Skaterschule im finnischen Tampere

Der Traum von Gold

27:02 Minuten
Der japanische Skateboarder Korona Hiraki bei den Olympischen Spielen in Tokio 2021
Im finnischen Tampere kann man nun auf das Berufsziel Profiskateboarder hinarbeiten. © dpa / picture alliance / Daniel A. Anderson
Von Michael Frantzen · 14.08.2022
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Lange Zeit galt Skaten als Randsportart, doch das ändert sich gerade: In Tokio kämpften Skater erstmals um olympische Medaillen – und in Tampere hat Finnlands erste Skaterschule aufgemacht. Wie sieht dort die Bilanz nach einem Jahr aus?
Heini Lutola ist eine der besten finnischen Skateboarderinnen und Lehrerin an der ersten Skateboard-Schule des Landes, in Tampere, der drittgrößten Stadt Finnlands.
Es ist Dienstagnachmittag, die Frau mit den unzähligen Tattoos ist ganz in ihrem Element. Wenn jemand den Schülerinnen und Schülern Kniffe und Tricks auf dem Skateboard beibringen kann, dann Heini.
Die 30-Jährige skatet seit fast 20 Jahren, seit ihr Cousin aus der Hauptstadt Helsinki eines Sommers in ihrem Dorf in Zentral-Finnland mit einem bunten Brett auf kleinen Rädern auftauchte. Das Brett entpuppte sich als Skateboard, der Cousin als untalentiert.
Heini aber war angefixt. So sehr, dass sie sich mit 16 entschloss, alleine nach Jyväskulä zu ziehen, weil es in der Universitätsstadt einen Indoor-Skater-Park gab, in dem sie auch im Winter trainieren konnte. Sie habe schon immer ihr eigenes Ding gemacht, meint die Sportlerin, während sie mit einem Auge ihre Schützlinge dabei beobachtet, wie sie über die Rampe rasen.

Lehrerin Heini Lutola hat gute Olympiachancen

Es hat sich gelohnt: Heute ist sie Mitglied im nationalen Skaterteam und hat gute Chancen für Finnland an den Olympischen Sommerspielen 2024 teilzunehmen. Seit Tokio ist Skateboarding ja olympisch.
„Ob ich es wichtig finde, dass Skateboarding olympisch ist? Ja, schon. Ich hoffe, die Leute verstehen dadurch endlich, dass es eine richtige Sportart ist. Skateboarding kann ziemlich anstrengend sein. Es verlangt dir viel ab. Wir riskieren einiges. Du musst körperlich in guter Verfassung sein und genügend Muskeln haben, um Stürze zu verkraften", erklärt sie.
Heini weiß, wovon sie spricht. Die letzten zwei Jahre waren nicht einfach, nicht nur wegen Corona, sondern weil sie sich 2020 schwer am Knöchel verletzte und es Komplikationen bei den OPs gab. Sie hat immer noch Schmerzen. Dass Skateboarding nicht ohne ist – darüber redet sie auch im Unterricht.  

Ich denke, Skateboarding ist heute inklusiver als vor 20 Jahren. Heute fragen wir die Jugendlichen: Wie fühlt ihr euch, wenn ihr zum Skaterpark kommt? Ist es okay? Oder üben wir zu viel Druck aus? Das wäre vor 20 Jahren undenkbar gewesen. Wir älteren Skateboarder wollen, dass sich die Jugendlichen wohl in ihrer Haut fühlen. Wir unterstützen sie, wo es nur geht.

