Siegfried Bräuer, Günter Vogler: "Thomas Müntzer"

Neues vom Satan

Eine Plastik Büste Thomas Müntzers erinnert vor dem Rathaus der malerischen Fachwerkstadt Stolberg am 04.09.2012 an den legendären Bauernführer und Sohn der Stadt.
Eine Büste Thomas Müntzers in seiner Geburtsstadt Stolberg © dpa-Zentralbild / Hendrik Schmidt
Von Klaus-Rüdiger Mai · 17.12.2016
Luther hielt ihn für einen Satan, die DDR-Obrigen machten ihn zum Vorkämpfer des Sozialismus: Eine neue Biografie versucht, den evangelischen Prediger und Reformator Thomas Müntzer von ideologischen Vereinnahmungen zu befreien – und zeigt einen Gottesmann mit fragwürdigen Thesen.
"Leite du, König uns, und Held / dass wir wandeln, wie Dir's gefällt / singen auch Lob und Ehr/ mit dem ganzen Himmelsheer." Das Lied, aus dem die Zeilen stammen, findet sich noch heute im evangelischen Gesangsbuch. Ihr Autor, Thomas Müntzer wurde einst zu den Anhängern Luthers gezählt. Der Reformator selbst sollte bald schon den ärgsten Rottengeist in ihm sehen, einen Aufwiegler, einen Satan und Verführer.

Ein "Theologe des Umsturzes"

In der Geschichte gehört dieser Thomas Müntzer aus Stolberg, der wohl um 1490 im Harz geboren und am 27. Mai 1525 vor den Toren Mühlhausens enthauptet wurde, zu den schillernden Figuren. Nach der Hinrichtung wurde der mitteldeutsche Theologe vergessen – nur nicht von Martin Luther, für den blieb er eine ständige Mahnung. Doch die Reformationsgeschichte hatte den Theologen des Umsturzes schnell zur Randnotiz erklärt und sich nicht weiter um ihn gekümmert. Wiederentdeckt wurde er erst im 19. Jahrhundert durch Wilhelm Zimmermann, in dessen vielgelesener Geschichte des Bauernkrieges Thomas Müntzer die zentrale Rolle einnahm.
Mitglieder des DDR-Jugendverbandes Freie Deutsche Jugend (FDJ) während einer Zeremonie im Ferienlager "Thomas Müntzer" am Kyffhäuser in Thüringen. Im Hintergrund ein großes Porträt des evangelischen Theologen und Reformators Thomas Müntzer
Mitglieder des DDR-Jugendverbandes FDJ während einer Zeremonie im Ferienlager "Thomas Müntzer" © dpa / gerig
Zimmermanns Vorlage nutzte Friedrich Engels, um den Theologen der Reformationszeit in einen Revolutionär gemäß der Geschichtskonstruktion des Historischen Materialismus zu verwandeln, nachdem die Geschichte eine Geschichte von Klassenkämpfen ist. Ein knappes Jahrhundert später wollte der utopievernarrte Philosoph Ernst Bloch, der endlos zwischen dem Nicht-mehr und dem Noch-nicht umherirrte, in Thomas Müntzer den "Theologen der Revolution" sehen. Schließlich wurde der Stollberger für die DDR zu einem Säulenheiligen und nahm einen zentralen Platz in dem famosen Konzept der "frühbürgerlichen Revolution" ein.

Die Autoren nehmen ihren Protagonisten ernst

Allein, das alles hat mit dem historischen Thomas Müntzer wenig bis nichts zu tun. Ihn jenseits politischer Indienstnahmen zu betrachten, war das Anliegen von Siegfried Bräuer und Günter Vogler, die eine so material- wie kenntnisreiche Biografie vorgelegt haben. Bei den vielen ideologischen Vorgaben, die das Bild des Stollbergers verfälschen, kann man das Verfahren der beiden Biografen regelrecht als Flucht in die Quellen bezeichnen. So bemerken sie einleitend:
"Der hier vorgelegte biografische Versuch basiert primär auf den authentischen Quellen."
Dadurch gelingt es zumindest über große Strecken, Thomas Müntzer aus seiner Zeit heraus zu verstehen. Im Gegensatz zu anderen Darstellungen nehmen die Autoren den Theologen Thomas Müntzer als suchenden Menschen in Zeiten des Umbruchs ernst, erkunden minutiös seine theologische Entwicklung und sehen von dem zweifelhaften Verfahren ab, Müntzers Theologie in unsere Zeit zu "übersetzen".

