Sibelius und Schostakowitsch

Manfred Honeck in Kopenhagen

Der Dirigent Manfred Honeck schaut mit aufgestützem Kinn in der Hand direkt in die Kamera.
Der Dirigent Manfred Honeck liebt ausgedehnte Wanderungen, wie einst Beethoven. © Manfred Honeck / Felix Broede
Moderation: Volker Michael · 24.01.2021
Der Dirigent Manfred Honeck ist im November 2020 spontan beim Nationalen Dänischen Sinfonie-Orchester eingesprungen. Auf dem Programm stand Jean Sibelius' Violinkonzert mit dem Solisten Augustin Hadelich und Dmitrij Schostakowitschs 5. Sinfonie.
Das erste Werk des Konzerts des Dänischen Nationalen Sinfonieorchesters ist ein Renner im Repertoire. Es war jedoch gar nicht ausgemacht, dass dieses Stück einmal zu den Lieblingen sowohl der Interpreten als auch des Publikums werden würde: Dabei mitgeholfen hat sicher, dass es in Helsinki seit Jahrzehnten einen renommierten Violinwettbewerb gibt. Darin müssen sich alle Teilnehmer beweisen, wie gut sie das Violinkonzert von Jean Sibelius spielen.

Aufregend und leidenschaftlich

Die Erstaufführung in Helsinki sorgte für ein gemischtes Echo. Manch ein Kritiker schlug Änderungen vor. Andere hielten es für zu virtuos und traditionell. Der Solist in der Kopenhagener Aufführung, Augustin Hadelich, findet Sibelius' einziges Violinkonzert sehr passend für seine Bedürfnisse.
So hat er es im Dänischen Radio erzählt: "Ich habe sofort gemocht, wie leidenschaftlich und ausdrucksstark die Musik ist - und aufregend. An manchen Stellen auch seltsam und ungewöhnlich. Es gibt kein anderes Stück mit solchen Themen, Charakteren und Rhythmen."
Ein junger Mann sitzt auf einem grünen Wiesenhang.
Der Geiger Augustin Hadelich© Suxiao Yang
Der Geiger Augustin Hadelich stammt aus einer italienisch-deutschen Familie und lebt seit vielen Jahren in den USA. Dort arbeitet seit langem auch der Wiener Dirigent Manfred Honeck. Er ist dort Musikdirektor des Pittsburgh Symphony Orchestra.

Wie eine romantische Sinfonie

Das große Werk im zweiten Teil war die fünfte Sinfonie von Dmitrij Schostakowitsch. Meistens werden die großen Werke des russischen Komponisten, vor allem seine Sinfonien, als Bekenntniswerke dargestellt, als Zeichen des Kampfes um Freiheit und künstlerische Selbstverwirklichung im kommunistischen System Josef Stalins.
Dabei bleibt oft auf der Strecke, dass Schostakowitsch sich sehr kreativ mit allen möglichen Traditionen beschäftigt hat, mit der russischen Sinfonik oder dem Kontrapunkt Johann Sebastian Bachs. Er wählte die tradierte Form von vier Sätzen.

Wienerisch in Leningrad

Als Wiener Musiker wollte Manfred Honeck bei seinem Auftritt in Kopenhagen vor allem eine bestimmte Querverbindung betonen. So verriet er im dänischen Interview: "Was ich unbedingt erwähnen muss: Seine Liebe zu Gustav Mahler. Er hat Mahlers Partituren intensiv studiert. Und man muss bedenken, dass Mahler zu dieser Zeit kaum gespielt wurde.
Ein junger Mann mit auffällig schwarz gerandeter Brille sitzt seitlich an einem Flügel.
Der junge Dmitrij Schostakowitsch auf einem Foto aus dem Jahr 1929.© imago images / Photo12 / Archives Snark
Erst Leonard Bernstein hat eine Renaissance begründet von Mahlers Musik. Doch Schostakowitsch kannte dessen Musik schon. Der zweite Satz der 5. Sinfonie zum Beispiel ist komplett wienerisch. Die tiefen Streicher beginnen wie im zweiten Satz von Mahlers erster Sinfonie, fast mit demselben Rhythmus und Charakter. ... Ich mache das sehr österreichisch. Ich bin mir sicher, dass er das von Mahler kopiert hat. ... Mahlers Musik spricht von Liebe und sucht die Ewigkeit. ... Ich finde es erstaunlich, wie Schostakowitsch sein Gefühl für Mahlers Musik integriert hat."

Antwort auf berechtigte Kritik?

Entstanden ist Schostakowitschs 5. Sinfonie zwischen 1936 und 1937. In der offiziellen Presse wurde sie als "Antwort eines sowjetischen Künstlers auf berechtigte Kritik" ausgegeben. Im Vergleich zur damals nicht gespielten vierten Sinfonie ist dieses Werk einfacher, gradliniger und emotional eindeutiger.
Seine musikalische Persönlichkeit nimmt Schostakowitsch hier ein wenig zurück. Seit seiner Studienzeit, die er mit der Begleitung von Stummfilmen am Klavier verbracht hatte, wusste er, wie man Musik emotional zuspitzt, in ihrer Wirkung in eine bestimmte Richtung führt.

Krampf beim Lächeln

Die typischen sarkastischen Märsche und vor allem die ergreifenden Melodiebögen sind in ihrer Eindeutigkeit nicht zu übertreffen. Über die ausgelassene Stimmung im Schlusssatz wurde häufig spekuliert – hat Schostakowitsch hier extra dick aufgetragen, um den Krampf zu verdeutlichen, den er beim klingenden Lächeln empfindet. Oder gibt es auch ein wenig wahrhaftigen Optimismus in diesem Satz?
Konzerthaus von Danmarks Radio, Kopenhagen
Aufzeichnung vom 26. November 2020
Jean Sibelius
Violinkonzert d-Moll op. 47
Dmitrij Schostakowitsch
Sinfonie Nr. 5 d-Moll op. 47

Augustin Hadelich, Violine
Dänisches Nationales Symphonie-Orchester
Leitung: Manfred Honeck

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