Lehrerin Heini Lutola

Er ist seit Anfang an dabei: Jussi Surinen, einer von Heinis Schülern. Beim letzten Treffen im November hatte der 16-Jährige große Pläne, wollte Profi werden, an Olympischen Spielen teilnehmen. Doch das hat sich gelegt.
„Die Gemeinschaft steht im Vordergrund. Ich skate seit zweieinhalb Jahren – und letztens ist mir aufgegangen: Es geht gar nicht darum, möglichst krasse Tricks zu lernen und immer nur der Beste zu sein. Es geht um das Gemeinschaftsgefühl. Ich finde das super. Ich liebe es.“
Jussi hat gerade eine Pause eingelegt und sich auf eines der abgewetzten Sofas im Aufenthaltsraum gelegt. Was denn los sei, will Heini wissen. Der Teenager druckst herum, bis er nach einer Weile damit herausrückt, dass das mit dem Hard-Flip, dem Trick, heute einfach nicht klappen will.
„Ich bekomme gewisse Tricks einfach nicht mehr so gut hin. Ich weiß auch nicht, warum. In anderen Bereichen aber habe ich mich definitiv verbessert. Ich fühle mich viel wohler auf dem Skateboard, muss weniger Kraft aufwenden beim Fahren und Landen. Das klappt viel besser als im November", meint der schlaksige Teenager, ehe er sich sein Skateboard schnappt und zu Heini und den anderen geht.

Skaterschule und Gymnasium in einem

Genug herumgesessen. Schließlich hat er sich schon den ganzen Tag auf den Skateboard-Unterricht gefreut. Vormittags hatte er Mathematik und Französisch, am „Samke“, Finnlands einzigem Sportgymnasium. Die Skaterschule ist an das Gymnasium angeschlossen.
Das Gemeinschaftsgefühl mag auch Jussis Mitschülerin Anna und dass sie, wenn alles klappt, in einem Jahr ihr Skateboard-Diplom in der Tasche hat.
„Ich denke, es ist toll. Wir können den Leuten so zeigen, dass Skateboarding etwas Gutes ist. Es gibt ja immer noch diese Vorurteile. Dass wir krasse Sachen anstellen, Blödsinn machen. Aber wenn die Erwachsenen hören: Ah, Skateboarding ist Unterrichtsfach? Echt? Dann schnallen sie hoffentlich, dass das alles nur Vorurteile sind. Das ist echt cool.”

Skateboarding als Männerdomäne

Cool findet die 16-Jährige auch, dass Heini jetzt dabei ist – als Frau und Vorbild. Skateboarding mag zwar inzwischen inklusiver geworden sein, doch noch immer ist es eine Männerdomäne –und Anna das einzige Mädchen unter acht Jungs:
„Anfangs habe ich nur gedacht: Oh nein! Ich bin das einzige Mädchen. Aber mittlerweile ist es mir egal. Ob du Mädchen oder Junge bist, spielt keine Rolle. Ab und zu kommt auch ein Transgender vorbei, um mit uns zu trainieren. Dein Geschlecht, deine sexuelle Orientierung, das kümmert hier niemanden. Deshalb: Nein, ich denke nicht ständig: Hilfe, ich bin das einzige Mädchen. Aber ich hoffe schon, dass im neuen Schuljahr mehr Mädchen mitmachen.“ 
Heini Lutola und Teemu Grönlund
Lehrerin Heini Lutola und Schulleiter Teemu Grönlund.© Michael Frantzen
Er ist ganz der Alte geblieben: Teemu Grönlund, der Leiter der Skateboardschule, immer freundlich, immer hilfsbereit. Ohne den drahtigen Anfang-40-Jährigen hätte weder die Schule vor einem Jahr aufgemacht, noch gäbe es die Skateranlagen – drinnen in der Halle und draußen auf dem alten Fabrikgelände mit den Graffitis und Absperrzäunen.

Ein neuer Skaterparcours entsteht

Nebenan entsteht gerade ein neues Stadtquartier. In ein paar Jahren soll es fertig sein. Deshalb die Zäune. Teemu ist heute spät dran und anders gekleidet als noch im November – seriöser. Er trägt eine blaue Baumwollhose und ein weißes Hemd.
Musste so sein. Schließlich hatte er einen Termin mit Leuten vom Stadtrat wegen des neuen Skaterparcours, den sie gerade in der Nachbarhalle bauen und der teurer wird als geplant. Sein normales Outfit, Jeans und T-Shirt, wären da unpassend gewesen, meint er grinsend. Dann zieht er seine Hose aus, um sich umzuziehen und zu den Jugendlichen zu gehen.

