Serie „Trial by Fire“ auf Netflix

Bestürzende Schilderung einer Tragödie

05:58 Minuten
Filmszene aus der Serie "Trial by Fire". Zu sehen ist eine stehende Frau, vermutlich die Hauptdarstellerin, zwischen sitzenden Männern. Vermutlich in einem Gerichtssaal.
„Trial by Fire“ verdient internationale Beachtung: Die kluge, intensive, grandios gespielte Serie zeigt Delhi von 1997 bis circa 2016 aus überraschend vielen Perspektiven. © Netflix / Akshay Pawar
Von Stefan Mesch · 17.01.2023
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Bei einem Brand in einem Kino in Delhi starben 1997 insgesamt 59 Menschen. Die Netflix-Serie „Trial by Fire“ erzählt von Eltern, die den Verlust ihrer Kinder in dem Feuer sowie den Kampf um Gerechtigkeit bewältigen müssen. Unser Kritiker ist angetan.
Ein Transformator neben einem Parkdeck fängt Feuer – doch der Brand wird gelöscht und die Behörde repariert das Gerät. Am Nachmittag brennt es erneut: Öl läuft aus, Autos explodieren und es dauert lange, bis über 700 Menschen dem Kinosaal über der Brandstelle entkommen.
250 weitere Plätze sind auf einer Empore mit einem einzigen engen Ausgang. Die Tür ist illegal verriegelt, damit niemand ohne Ticket in die Vorstellung schleicht. Der Ausgang wird aufgestemmt, doch 59 Menschen sterben – die meisten ersticken auf der Empore oder im Treppenhaus.
Filmszene aus der Serie "Trial by Fire". Zu sehen sind ein Mann und eine Frau mit wütenden Gesichtern vor einer Art Zaun bzw. Absperrung.
„Trial by Fire“ ist eine bestürzende Serie mit Untertiteln und zeigt die „Fußnoten“ und Hintergründe eines vermeidbaren Unglücks vor 26 Jahren. © Netflix / Hitesh Mulani
„Trial by Fire“ hat sieben Folgen à 45 Minuten und zeigt den realen Brand vom 13. Juni 1997 erst in der letzten Episode in schrecklicher Ausführlichkeit. Die Serie, behauptet der Abspann, „basiert auf einem Roman“, dem Buch „Trial by Fire“ von Neelam Krishnamoorthy. Das ist falsch: Krishnamoorthy, die in der Serie als die zentrale Hauptfigur gesetzt wird, schrieb ein Sachbuch, einen Bericht, ein Plädoyer. Ihr Sohn (13) und ihre Tochter (17) starben im „Uphaar“-Kino, und mit ihrem Mann und fremden Angehörigen gründete sie den Verband AVUT (Association of the Victims of Uphaar Tragedy).

Grandios gespielt

Stärker als andere Streaming-Dienste investiert Netflix in hochwertige, atmosphärische und oft überraschende internationale (Ko-)Produktionen und verbreitete im Dezember, dass 60 Prozent des Publikums „regelmäßig“ Inhalte aus Korea sieht.
Auch „Trial by Fire“ verdient internationale Beachtung: Die kluge, intensive, grandios gespielte Serie zeigt Delhi von 1997 bis circa 2016 aus überraschend vielen Perspektiven. Sehr langsame, intensive, meist unvorhersehbare Szenen zeigen Trauma, Klassenunterschiede und viel Dynamik zwischen Paaren und Familien. Auch ein schwules Paar hat gegen Ende sehr kurze, aber unvergessliche Momente.

Wie großes Ensemble-Kino

„Trial by Fire“ ist inszeniert wie großes Ensemble-Kino oder eine Prestige-Serie: kein gängiges Gerichts- oder Katastrophen-Drama, sondern ein psychologischer, soziologischer, kritischer und liebevoller Blick auf eine Welt und ihre Milieus. Das trauernde Ehepaar erinnert an viele europäische Paare um die 40 in den 90er-Jahren: erste PCs im Haushalt, erste Mobiltelefone.
Filmszene aus der Serie "Trial by Fire". Zu sehen ist ein lachender Vater mit seinen Söhne auf einer Couch in einer Art Wohnzimmer. Der Vater hält in seiner Hand einen Controller einer Videokonsole.
„Trial by Fire“ ist inszeniert wie großes Ensemble-Kino oder eine Prestige-Serie: kein gängiges Gerichts- oder Katastrophen-Drama, sondern ein psychologischer, soziologischer, kritischer und liebevoller Blick auf eine Welt und ihre Milieus. © Netflix / Akshay Pawar
Wer alle juristischen Details über 20 Jahre Straf- und Zivilprozesse sucht oder wissen will, wer damals ein Handy hatte – und wer nur einen Pager/Beeper: Die Buchvorlage ist auf Englisch und viel präziser. In der Serie kippt Neelam einem inkompetenten Staatsanwalt die Pepsi übers Essen. Im Buch berichtet sie in eigenen Worten, wie sie vom Anwaltsteam der reichen Kinobesitzer misogyn bedroht wird und im Gerichtssaal oft stundenlang stehen muss, weil es keine Sitzplätze für sie gibt. Die kraftvollen Bilder der Serie stärken das Buch – und die oft bestürzenden Erklärungen und der kluge Furor des Buchs stärken die Serie.

Ein wegweisendes Erzählprojekt

Erst 2021 mussten die Kinobetreiber länger ins Gefängnis, weil sie Beweismittel verschwinden ließen. 2022 wurden sie doch wieder entlassen – und klagen aktuell gegen die Serie. Für den Tod von 59 Menschen drohten ihnen von Anfang an maximal zwei Jahre Haft, denn das Gesetz stammt noch aus der Zeit, als Großbritannien Indien besetzte. Der ungerechte Paragraf sollte koloniale Gewalt erleichtern und lange Haftstrafen verhindern.

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„Trial by Fire“ ist eine bestürzende Serie mit Untertiteln und zeigt die „Fußnoten“ und Hintergründe eines vermeidbaren Unglücks vor 26 Jahren. Und „Trial by Fire“ ist ein wegweisendes Erzählprojekt, das spezifische strukturelle Umstände auch für ein internationales Publikum sichtbar und verständlich macht. Bitte mehr!

„Trial by Fire“, sieben Folgen auf Hindi (deutsche Untertitel), Netflix 2023

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