Katholische Sexualpädagogik im Umbruch

Sex ohne Ehe?

08:45 Minuten
Illustration: Eine Kirche mit drei Herzen über dem Dach.
Wie steht die katholische Kirche zu Liebe und Sex? Darum wird heftig gerungen. Auch die Sexualpädagogik steht auf dem Prüfstand. Konservative Theologen sehen das gar nicht gern. © Getty Images / iStock / photosynthesis
Von Michael Hollenbach · 27.03.2022
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Um die verstaubte Sexualmoral der katholischen Kirche wird derzeit heftig gerungen. Ein Positionspapier der Bistümer will nun die Sexualpädagogik modernisieren, um vielfältigen Lebenswirklichkeiten gerecht zu werden. Konservativen geht das zu weit.
Michaela Freifrau Heereman gehört zu den konservativen Kritikerinnen einer Liberalisierung der katholischen Sexualpädagogik. Aber auch sie betont, eine katholische Sexualpädagogik solle Sexualität nicht abwerten, sondern ernst nehmen, was in einem der Paulusbriefe steht: „Alles Geschaffene ist in sich gut“.
Das beziehe sich auch auf die Sexualität und auch auf die erlebbare Lust: „Weder das Alte Testament noch das Neue Testament ist irgendwie sexualfeindlich.“

Heterosexuelle Partnerschaft als höchster Wert

Allerdings: Wenn es um die Sexualpädagogik geht, dann plädiert die katholische Publizistin für die Vermittlung bestimmter Werte. Ganz oben stehe die heterosexuelle Partnerschaft: „Mann und Frau gehen eine unüberholbare Nähe ein, und wir bestehen ja nicht nur aus Körper, sondern auch aus der Psyche. Und Leib und Seele gehören zusammen“, sagt Heereman, die auch Theologin und Vorstandsmitglied im „Elternverein NRW“ ist.
Daraus folgt für sie, dass die Sexualität den Menschen als Sprache der Liebe gegeben ist, „als leib-seelischer Ausdruck der Liebe – und deswegen muss sie auch auf Bindungsfähigkeit hin thematisiert werden“.
Tom Scheel ist im Vorstand der Gesellschaft für Sexualpädagogik, dem Fachverband der Sexualerzieherinnen und -erzieher. Auch er hält viel von gelingender Sexualität in einer guten Beziehung. Zugleich betont er, dass es bei sexueller Bildung auch darum gehe zu sagen, dass Sexualität und Beziehung nicht immer miteinander verknüpft seien, sondern dass es da auch eine Vielfältigkeit gebe.

Die Ehe soll eine „Verheißung“ sein

Doch statt Vielfältigkeit fordert Heereman, dass es in der katholischen Sexualpädagogik nicht nur um Beziehungen gehen soll, sondern letztlich um das Sakrament der Ehe: „Das ist ein großes Geschenk, eine wunderbare Verheißung. Die sollte man unbedingt als Orientierungspunkt in der Sexualpädagogik Kindern und Jugendlichen vor Augen stellen - als etwas Verlockendes.“
Ann-Kathrin Kahle ist Beauftragte für Prävention von sexualisierter Gewalt im Bistum Münster. Sie ist eine der Autorinnen des fortschrittlichen Positionspapieres. Sie wendet sich gegen eine Verengung der Sexualbildung. So sei es auch schon für Kinder und Jugendliche wichtig, sich mit der eigenen sexuellen Orientierung auseinanderzusetzen: „Wir glauben, sich darüber Klarheit zu verschaffen, was mich anzieht, wohin mein Begehren sich richtet und darüber auch sehr ehrlich mit mir selber zu sein, ist auch eine gute Voraussetzung, dass Sexualität friedvoll und gut gelebt werden kann.“

Gelebte Homosexualität immer noch verpönt

Die offizielle katholische Sexuallehre besagt aber noch immer, dass homosexuellen Menschen zwar mit Respekt zu begegnen sei, dass das Ausleben der Homosexualität aber in keinem Fall zu billigen sei.
Ann-Kathrin Kahle ist der Meinung, das Thema Homosexualität dürfe auch bei Kindern keineswegs ausgeblendet werden: „Kinder werden relativ schnell merken, dass Menschen Sexualität unterschiedlich leben. Und ich finde wichtig, zu vermitteln, dass allen der gleiche Respekt gezollt werden muss und dass es gleichzeitig immer darum geht, dass nichts und niemand irgendetwas gegen seinen Willen tun darf und muss.“
In eher konservativen katholischen Kreisen wendet man sich gegen eine Sexualpädagogik der Vielfalt. So soll beispielsweise die Diversität der Geschlechter nicht thematisiert werden. Dem hält der Sexualpädagoge Tom Scheel entgegen: „Das geht an der Lebensrealität vorbei und gerade heute, wenn ich mir sexuelle Bildung angucke in den Schulen, da begegnen mir sehr viele Jugendliche, die nicht hetero sind, die auch nicht Cis sind, die sich nicht als männlich oder weiblich verstehen. Da ist es schwierig, wenn man dort in die Schulklassen geht und so Werte wie Ehe und heterosexuelle Beziehung hochstellt.“

