag. Frankfurt am Main 2018
608 Seiten, 30 Euro

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