Sie werden von Woche zu Woche besser – so viel kann ich sagen. Aber ich weiß gar nicht, ob denen das so wichtig ist. Oder sie mit dem Gedanken spielen, später Profiskateboarder zu werden und an Olympischen Spielen teilzunehmen. Es ist auf jeden Fall toll, dass sie die Möglichkeit haben, täglich auf der Anlage zu trainieren. Die Kids können ja auch ohne uns rein. Ich würde mich nicht wundern, wenn wir in Zukunft in Finnland viel mehr exzellente Skateboarder sehen werden – wegen Anlagen wie unserer.

Schulleiter Teemu Grönlund

Ähnlich wie Heini skatet der Molekularbiologe schon sein halbes Leben, hat sich in der finnischen Skaterszene einen Namen gemacht und auch mehrfach verletzt: diverse Brüche, Prellungen. Und sein Rücken ist mit der Zeit krumm geworden wegen der ganzen Sprünge. Der tue manchmal höllisch weh, meint Teemu an diesem wolkenverhangenen Nachmittag auf dem Weg nach draußen, zum Skaterring.
Doch er gehe einmal die Woche zu einem Chiropraktiker, einem kauzigen Typen, der zwar kaum ein Wort wechsele, es aber jedes Mal schaffe, seinen Rücken einzurenken.
Skateboards und Magazine.
Die Skaterschule im finnischen Tampere ist Anlaufpunkt für angehende Profi-Sportler.© Michael Frantzen
Im Pool trainieren Heini und Teemu normalerweise im Sommer immer mit ihren Schützlingen. Doch das gibt das Wetter heute nicht her. Vor gut einer Stunde hat es noch geregnet. Die Sommer in Nordosteuropa sind kurz und wechselhaft. Deshalb sind Indoor-Anlagen auch so wichtig, zumal sich der Winter in Finnland endlos hinziehen kann. Doch das mit den Indoor-Anlagen ist so eine Sache, speziell in der Hauptstadt.
„Ich denke, in Helsinki ist der Druck größer, die Konkurrenz. Es gibt dort weniger Freiräume für Skater. In Tampere haben wir noch diese Freiräume und genügend Leute, die Lust haben sich zu engagieren und auch bereit sind, uns politisch zu unterstützen. Hinzu kommt, dass wir hier das Sport-Gymnasium haben, das einzige in Finnland. Es gab also schon einen natürlichen Anlaufpunkt für unsere Skaterschule. Es war wie bei einem perfekten Puzzle. Es passte wirklich jedes Teil zusammen.“
Zurück in die mit Graffitis und leeren Plastikflaschen übersäte Halle und damit zu Lukas. Der 16-Jährige ist wie schon im November Feuer und Flamme fürs Skateboarding und trainiert wie wild. Alles super, meint er in einer Pause. Auch die Theorieblöcke über finnische und internationale Skatergrößen, richtige Ernährung und Video-Aufnahmen zu Trainings- und Marketingzwecken. 

Natürlich erhöht die Skaterschule unsere Chancen. Wir können so beispielsweise Kontakte zu Marken knüpfen. Sponsorverträge sind wichtig, wenn du professionell skaten willst. Also, ich kann mir gut vorstellen, Profiskateboarder zu werden. Doch die Schule hat Vorrang. Aber klar, dass Skateboarding jetzt Unterrichtsfach ist, erleichtert es dir, professionell zu skaten. Viel hängt aber auch von deiner Motivation ab. Ob du es wirklich willst.

