Shon Faye: "Die Transgender-Frage"

Was es heißt, trans zu sein

05:44 Minuten
Cover von Shon Fayes "Die Transgender-Frage".
© Hanser

Shon Faye

Aus dem Englischen von Jayrôme C. Robinet und Claudia Voit

Die Transgender-Frage. Ein Aufruf zu mehr Gerechtigkeithanserblau, München 2022

336 Seiten

25,00 Euro

Von Vera Linß · 19.08.2022
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Die Aktivistin Shon Faye fordert, den Blick auf die Alltagsdiskriminierung von trans Menschen zu richten. Welchen Problemen diese gegenüberstehen, zeigt sie in dem Buch "Die Transgender-Frage": Es ist eine herausragende Bestandsaufnahme.
Wenn öffentlich über trans Menschen gesprochen wird, sind die Themen überschaubar. Wann dürfen sie auf die Männer-, wann auf die Frauentoilette? Oder: Wie läuft das mit den Genital-OPs? Selten geht es auch mal um Politik, wie aktuell in Deutschland um ein geplantes Selbstbestimmungsgesetz, mit dem jeder sein Geschlecht künftig selbst festlegen kann.
Die britische LGBTIQ-Aktivistin Shon Faye hält nichts von den oberflächlichen Diskursen. Sie stellt die so genannte „Transgender-Frage“ neu – und spricht über die wirklichen Probleme von trans Menschen. Deren Nöte würden bislang weitgehend von der Öffentlichkeit ignoriert.

Kritik am Gesundheitswesen

Dabei gleicht ihr Leben einem Hindernislauf, geprägt von Vorurteilen, Unkenntnis und fehlender Infrastruktur für die besonderen Bedürfnisse von trans Menschen. Shon Faye, männlich geborene trans Frau, beleuchtet beispielsweise das Schulsystem, wo betroffene Kinder stetig mit Stigmatisierungen rechnen müssen und auf das Wohlwollen Erwachsener angewiesen sind.
Hart geht die Aktivistin auch mit dem britischen Gesundheitswesen ins Gericht, das trans Menschen strukturell diskriminiere, ebenso wie das Sozialsystem. Und auch am Arbeitsplatz gebe es Nachteile – vor allem wegen Mobbings.

Zahlen und Fallbeispiele

Shon Fayes eindrucksvolle Schilderungen sind eine Mischung aus Analyse, Statistiken und Fallbeispielen. Wie das von Rudy, der Opfer häuslicher Gewalt wurde und auf der Straße landete. Für den jungen trans Mann gab es – mitten in der Hormonbehandlung – keine passende Notunterkunft. Oder die Erfahrungen des Teenagers Henry. Jahrelang ließen ihn die Ärzte auf eine Therapie warten, weil sie Zweifel an der von ihm geäußerten Geschlechtsorientierung hatten. Ein quälender Prozess.
Aber auch die Zahlen, die Faye zusammengetragen hat, sprechen für sich. Fast sieben Millionen Pfund etwa wurden seit 2010 für soziale Unterkünfte gekürzt. Und ein Viertel aller trans Menschen in Großbritannien fühlt sich von ihren Hausärzten zu wenig unterstützt.

Medien in der Verantwortung

Erschütternd, dass kaum etwas bekannt ist über diesen Alltag. Das liegt zum einen daran, dass die Zahl der trans Menschen mit rund 0,5 Prozent der Bevölkerung gering ist. Wichtiger aber noch: Es wird nur wenig und wenn, dann meist klischeehaft oder verleumdend, berichtet.
So ist Fayes Buch auch eine beißende Medienkritik. Immer wieder zeigt sie, wie die Medien das Sonderbare und (vermeintlich) Anstößige in den Mittelpunkt stellen. Die Wirkung: mitunter fatal. 2017 etwa, nach der Ausstrahlung einer BBC-Dokumentation, seien trans Kinder in der Schule schikaniert worden.

Vergleichbare Situation in Deutschland

Shon Faye richtet den Blick ganz überwiegend auf Großbritannien. Nur vereinzelt kommen Erhebungen zur Situation in Deutschland vor. Sie belegen deutlich: Auch hierzulande erleben trans Menschen Diskriminierung. Eine detaillierte Einordnung gibt es aber nicht.
Fayes herausragende Bestandsaufnahme lässt jedoch erahnen: Viele Probleme dürften vergleichbar sein. Ihre wichtige Forderung nach gleichberechtigter Teilhabe von trans Menschen sollte deshalb auch in Deutschland ernstgenommen werden.
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