Das Wittenberg-Kapitel bleibt unbefriedigend

So zeichnen sie sein Leben von seiner Herkunft aus Stolberg über das Studium in Leipzig und Frankfurt/Oder über die beruflichen Stationen in Braunschweig und Frose nach. Über Müntzers Aufenthalt in Wittenberg, gerade in der ereignisreichen Zeit von 1517 bis 1519 erfahren wir aber leider sehr wenig. Sicher ist das der Überlieferung geschuldet, doch der Biograf verfügt über Recherche-, Analyse- und Prospektionsmöglichkeiten, die auch geringe Belege und sachverständig gewichtete Indizien nutzbar machen können, um so die Quellen auch auf andere Arten "zum Sprechen" zu bringen. Gerade in Ansehung der Bedeutung dieser Jahre für Müntzers Entwicklung im Besonderen und für die Reformationsgeschichte im Allgemeinen bleibt dieses Kapitel unbefriedigend.
Die Biografie stellt Müntzers Radikalisierung und Selbstradikalisierung nachvollziehbar dar und befreit den Theologen zumindest weitgehend vom Klischee des Sozialrevolutionärs.

"Ein gottloser Mensch hat kein Recht zu leben"

Ganz freilich gelingt es auch den Biografen nicht, dem Schatten der Rezeptionsgeschichte zu entkommen. Tatsächlich findet sich in Müntzers Texten nirgendwo ein Interesse an sozialer Gerechtigkeit. Dem Stolberger ging es um eine christliche Endzeitgemeinde, eine Gemeinde der Auserwählten. Auch war der selbsternannte Prophet nicht zimperlich darin, zu empfehlen, alle zu erwürgen, die dieser Vorstellung nicht zu folgen bereit waren: "Denn ein gottloser Mensch hat kein Recht zu leben."
Während Thomas Müntzer die Gottlosen hingerichtet sehen wollte, warnte Luther davor, denn für ihn war Ketzerei ein "geistlich Ding", das es nicht mit dem Schwert, sondern nur mit Gottes Wort zu bekämpfen galt: "Es wäre jedenfalls viel leichter, wenn ihre Untertanen schon irreten, dass sie sie schlechthin irren ließen, als dass sie sie zur Lüge und anders zu sagen nötigen, als sie es im Herzen haben. Es ist auch nicht recht, dass man Bösem mit Ärgerem wehren will."

Fehlerhafte Darstellungen zu Luther

Wie er sich das Leben seiner Gemeinde konkret vorstellte, hat er nie zu Papier gebracht. Und Luthers Verständnis der Obrigkeit, seine Aussagen zum Widerstandsrecht? Sie sind in der vorliegenden Biografie in ihrer Verkürzung schlicht falsch. Auch Luther erkennt das Widerstandsrecht der Untertanen an. Natürlich vertritt er das Gewaltmonopol der Obrigkeit, aber eben nur, solange die Obrigkeit ihren Pflichten nachkommt, denn sonst wäre sie schon keine Obrigkeit mehr.
Weder die empfehlenswerte Biografie, noch die Figur Thomas Müntzers hätte eine Herabsetzung Luthers benötigt, um zu leuchten. Sieht man von diesen Einwänden ab, glückt Siegfried Bräuer und Günter Vogler eine Biografie, die durchaus als Standardwerk zum Leben und Denken Thomas Müntzers taugt.

Siegfried Bräuer, Günter Vogler: Thomas Müntzer. Neu Ordnung machen in der Welt
Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2016
542 Seiten, 58 Euro

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