She She Pop über postdramatisches Theater

"Theater ist kein Speichermedium"

Ilia Papatheodorou im Gespräch mit Shanli Anwar · 19.11.2019
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Theater ohne Hierarchien, Theater im Hier und Jetzt – dafür steht seit 20 Jahren der Begriff des Postdramatischen. Ilia Papatheodorou inszeniert mit dem Kollektiv She She Pop nun ausgerechnet einen "Kanon" des Postdramatischen: eine bewusste Provokation.
Ein Theaterjubiläum steht an: 20 Jahre postdramatische Theater werden im Hebbel am Ufer in Berlin gefeiert. Der Name steht für eine Abrechnung mit dem klassischen Sprechtheater, für eine nicht-hierarchische Theaterpraxis, kollektive Autorenschaft und die Gleichwertigkeit ästhetischer Mittel – der Text, das geschriebene Drama, wird ergänzt oder ersetzt durch andere Mittel und Medien.
Das Konzept und der Begriff "Postdramatisches Theater" wurde ursprünglich vom Germanisten und Theaterwissenschaftler Hans-Thies Lehmann geprägt. Ilia Papatheodorou, eine der Gründerinnen des Performancekollektivs She She Pop, sieht darin eine Theaterform, die den Aufführungsmoment betone, das Hier und Jetzt. Ein Theater, das die Anwesenheit des Publikums anerkenne, statt eine literarische Fiktion darzustellen.

Theater mit antiken Wurzeln

Ist inzwischen alles Theater postdramatisch? Viele Formen orientierten sich zumindest heute an dem Konzept, sagt Papatheodorou. Aber in gewisser Weise gehe diese Praxis bereits auf das antike griechische Theater mit seiner runden Bühne zurück, bei der sich alle Anwesenden gegenseitig sahen.
Zur Feier des Postdramatischen performt das Kollektiv She She Pop im Hebbel am Ufer nun einen "Kanon" des postdramatischen Theaters – das aber eigentlich eine Kanonisierung und die Neuinszenierung kanonisierter Stücke ablehnt. "Der Titel ist natürlich eine Provokation", sagt Papatheodorou und erklärt: "Woran wir arbeiten, ist ein Aufführungsritual für die Erinnerung von Theatermomenten." Ein Ritual habe einerseits Regeln und Formate, andererseits öffne sich die Liste der erinnerten Momente in den Raum: Alle bei der Aufführung Anwesenden seien eingeladen, sich an der Erzählung zu beteiligen. "Wir geben dem Kanon die flüchtige Form des Theaters, das heraufbeschworen wird", so Papatheodorou.

Wenn das charismatische Feuer brennt

Ein solcher Kanon von Theatermomenten sei immer auch äußerst persönlich. In der Inzenierung von She She Pop werde es um Momente gehen, in denen "das charismatische Feuer brennt", sagt Papatheodorou, denn für sie klar: "Theater ist kein Speichermedium." Anders als andere Künste lasse es sich nicht aufbewahren.
Vollkommene Offenheit sei auch im postdramatischenn Theater nicht möglich: "Wir sind alle kanonisierte Wesen", sagt Ilia Papatheodorou. "Wir kommen leider nicht als unbeschriebene Blätter auf die Szene."
Prägung sei aber nicht nur einschränkend, sondern ermögliche auch, so Ilia Papatheodorou. Ihr Kollektiv "She She Pop" beispielsweise pflege die Tradition, sich regelmäßig auf der Bühne auszuziehen - und so das Publikum mit seinem voyeuristischen Blick auf nackte Frauenkörper zu konfrontieren. Solche Sachen könnte ihre Gruppe nur machen, weil es andere Künstlerinnen wie Yoko Ono und Marina Abramović gegeben habe, mit deren Performances bestimmte Sehgewohnheiten geprägt wurden.
(jfr)
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