Shumona Sinha: "Staatenlos"

Ein Mosaik aus drei Leben

Buchcover "Staatenlos" von Shumona Sinha, im Hintergrund eine Inderin beim Wäscheaufhängen
Buchcover "Staatenlos" von Shumona Sinha, im Hintergrund eine Inderin beim Wäscheaufhängen © Edition Nautilus / unsplash.com / Igor Ovsyannykov
Von Birgit Koß · 27.10.2017
Ihr Debütroman "Erschlagt die Armen" sorgte international für Furore. Shumona Sinhas drittes Buch handelt wieder von Gewalt und Unterdrückung: Die streitbare Autorin fügt die Geschichten dreier Inderinnen in Paris, Kalkutta und der indischen Provinz zusammen.
Shumona Sinha ist eine sehr streitbare Autorin. Bereits mit ihrem ersten Roman "Erschlagt die Armen" zum Thema Asylpolitik erregte sie in Frankreich, aber auch darüber hinaus großes Aufsehen. Nun liegt ihr dritter Roman in deutscher Übersetzung vor: "Staatenlos". Darin erzählt die Autorin von drei Inderinnen mit sehr unterschiedlichen Lebenswegen in Indien und Frankreich.
Ursprünglich hatte Shumona Sinha einen Roman über die Situation der armen Frauen auf dem Lande in Bengalen geplant. Diese wird über die Figur Mina transportiert. Doch wegen der spürbaren Veränderungen der Stimmung in Paris nach den Terroranschlägen der letzten Jahre, wollte sie auch dazu Stellung beziehen und schuf die Protagonistin Esha. Die Verbindung dieser beiden Frauenschicksale wird durch Marie hergestellt.
Mina ist eine Analphabetin, die mit ihrer Familie auf dem Lande wohnt. Die Bauern bearbeiten den Boden seit Generationen, ohne dass er ihnen gehört. Nun sollen sie wegen des Baues eines großen Automobilwerkes umgesiedelt werden. Dagegen engagiert sich die junge Frau politisch und kommt somit in Konflikt mit der in Bengalen herrschenden kommunistischen Partei. Doch noch folgenreicher ist ihre Beziehung zu ihrem Cousin, den sie seit Kinderzeit liebt. Mina wird schwanger, aber die Familien stellen sich vehement gegen eine Heirat.
Die indisch-französische Schriftstellerin Shumona Sinha liest am 12.03.2017 in Köln auf der Lit.Cologne, dem interationalen Literaturfest.
Die indisch-französische Schriftstellerin Shumona Sinha auf der Lit.Cologne in Köln© dpa

Die Liebe zur französischen Sprache brachte sie nach Paris

Dagegen stammt Esha aus einer wohlsituierten Familie aus Kalkutta und ist - wie Shumona Sinha auch - aus der Liebe zur französischen Sprache nach Paris gekommen. Esha arbeitet als Englischlehrerin in den Banlieues und hat es schwer, ihre oft sozial benachteiligten Schüler für ihren anspruchsvollen Unterricht zu gewinnen. Die attraktive junge Frau genießt ihre Unabhängigkeit und hat viele wechselnde Männerbekanntschaften. Doch in den letzten Jahren spürt sie zunehmend ihre Position als Außenseiterin, erfährt rassistische und sexistische Übergriffe.
Die Bengalin Marie wurde als Kind von einer reichen französischen Familie adoptiert und ist nun auf der Suche nach ihren unbekannten Wurzeln. Dazu reist sie regelmäßig nach Indien, kommt mit Marie in Kontakt und ist per Internet auch mit Esha verbunden.
Diese drei Geschichten setzen sich erst mit der Zeit mosaikartig zusammen. In kurzen Kapiteln beschwört die Autorin eindrückliche, sprachgewaltige Bilder, hervorragend übersetzt von Lena Müller, die zusammen mit Shumona Shina für "Erschlagt die Armen" den Internationalen Literaturpreis 2016 des Hauses der Kulturen der Welt erhielt. Die Schriftstellerin verhehlt nicht, dass die negativen Erlebnisse Eshas stark autobiografisch geprägt sind. Damit hat sie sich nicht nur Freunde gemacht. Während Shumona Sinha im Fernsehen und bei Diskussionsrunden ein gern gesehener Gast ist, fühlt sie sich vom französischen Zeitungsfeuilleton weitgehend ignoriert und vermutet, dass sie als Nestbeschmutzerin gilt. Doch das wird sie nicht daran hindern, der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten und auch weiterhin deutliche Worte gegen oft unbewusst ausgeübte Gewalt und Unterdrückung zu finden.

Shumona Sinha: Staatenlos
Aus dem Französischen von Lena Müller
Edition Nautilus, Hamburg 2017
159 Seiten, 19,90 Euro

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