Simeon Wade: „Foucault in Kalifornien"

Das himmlische Elixier

34:20 Minuten
Cover von Simeon Wade „Foucault in Kalifornien"
© Kiwi

Simeon Wade

Aus dem Amerikanischen von Tino Hanekamp

Foucault in Kalifornien. Wie der große Philosoph im Death Valley LSD nahm – eine wahre GeschichteKiepenheuer & Witsch, Köln 2022

176 Seiten

20,00 Euro

Von Andrea Roedig · 18.08.2022
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Hatte Michel Foucault im Death Valley die Erleuchtung seines Lebens? Simeon Wade war überzeugt davon. Sein Bericht ist eine skurrile Mixtur aus Heiligenlegende und Pulp Fiction. Also: Nichts für nüchterne Zeitgenossen.
Simeon Wades Bericht zu lesen, ist im wahrsten Sinne des Wortes peinlich, und gut ist, dass der Verlag ihn mit zwei Essays flankiert, denn nichts ist einfacher, als diese skurrile Geschichte aus dem Jahr 1975 als blanken Unsinn abzutun.
Im Vorwort beschreibt Schriftstellerin Heather Dundas, wie sie im Jahr 2014, einem Gerücht folgend, Kontakt zu Simeon Wade aufnahm, der eremitisch zurückgezogen ohne Computer und Telefon und reichlich verwahrlost in Oxnard, Kalifornien lebte. Nach einigen Treffen überreichte er ihr schließlich das Manuskript seines Berichts über Foucaults LSD-Erfahrung im Death Valley, für den er – 1990 verfasst – keinen Verleger gefunden hatte.
Dundas suchte mühsam nach Belegen, fand einige Magazinfotos, die Foucault und Wade zusammen zeigten, doch erst nach Wades Tod im Jahr 2017 tauchten auch Briefe auf, die bewiesen: der Trip ins Death Valley hat wirklich stattgefunden und Foucault hielt auch darüber hinaus Kontakt zu Wade.

Die hübschen Bewunderer

Nun ist die „wahre Geschichte“ also publiziert, geschrieben ist sie aus der Perspektive eines damals 35-jährigen Assistenzprofessors, dem es gelang, den weltberühmten Philosophen für drei Tage von seiner Gastprofessur in Berkeley wegzulocken an die Claremont Graduate School, was nur ein Vorwand war für das eigentliche Experiment: dem größten aller Philosophen durch das „himmlische Elixier“ LSD ein unvergleichliches Erlebnis zu schaffen.
Foucault, 49-jährig, ließ sich von seinem hübschen Bewunderer gerne überreden. Der Bericht schildert alle Stationen der Reise, die Ankunft Foucaults, seinen Besuch im Haus der Gastgeber, den Trip ins Death Valley – LSD in sagenhafter Landschaft und zu Stockhausens „Gesang der Jünglinge“ vom Tonband – einen Vortrag, den Foucault hielt, einen Besuch bei einer in den Bergen lebenden Kommune.
Die Jünger rücken an den Meister heran und bestürmen ihn mit Fragen, die teils sachlich sind: „Was hältst du von Artaud? Kennst du Boulez? Glaubst du noch an den 'Tod des Subjekts'?“, teils privat bis erotisch: „Machst du Yoga? Gefallen dir brasilianische Männer? Masturbierst du?“ Jedes noch so kleine Wort des Meisters wird aufgesogen und minutiös überliefert.

Die Augen des Meisters

Dieser "erleuchtete" Bericht ist nichts für nüchterne Geister. Er ist eine ziemlich schlimm geschriebene Heiligenlegende im repetitiv-ermüdenden Muster eines „Question and Answer“-Katalogs, denn Wade ist, das schreibt er selbst, „eine Labertasche“.
Die Erfahrung im Death Valley habe Foucaults späte Philosophie maßgeblich beeinflusst, glaubt Wade. Das ist nicht ganz unplausibel und zugleich maßlos übertrieben, wie alles in diesem Bericht, der in jeder Hinsicht den guten Geschmack verletzt. Die distanzlose, erotisch besetzte Adoration des Meisters, dessen Augen „funkelten mit dem Glanz der über dem Zabriskie Point aufgehenden Venus“, wirkt komisch, peinlich für alle, die den Rausch nicht teilen. Gleichzeitig ist der Bericht von so anrührender Unmittelbarkeit, dass man ihn im Grunde nicht schelten darf.
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