Festival "Berlin bleibt!" im HAU

Singende Mieterversammlung im Theater

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Foto zur Inszenierung des Musicals "Stadt unter Einfluß" von Christiane Rösinger
Beim Festival "Berlin Bleibt!" inszeniert das Berliner HAU-Theater auch "Stadt unter Einfluß" - ein Musical zur Wohnungsfrage. © Dorothea Tuch/Theater Hebbel am Ufer
Von Gerd Brendel · 30.09.2019
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Wem gehört die Stadt? Das fragt das Berliner Hebbel am Ufer und liefert mit dem Festival "Berlin bleibt!" entsprechende Antworten. Da kommt eine Mietervereinigung als Chor auf die Bühne und in einer ehemaligen Bank kommen herausgedrängte Mieter zu Wort.
Treffen sich ein paar Kreuzberger Freundinnen am Spätkauf. In Christiane Rösingers "Stadt unter Einfluss", dem Musical zur Wohnungsfrage, haben sie nur ein Thema.
"Bei mir ist's schlimmer. Warum? Umwandlung in Eigentum, jedes Wochenende Besichtigung. Wenn ich Pech hab, krieg ich eine Kündigung."
Und dann drängeln sie sich auch schon auf der Bühne des altehrwürdigen Hebbeltheaters, die potentiellen neuen Eigentümer: eine ganz andere Klientel.
"Jeder wohnt, und es betrifft auch alle", sagt die Intendantin des Berliner HAU, Annemie Vanackere. Weshalb Hebbel am Ufer die neue Spielzeit mit einem ganzen Festival zum Thema eröffnet, ein Festival, das Partei ergreift.
"Wir haben uns tatsächlich fokussiert auf Geschichten von Mieterinnen und Mietern und Widerstand leistenden Initiativen."
Und so stehen in "Stadt unter Einfluss" neben Christiane Rösinger Mieteraktivistinnen auf der Bühne, die mehr oder weniger gekonnt ihr Leid klagen – mehr singende Mieterversammlung als Musiktheater.
"Alles was wir wollen, ist wohnen."

Klingelstreich in der Bankfiliale

Der Kampf der Mieter ist auch Thema in der leerstehenden Bankfiliale nebenan, die für eine Woche zum Projektraum urbaner Aktion umgebaut wurde. Auf einem Tablet kann ich zwischen Mietshäusern zwischen Berlin und München wählen und die Vermieter anrufen. Die hören dann nicht mich, sondern eine der Horrorgeschichten ihrer Mieter vom Band.
"Sie haben uns belogen und uns unter Druck gesetzt, um uns aus unserer Wohnung zu jagen. Wir haben die Wohnung wenige Monate später auf Immoscout gefunden. Der Preis hatte sich mehr als verdoppelt."
"Haunted Landlords" nennt das Peng!-Kollektiv seine Variante eines Klingelstreichs. Die Aktion läuft schon seit letztem Jahr. Vielleicht hebt deshalb niemand ab. Die Vermieter bleiben stumm: nicht nur hier, fast im gesamten Programm.
"Es ist möglich, Widerstand zu leisten", sagt Annemie Vanackeren. Und so geht es eben auch um Ermutigung. Die ist bitter notwendig, keine Frage, aber soviel Aktivisten-Dokumentation ermüdet auf die Dauer. Der Konflikt wird zwar erzählt, verhandelt wird er auf der Bühne aber nicht mehr.
Dabei sind die Rollen auch beim Thema Wohnen nicht immer so eindeutig verteilt. Immerhin eine Theaterproduktion macht das deutlich. In der preisgekrönten She She Pop-Perfomance "Oratorium" kommen alle zu Wort. Auf der Videoleinwand werden nämlich die Zuschauer gefragt "Mieter?", "Eigentümer?", "Erben?" und aufgefordert, entsprechende Texte vorzutragen.

Aufklärende Spaziergänge im Problemviertel

Am Wochenende gab es dann doch einen Aha-Effekt, nicht auf der Bühne, sondern auf der Straße: das Kollektiv Guerilla Architects organisiert rund um das HAU Spaziergänge. Vor den Sozialbauten am Mehringplatz meldet sich eine Anwohnerin zu Wort:
"Das sind zwei Welten: hier die deutsche Welt, da arabische Welt. Meine Kinder sind blond, weil mein Mann ist Deutscher und meine Kinder gehen zur Schule in Zehlendorf, weil das ist zu gefährlich hier für meine Kinder."
"Was jetzt ganz stark die Diskussion ist: auf der einen Seite Gentrifizierung, auf der anderen Seite Getto."
Ein paar Meter weiter kommen die arabisch und türkisch stämmigen Kiezbewohnerinnen ins Bild. Auf einer Brachfläche hat die Initiative Park-Akademie einen Stadtgarten gebaut und organisiert Treffen mit Kiezmüttern. Auf den Fotos sieht man Frauen mit Kopftuch. Auch sie fürchten um die Sicherheit ihrer Kinder, wenn der Spielplatz zum Treffpunkt für Alkoholiker wird, wenn es immer weniger Grillflächen für den Sonntagsausflug gibt.
Wem gehört die Stadt? Im Hau werden die brennenden Fragen gestellt. Antworten – auch die unangenehmen – muss jeder und jede draußen vor der Tür suchen: der Tür des Theaters und der eigenen.
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