Singen als "wahnsinnige Bereicherung"

Von Eva Wolk |
Seit etwas mehr als einem Jahr besetzt in Deutschland erstmals eine Frau die Position eines Domkapellmeisters. Lucia Hilz ist verantwortlich für die acht Musikensembles der Münchner Liebfrauenkirche.
"Ich hab Kirchenmusik und Gesang studiert und war Assistentin vom Domkapellmeister in Rottenburg, und dann war ich ein Jahr lang Stimmbildnerin und Solistenbetreuerin in einem anderen Knabenchor in Calw bei den Aurelius-Sängerknaben, und dann bin ich 2006 nach München gekommen und hab' da die Assistenz übernommen an der Dommusik."

Mittwoch Nachmittag, Domsingschule München. Lucia Hilz probt mit dem A-Chor der Domsingknaben eine Hymne aus England: "Rejoyce In The Lord Always."

Als die Position des Domkapellmeisters vor einem Jahr neu ausgeschrieben war, setzte sich die gebürtige Münchnerin gegen 38 andere Bewerber durch – als erste Frau auf diesem Posten, den sie zuvor bereits kommissarisch ausübte und so mit ihrer Leistung überzeugen konnte, wie sie sagt. Welche Reaktionen hat sie auf ihre Berufung erfahren?

"Keine Besonderen – also es gab Ordinariatsrätinnen, die geschrieben haben; ich habe viele Glückwünsche bekommen, aber von überall her; man hat persönliche Beziehungen zu Menschen in der Pfarrei und zum Domkapitel, weil sie mich kannten. Und insofern waren keine besonderen Vorkommnisse."

Lucia Hilz macht den Eindruck einer ruhigen, selbstbewussten Persönlichkeit, die ihre Aufgaben mit großer Ernsthaftigkeit und vollem Einsatz angeht – und dabei viel Freude hat.

"Ich versuche, die Musik rauszusuchen, die zu dem jeweiligen Anlass passend ist, dann versuche ich das auch den jeweiligen Chören so zuzuordnen, wie sie gerade besetzt sind und was gerade ihre Stärken sind, damit man sie auch weiter fördert, und dann geht´s in die Planung: Wer probt, mit welchen Ensembles probe ich. Abends mit den Älteren bzw. mit dem Domchor. Und die Capella Cathedralis, die Profis, die kommen am Sonntag. Dann habe ich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mir helfen, das einzustudieren, und dann geht's auch ans Dirigieren: Jeden Sonntag ist ein anderes Ensemble dran.

Nachmittags geht´s in die Domsingschule raus, und da ist eigentlich so die Hauptaufgabe, die Jugend zu fördern von früh an, diese 150 Kinder, die es ungefähr sind – wir haben jetzt wieder sehr viele neue Anfänger, sehr viele Mädchen, Gottseidank auch einige Jungs."

Weil ihr Assistent Mark Ehlert heute die Probe am Klavier begleitet, kann sich die Domkapellmeisterin ganz ihren Sängern widmen: Den noch hellen Kinderstimmen der Neun- bis 13-jährigen Jungs und denen der 14- bis 18-jährigen, die den Stimmbruch hinter sich haben. Jede Chorprobe beginnt erst mal mit Aufwärmübungen.

"Bevor man überhaupt einen Ton singt, ist es wichtig, alles sein zu lassen, was einen beschäftigt, und sich konzentrieren zu lernen, ruhig zu atmen und dann ruhig zu stehen auch. Und dann sucht man sich bei den Kleinen schöne Lieder, die eben stimmbildnerisch auch vorwärts bringen, aber auch sehr viel Spaß machen, auch Bewegungslieder: Wenn man einfach nur 'Auf der Schwäbschen Eisenbahn' spielt, und die Kinder müssen im Rhythmus schnaufen, um ihr Zwerchfell zu aktivieren."

Ein Jahr ist die erste Domkapellmeisterin im Amt – wie gefällt sie denn ihren Zöglingen? Ben und Fabian sind acht, Louis ist elf und Frederik zählt mit seinen 17 Jahren zu den Männern im Chor. Macht es für die Vier einen Unterschied, ob ein Herr Domkapellmeister oder eine Frau Domkapellmeisterin mit ihnen probt?

Ben: "Also ich finde, das ist eigentlich immer ziemlich gleich – außer, dass es das letzte Mal ein Mann war."

Louis: "Vielleicht macht sie ein bissel mehr."

Frederik: "Also es sind halt schon beim Einsingen ein paar andere Übungen dazugekommen, und ein paar singen wir jetzt auch nicht mehr. Sie ist sehr direkt und weiß, was sie will, und versucht das auch zu erreichen – aber dass sie jetzt so streng ist, dass man sagen müsste, man hätte jetzt schon fast Angst vor ihr, das ist eigentlich nicht so."

Frau Hilz ist also okay? Allgemeines Kopfnicken. Und was macht am meisten Spaß?
Ben: "Das Singen natürlich."

Louis: "Und dann noch das Fußballspielen nach der Probe drüben auf dem Sportplatz."

Frederik: "Das gehört auch irgendwie dazu, ist fast schon Tradition eigentlich. Und ... Ja, welches Stück gefällt mir am besten ... ?"

Louis: "Das Jubilate Deo gefällt mir sehr gut. Es ist etwas anders, würd' ich sagen, als die anderen Stücke."

Frederik: "Wir haben jetzt zwei Lieder, die mehr in den Jazz reingehen, und das macht eigentlich auch super viel Spaß."

Louis: "Die Rhythmuswechsel bei den Jazzliedern find´ ich sehr herausfordernd und deshalb auch schön."

Fabian: "Ich finde den Rhythmus ein bisschen cooler als bei den anderen."

Heute steht aber erst mal noch eins der Lieblingsstücke von Louis auf dem Probenplan: "Jubilate Deo".

Lucia Hilz: "Bei den Kindern ist es schon so, dass es gerade durch Ganztagsschulen und durch neue Anforderungen an den Schulen schwieriger geworden ist, sich dafür zu entscheiden, ein so anspruchsvolles Hobby auszuüben, dass man wirklich dann später sogar zweimal die Woche kommt und Stimmbildung hat, die Chorstunden regelmäßig besuchen kann und wirklich dabeibleibt, und sich dafür zu engagieren ist schon ein Schritt, wo man durchaus für Werbung machen muss, weil das nicht immer ganz klar ist, was das für ne wahnsinnige Bereicherung ist.

Allein schon das richtige Atmen wieder zu lernen – wenn die Kinder nur noch durch ihre ganze Anspannung schon gar nicht mehr richtig atmen können, sondern nur noch hochatmen und gar nicht mehr durchschnaufen können.

Und wenn sie dann zu sich selber finden, wie das so schön heißt, weil sie einfach zu sich und ihrem Körper einen Bezug aufgebaut haben, dann kann man natürlich auch in die Tiefe gehen und sagen, die Seele wird auch erhoben."
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