Sexuelle Vielfalt schon in Kita ansprechen

Und diese Vielfalt sollte nach seiner Auffassung schon in der Kita angesprochen werden. Denn zum einen merkten die meisten Menschen im Kindergartenalter, dass sie im falschen Körper geboren wurden. Und zum anderen hätten auch Kitakinder womöglich einen Bruder oder eine Schwester, die trans- oder intersexuell seien.
Eine konservative katholische Sexualpädagogik fokussiert sich oft auf das „Wunder der Fruchtbarkeit“. Für Michaela Freifrau Heereman ist das eine „große Sinndimension der Sexualität“. Ein solcher Akt zwischen Mann und Frau sei nicht belanglos, wenn ein ganz wertvoller wunderbarer Mensch dabei entstehen könne. Es sei die Kraft der Bindung, die Sprache der Liebe und Quelle des Lebens.
Für Sexualpädagogen und -pädagoginnen wie Tom Scheel gehört das zwar auch dazu. „Aber die allermeisten Menschen haben nicht Sex, um sich fortzupflanzen. Und da rede ich nicht nur von lesbischem Sex oder schwulem Sex, sondern auch die meisten heterosexuellen Menschen haben an erster Stelle Sex, weil es Spaß macht, weil sie es schön finden und weil sie sich lieben.“

Bereits Kinder entwickeln eigene Sexualität

Ein weiterer Streitpunkt mit dem konservativen Lager: Hier wird oft bestritten, dass bereits Kinder eine eigene Sexualität entwickeln: „Kinder kommen ja als geschlechtliche Wesen zur Welt, weil sie entweder Bub oder Mädchen sind. Oder sie haben das Kreuz einer Intersexualität, was ja nicht so leicht ist. Aber grundsätzlich ist eine Latenzphase der Sexualität bis zur Pubertät zu beobachten“, sagt Scheel.
Daraus wird häufig gefolgert, Kinder hätten noch keine eigene Sexualität. Das hält die katholische Sexualpädagogin Ann-Kathrin Kahle jedoch für grundverkehrt: „Ich bin tatsächlich davon überzeugt, dass wir mit unserer Sexualität auf die Welt kommen. Nur, eine kindliche Sexualität ist eine andere als eine erwachsene. Die kindliche Sexualität ist weniger zielgerichtet, sie ist weniger beziehungsorientiert, da geht es vor allen Dingen um körperliches, sinnliches Erleben, es geht um Neugier, es geht um Erkundungen, es geht letztendlich um Weltaneignung.
Die Position einer konservativen Sexualmoral, wie sie Michaela Freifrau Heereman vertritt, wird in der katholischen Kirche nur von einer Minderheit geteilt. Und doch fehlt es in katholischen Einrichtungen an einer einheitlichen Sexualbildung.
Das Positionspapier der Präventionsbeauftragten kritisiert, in den katholischen Einrichtungen herrsche immer noch ein Konzept von Sexualität, das einseitig die Gefahren betone.

Durch sexuelle Bildung erkennen, was falsch läuft

Ann-Kathrin Kahle ist seit fast 15 Jahren in der Fortbildung zum Thema Sexualpädagogik aktiv. Ihre Erfahrung – nicht nur in der katholischen Kirche – formuliert sie so: „Die Sprechschwierigkeit ist tatsächlich sehr weit verbreitet. Wir liegen manchmal dem Irrglauben auf, nur weil die mediale Welt durchaus auch eine sexualisierte ist, könnte es Menschen auch leichter fallen als in früheren Zeiten, über Sexuelles zu reden. Meine Erfahrung ist die, dass es sowohl generationen- also auch berufsgruppenübergreifend überhaupt nicht selbstverständlich ist, dass Menschen auf eine gute und intimitätsschützende Weise über Sexualität sprechen können.“
Katholische Sexualpädagoginnen wie Ann-Kathrin Kahle setzen auf den Synodalen Weg: Dass eine Reform der katholischen Sexualmoral auch den Weg bereitet für eine Sexualpädagogik, die sich in möglichst allen katholischen Einrichtungen durchsetzt. Und die ein wichtiger Baustein wäre für die Prävention von sexualisierter Gewalt: „Durch die sexuelle Bildung werden Kinder dahingehend gestärkt, erst mal überhaupt zu erkennen, wann ist denn etwas falsch, wann macht denn jemand bei mir etwas, was er nicht darf“, sagt Scheel.
„Wenn darüber nicht gesprochen wird, weiß das ein Kind nicht und kann darüber auch nicht sprechen. Oder wenn nicht ganz offen und deutlich über bestimmte Körperteile gesprochen wird, dann kann das Kind auch gar nicht sagen, was ist denn mit ihm überhaupt passiert. Und deshalb ist sexuelle Bildung definitiv ein wichtiger Baustein zur Prävention von sexualisierter Gewalt gegen Kinder, aber auch gegen Jugendliche.“

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