Schüler Lukas

Die Skaterschule in Tampere von außen
Die Skaterschule in Tampere von außen © Michael Frantzen
Zurück zu Teemu, dem Schulleiter. Ohne den Mann mit den Tattoos am ganzen Körper gäbe es weder den neuen Skaterparcours, der gerade entsteht noch die Schule selbst. Eine Art finnisches Leistungszentrum fürs Skateboarding: Die Idee dazu hatte er vor sieben Jahren, vor vier Jahren gab der Stadtrat von Tampere grünes Licht, letztes Jahr dann der Startschuss – mitten in der Pandemie.
Der sonst so joviale Typ verzieht das Gesicht. Eigentlich hatten sie geplant, 20 Schülerinnen und Schüler aufzunehmen. Doch wegen Corona – den Reise-Beschränkungen – waren es am Ende nur neun. Schon mal suboptimal. Dass gerade die Kosten für die neue Skaterhalle aus dem Ruder laufen auch:
„Sperrholz ist 60 Prozent teuer als 2020. Es ist ein einziger Albtraum. Wir haben das Holz zwar bei einem finnischen Anbieter geordert, aber rate mal, woher er das Holz bezieht. Genau, aus Russland, weil es billiger ist beziehungsweise billiger war. Wegen der EU-Sanktionen ist das jetzt hinfällig. Es war lange Zeit unklar, ob wir das russische Holz bekommen oder nicht. Wir haben Glück gehabt: Es konnte noch geliefert werden, weil wir den Vertrag vor den Sanktionen abgeschlossen hatten. Mit solchen Sachen muss ich mich herumschlagen. Das nervt. Doch die gute Nachricht ist: Wir liegen im Zeitplan.“

Eine neue Skaterhalle

Ende des Monats soll die neue Skaterhalle feierlich eröffnet werden – pünktlich zum Schulbeginn. Bis dahin wird Teemu noch diverse schlaflose Nächte haben. Und hoffen, dass im zweiten Jahr tatsächlich 20 Neuzugänge an die Skaterschule kommen. Angemeldet haben sich schon mehr Jugendliche, als sie aufnehmen können. Einige würden sogar extra nach Tampere ziehen.

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Noch etwas ist beim Skateboarding besonders: Es kostet nicht viel. Eigentlich, betont Teemu, brauche man nur sein Skateboard und einen Anlaufpunkt:
„Wir bieten alle möglichen Aktivitäten an neben unserem regulären Schulbetrieb. Wir machen auch Jugendarbeit. Zu uns kommen langzeitarbeitslose Jugendliche, sie können bei uns skaten und eine Art Ausbildung machen in der Verwaltung. Das ist das Tolle an der Skaterkultur: Jeder ist Willkommen. Du findest hier ganz verschiedene Leute und Kulturen, Altersklassen, Geschlechter. Alles unter einem Dach.“

Das Selbstbewusstsein der Jugendlichen stärken

Im Juni war Teemu zusammen mit Heini und zwei anderen finnischen Skateboardern für eine Woche im Baltikum, in Litauen. Der Leiter der Skaterschule strahlt: Ein Riesenspaß, die Workshops, die ganze Reise. Alle zusammen in seinem klapprigen Wohnwagen, erst mit der Fähre von Helsinki nach Estland. Dann weiter über Lettland in die litauische Hauptstadt Vilnius.
Teemu kennt dort ein paar Skater, die auch schon bei ihm in Tampere zu Besuch waren und es kaum fassen konnten, dass es in Finnland eine staatliche Skaterschule gibt. 
„Überall dort, wo es eine starke Skateboarding-Szene gibt und genügend engagierte Leute, hast du die Möglichkeit, eine Schule wie unsere zu gründen. Davon bin ich fest überzeugt. Am besten angeschlossenen an eine bereits existierende Schule, wie wir das gemacht haben. Das kann ein Sportgymnasium sein oder eine Polytechnische Schule wie in Litauen. Wichtig ist: Das Gesamtpaket muss stimmen. Es sollte nicht nur ums Sportliche gehen, sondern auch darum, das Selbstbewusstsein der Jugendlichen zu stärken. Ich habe unseren litauischen Freunden gesagt: Ihr habt doch auch eine lebendige Szene. Warum gründet ihr nicht auch eine Skaterschule?“
Es ist spät geworden, der Unterricht ist zu Ende. Draußen hat sich die Abendsonne doch noch ihren Weg durch die Wolken gebahnt. Beste Voraussetzungen also, um den Tag ausklingen zu lassen. Für Teemu und Heini. Auf dem Skateboard.
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