SheShePop: "Fifty Grades of Shame"

Unverschämt guter Abend an den Münchner Kammerspielen

Die Münchner Kammerspiele in der Maximilianstraße.
Intendant Matthias Lilienthal hat mit SheShePop eines der erfolgreichsten Performance Kollektive der jüngeren Zeit an die Münchner Kammerspiele geladen. © imago/ecomedia/robert fishman
Von Christoph Leibold · 03.03.2016
Das Performance Kollektiv SheShePop hat mit dem Ensemble der Münchner Kammerspiele eine wahrhaft schamlose Produktion erarbeitet. "Fifty Grades of Shame" bringt die Sado-Maso-Trilogie "Fifty Shades of Grey" mit Frank Wedekinds "Frühlingserwachen zusammen.
Auch das Theater ist ja eine Art Peepshow. Mit den Zuschauern als Spanner, die sich daran ergötzen, wenn sich die Schauspieler nackig machen. Im übertragenen Sinne, seelisch also. Und manchmal auch buchstäblich. Den Schauspieler oder die Schauspielerin in seiner oder ihrer Schamlosigkeit schützt die Rolle: nicht er oder sie ist nackt, sondern die Figur. Oder doch nicht? Manch ein Zuschauer ertappt sich beim Fremdschämen angesichts entblößter Leiber auf der Bühne: die armen Darsteller!

Wo liegt die Schamgrenze der Zuschauer?

Das ist nur eine von mindestens 50 Möglichkeiten, Scham zu empfinden, die an diesem schamlos freizügigen Abend zur Sprache kommen, an dem sich die Performer von SheShePop und Ensemble-Mitglieder der Münchner Kammerspiele in vielerlei Hinsicht entblößen, um dabei in einer Vielzahl von Varianten durchzudiskutieren und -spielen (immer ausgehend von kurz angerissenen Kernszenen aus "Frühlingserwachen"), wofür man sich alles genieren kann.
Vom Mundgeruch über das Versäumnis, einem Bettler einen Almosen gegeben zu haben, bis zu (vermeintlichen) körperlichen Unzulänglichkeiten, von denen man meint, sie müssten einem peinlich sein. Als Zuschauer kann man sich dabei sozusagen selbst einstufen: Auf einer Skala von eins bis 50 - wo liegt eigentlich meine Schamgrenze?"50 Grades of Shame" eben.
"Frühlingserwachen" und E.L. James‘ "Fifty Shades of Grey" stecken dabei das Spektrum ab. Als Wedekind seine Stück vor 125 Jahren vorlegte, war die Schamhaftigkeit noch eine ganz andere als heute, da Bücher wie die von James, die das schamlose Ausleben sexueller Phantasien feiern, Bestseller sind. Ob das ein Fortschritt ist?

Bei SheShePop bleibt "Scham" ein schillernder Begriff

Nicht unbedingt. Bei SheShePop bleibt "Scham" ein schillernder Begriff, nicht nur negativ besetzt. Zumal die Pornografisierung unserer Gesellschaft mit körperlichem Perfektionswahn einhergeht. In "50 Grades of Shame" wird dieser Körperkult konterkariert, der Körper als Konstrukt vorgeführt. Auf zwei Leinwänden werden Live-Videobilder von Köpfen einzelner Performer mit den Körpern anderer zu Patchworkpersonen montieren. Da wirft sich Christian Löber in die lässige Pose des Aufreißers Christian Grey aus den James-Romanen, das Gesicht dazu aber liefert Anna Drexler. Da entstehen Hermaphroditen-Bilder aus blanken Brüsten und baumelden Penissen. Oder der Kopf des 77jährigen Walter Hess sitzt im Videobild auf dem nackten Frauenleib von Berit Stumpf.
Ja, die Performer von SheShePop bringen durchaus eine, wie sie es nennen, "nudistische Freude" mit an die Münchner Kammerspiele, die man schamlos zu nennen geneigt ist. Dass man als Zuschauer gleichwohl nie peinlich berührt ist, verdankt sich der Ironie, die den schonungslosen, auch ungeschönten Körpereinsatz begleitet. Ein unverschämt gute Abend.
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