Shangri La ist anderswo

Vorgestellt von Margarete Blümel |
1927 machte die englische Erstausgabe des " Tibetischen Totenbuches" weltweit Furore. In alternativen Kreisen galt die buddhistische Anleitung zur Sterbevorbereitung und Sterbebegleitung schon bald als Standardliteratur, während sich Tibetologen darüber stritten, welche der Übersetzungen dem tibetischen Original am ehesten gerecht wurden.
Schließlich rückte der Bergsteiger Heinrich Harrer mit seiner Autobiografie "Sieben Jahre in Tibet" die Lebensgewohnheiten der Tibeter, aber auch die angespannte politische Situation des Landes nachhaltig in den Fokus der Weltöffentlichkeit.

Und man erinnerte sich wieder: Zählten nicht die sogenannten "Lieder Sibas" über die Erschaffung der Erde zur ältesten aufgezeichneten Lyrik überhaupt? Und kam nicht auch das längste Heldenepos der Welt, die mehr als eine Million Zeilen umfassende Legende von König Gesar aus Tibet?

Das mystische Shangri-La, in dem eine menschliche Gemeinschaft sich von den Fesseln der Zivilisation befreit hat, Magier und Heilige, die in der Höhenlandschaft Tibets unzählige Wunder wirken, ein vom Buddhismus geprägtes Volk, das seinem geistigen Führer bedingungslos ergeben ist - das Land und seine Bewohner mussten bereits für viele Projektionen des Westens herhalten.

Die meisten jungen Tibeter aber sind längst an anderen Fragen interessiert. Sie wollen wissen, wo sie stehen, wie sie sich einbringen können in eine Welt, die von ständigen Veränderungen geprägt ist. Sie wollen die tibetische Sprache modernisieren und ihr durch kreatives Schreiben frischen Atem einhauchen. Sie wollen zeigen, was es bedeutet, als Tibeter in China zu leben. Oder als tibetischer Erzähler im indischen Exil, in Dharamsala.

In beiden Fällen sind ihre politischen Ausdrucksmöglichkeiten eingeschränkt. Das aber lässt sich wettmachen, sind doch zumindest der Fantasie keine Grenzen gesetzt...

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