Serie "Tagebuch aus Aleppo" (Teil 8)

"Unser Ziel ist es einfach, morgen lebend aufzuwachen"

Straßenszene in der nordsyrischen Stadt Aleppo am 17. Oktober 2015, im Hintergrund eine Werbeplakat mit Porträts des russischen Präsidenten Wladimir Putin und seines syrischen Kollegen, Baschar Al-Assad
Straßenszene in Aleppo im Oktober 2015 © dpa / MAXPPP
von Julia Tieke · 30.12.2015
Die Proteste in Syrien begannen friedlich - inzwischen herrscht Krieg. Die achtteilige Serie "Tagebuch aus Aleppo" fängt persönliche Berichte junger Syrer aus der umkämpften Stadt ein. Drei Menschen erzählen von ihrem Alltag im Krieg.
"Ich heiße Fajer und bin 26 Jahre alt."
"Mein Name ist Mahmoud, ich bin Teil der Jugend von Aleppo"
"Ich bin aus Aleppo, 25 Jahre alt, mein Name ist Sobhi Al Muhareb."
Sobhi: "Zukunft? Es gibt keine Zukunft..."
In Berlin sitze ich am Schreibtisch und schicke Fragen nach Gaziantep, in der Südtürkei. Denkst Du über Deine Zukunft nach? Warum, oder warum nicht? Dort lebt Haytham, der den kleinen syrischen Radiosender Radio Rooh betreibt. Immer wieder geht er auch in seine Heimatstadt Aleppo, mitten ins Kriegsgebiet. Dorthin nimmt er meine Fragen mit.
Sobhi: "Als wir noch keine Verantwortung tragen mussten, haben wie über die Zukunft nachgedacht. Wir haben immer gesagt, dass wir erwachsen werden und dann machen, was wir wollen. Aber jetzt können wir nicht weiter als bis zum nächsten Tag denken."
Wie siehst Du Deine eigene Zukunft und die Zukunft Aleppos?
Sohbi: "Hier gibt es keine Zukunft, die haben wir verloren. Wir leben, sonst nichts. Die Zukunft ist zu einem Mysterium geworden. Wir wissen nicht, was morgen oder übermorgen sein wird, und so ist das Wort ´Zukunft` für uns zu einem geheimnisvollen Wort geworden."
Fajer: "Heutzutage denke ich nicht mehr an die Zukunft, ich denke an den Tag, den ich lebe. Mein Alltag ist sehr eng geworden, sehr begrenzt. Ich denke nicht an meine Zukunft, an die Universität, oder daran, was ich in einer Woche oder gar einem Monat machen werde. Oder ob ich heirate oder nicht."
Mahmoud: "Ich denke über Hochzeit nach, aber nicht über Arbeit. Ich kann zur Zeit keine bessere Arbeit finden, wegen der Situation. Aber ich versuche, so viel Geld wie möglich zu sparen, für eine Hochzeit. Die Arbeit hört nicht auf. Wenn du heiratest, dann hast du eine neue Verantwortung und dein Leben ändert sich, alles ändert sich. So Gott will, wird es mir gut gehen. Ich möchte der erste in allem sein. Bei meiner Arbeit, im Studium – alles."
Sobhi: "Aleppo? - Aleppo ist leider eine vergessene Stadt geworden. Keiner interessiert sich für uns. Sie sagen: die Leute dort leben ja noch. Nun, was erwarten die denn? Wollen sie, dass wir sterben oder sagen, dass wir aufgegeben haben, damit ihr uns helfen könnt? Auch wenn Aleppos Einwohner der Welt beweisen, dass sie in dieser schlimmen Situation überleben können, heißt das noch lange nicht, dass wir nicht sehr hart kämpfen."
Fajer: "Aleppo wird sich verändern, und seine Einwohner auch. Das ist mein Gefühl. Aleppos Zukunft.. Der Krieg wird weitergehen. Eine schlechte Zukunft. In Damaskus wird es besser sein als in Aleppo. Aleppo wird ausschließlich Schiiten-Gebiet sein, die jungen Menschen werden nicht bleiben. Das ist die übliche Politik. Sie versuchen, die Häuser zu leeren, die Menschen zu vertreiben. Aber die Menschen aus Aleppo werden weltweit Spuren hinterlassen, also die jungen Immigranten aus Aleppo. Sie sind klug und werden Möglichkeiten haben, sich im Ausland zu beweisen. Aber als Stadt ist Aleppo in einer schlechten Lage."
Sobhi:"Wir müssen über die Zukunft Aleppos nachdenken. Das Problem ist, dass es überhaupt keine Hoffnung mehr gibt. Aber wir glauben noch an Gott und glauben, dass er uns helfen wird. An die Menschen glauben wir nicht mehr. Was in Syrien passiert ist zeigt, dass niemand die Syrer unterstützt, außer Gott. Jeden Tag denken wir: Morgen wird es besser, aber leider stellt sich dann heraus, dass es gestern besser war. Zukunft ist für mich etwas Verschwommenes geworden, das keine Grenzen hat, keine Werte. Wenn es so weiter geht, werden wir uns niemals eine Zukunft aufbauen können. Denn wir sind Teil dieses Landes. Wenn Aleppo zerstört wird, werden wir zerstört. Wir können nicht an unsere Zukunft denken, ohne zuerst unser Land aufzubauen."
Post Scriptum
Mahmoud: "Ein Tipp: Haltet Euch von Absperrungen fern und mischt Euch nicht in Politik ein, oder sonst was. Haltet Euch raus aus diesen Themen, bewahrt Euer Wohlergehen, das Eurer Familie, Eures Landes - das wird das Beste sein, für Euch, das Angenehmste."

Serie "Tagebuch aus Aleppo" - in acht Teilen
Drei junge Menschen aus Aleppo und Umgebung beschreiben ihren Alltag in Ton und Text. Der syrische Radiokollege Haytham Kabbani des Exilsenders "Radio Rooh" mit Sitz im türkischen Gaziantep hat das Material gesammelt und an die Autorin Julia Tieke geschickt.

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