Sigrid Undset: „Kristin Lavranstochter. Das Kreuz“

Menschliche Tragödie von Shakespearscher Wucht

06:52 Minuten
Die Literaturpreisträgerin von 1928, die norwegische Schriftstellerin Sigrid Undset, sitzt in diesem Schwarz-weiß-Foto in einem Lehnstuhl und blickt in die Kamera. Im Hintergrund ist ein Bücherregal zu erkennen.
© picture alliance / Mary Evans Picture Library

Sigrid Undset

Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs

Kristin Lavranstochter. Bd. III. Das KreuzAlfred Kröner Verlag, Stuttgart 2022

576 Seiten

25,00 Euro

Von Peter Urban-Halle · 29.06.2022
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Für ihre Romane rund um die Heldin Kristin Lavranstochter erhielt die Norwegerin Sigrid Undset 1928 den Literaturnobelpreis. In neuer Übersetzung erscheint jetzt der letzte Band. Der zeigt, wie zerrüttet Kristins Ehe ist und wie sie im Kloster landet.
Erinnern wir uns kurz: Im 14. Jahrhundert wächst Kristin im Süden Norwegens auf. Gegen den Wunsch des Vaters heiratet sie den verführerischen Erlend (von dem sie schon ein Kind erwartet), der dann durch Leichtlebigkeit und politische Unbesonnenheit (eine Intrige gegen den König) in Ungnade fällt, Hab und Gut verliert und die Zukunft seiner sieben Söhne zerstört. Die Familie muss in den Jørundhof umziehen, wo Kristin aufgewachsen ist

Kriselnde Ehe

Für Erlend ein schwerer Schlag. Er stammt aus edler Familie und fühlt sich als Krieger und Ritter; ein sorgsamer Hofverwalter, geschweige denn ein Bauer war er nie. Darum muss sich Kristin kümmern. Sie will ihrem Mann nichts vorwerfen. Aber dann kommt es doch zum Streit zwischen den beiden, deren Ehe seit Langem kriselt (auch weil sie nie unter einem guten Stern stand).

Ungemein spröder Stil

Dass sie ihn weiterhin liebt, steht außer Frage: Immer hat sie, wie sie sagt, „in seiner Umarmung gelebt“ – eine freilich etwas zwiespältige Erkenntnis. Dass der Schwager Simon, dem sie einst versprochen war, sie immer noch liebt, ist der allgemeinen Familienharmonie auch nicht gerade zuträglich.
Undsets Stil kann ungemein spröde sein, vor allem bei langatmigen Pflichtinformationen zu historischen Ereignissen oder persönlichen Beziehungen unter den zahlreichen Familienmitgliedern. Viel lebendiger wird ihr Ton, wenn sie ungeahnte Leidenschaften oder Sehnsüchte z.B. ihrer Hauptfigur offenlegt, die sich nach dem Leben vor Erlends Unbesonnenheit zurücksehnt, dem Trubel, dem Reichtum, der Vornehmheit, der Schönheit.
Vernünftig sein heißt, die Wahrheit ertragen zu können – das ist eine Moral dieses Epos. Nach Erlends Tod, den er auch durch seinen Jähzorn erleidet, fühlt sie sich alt. Aber sie hat auch so viel mehr erlebt, gedacht und in die Wege geleitet als andere 40-jährige Frauen. Ihre Gottessuche, von Anfang an die treibende Kraft, führt sie am Ende ins Kloster.

Literatur als Nationenbildung

Undsets berühmte Trilogie erschien vor genau 100 Jahren; man merkt es ihr teilweise an. Man darf nicht vergessen, dass im Norwegen jener Zeit gerade in der Literatur eine nationale Bildung (in zweierlei Sinn) gefördert werden sollte; hier sei angemerkt, dass ein fundiertes Nachwort angenehm gewesen wäre.
Seit der Auflösung der Union mit Schweden 1905 entstehen epische „Monumentalisierungen“ wie eben dieser Roman hier, dem für die nationale Sache auch der Kitsch nicht fremd ist: „Lurentöne erklangen aus den Bergen …“ Das sind glücklicherweise Ausnahmen.
Grundsätzlich sind ihre Naturbeschreibungen überragend, von großer Macht und Anschaulichkeit – ebenso übrigens (als wären es zwei Seiten einer Medaille) wie ihre Katastrophenschilderungen, sei es der Brand eines Hauses, sei es der Einfall der Pest; sie haben eine Kraft und Verzweiflung, die ihresgleichen sucht.
Und eigentlich besitzen die dramatischen Ereignisse und menschlichen Tragödien eine geradezu Shakespearsche Wucht.
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