Senioren sprechen über Altsein
"Was heißt hier alt!" ist eine "Stimmensammlung, in der eine Art Ehrenrettung des Alters versucht wird. Dabei kommen überwiegend Prominente zu Wort. Allerdings wirken die von "Zeit"-Politikredakteur Ulrich Ladurner und Regisseur Wolfgang Stockmann zusammengestellten Interviews ein wenig trocken.
"Wir haben verlernt, das Alter zu ehren. Nein, niemand soll in Ehrfurcht vor einem Menschen erstarren, nur weil er alt ist. Aber es geht darum, das Alter in all seinen vielen Facetten wahrzunehmen. Dazu gehört auch die Unruhe alter Menschen, ihre ungebrochene Lust, neue Ideen zu entwickeln, ihr unbändiger Wille, Erfahrungen weiterzugeben. Diese Kraft der Alten kann sich nur entfalten, wenn die Gesellschaft dafür bereit ist."
Das ist die Ausgangsthese, die Ulrich Ladurner dem Hörbuch "Was heißt hier alt! Keine Zukunft ohne Senioren" voranstellt. Die Rezensentin, unter 40, muss sich also gleich von einigen Wünschen verabschieden, die sie an eine Produktion übers Altern hatte: dass die Herausforderungen thematisiert werden, vor die der demografische Wandel vor allem die westlichen Länder stellt; dass die Spannung zwischen Alten und Jungen, zu denen die sich leerenden Rentenkassen führen, sich entladen möge. Diese im engeren Sinne gesellschaftlichen und politischen Probleme streift die CD nur, die im Auftrag von "HelpAge Deutschland" entstanden ist, einer Hilfsorganisation, die alte Menschen weltweit unterstützt.
Das Hörbuch möchte ausschließlich sensibilisieren für den "gewaltigen Schatz", der zu heben ist. Und lässt dabei überwiegend die Alten selbst zu Wort kommen:
"Für mich ist die wichtigste Erfahrung mit älteren Menschen (ich bin ja selbst alt): Es ist wunderbar, gebraucht zu werden."
Rita Süßmuth, sofort erkennbar an ihrer markanten Stimme: Jahrgang 1937, frühere Bundestagspräsidentin, auch heute noch alles andere als im Ruhestand. Sie sieht unsere Gesellschaft in einer Übergangszeit, nach der verknöcherte Vorstellungen vom Altsein aufbrechen werden.
"Es geht um eine Befreiung der Alten." - Diese markigen Worte hätte man gern von Rita Süßmuth selbst gehört. Und auch bei den anderen prominenten Interviewten Margot Käßmann, Henning Scherf, Heide Simonis, Theo Sommer finden sich die steilen Thesen oft im Sprechertext, nicht im O-Ton des Interviewten selbst. Manchmal passen die Thesen nicht mal so ganz zum Interview, so dass der Verdacht aufkommt, Ulrich Ladurner habe die Aussagen etwas zugespitzt. Man fragt sich ohnehin, warum Ladurner und sein Produzent Wolfgang Stockmann die Interviews nicht einfach als solche auf die CD genommen haben.
Henning Scherf zum Beispiel, früherer Bremer Bürgermeister, redet sich in Rage über Frank Schirrmachers These vom Generationenkrieg - das würde man gern ganz hören, nicht unterbrochen von etwas zu getragenen Sprechertexten:
"Ich werd doch nicht, wie Frank Schirrmacher sich ausgedacht hat, der Alleinlebende, Mitte 50 und hat Angst vor seinem Alter und denkt, am Schluss schießen wir uns alle tot. Schreibt der in seinem Buch. Nein, so eine alptraumähnliche Geschichte. Das ist mir so fremd wie nichts. Ich werd doch nicht mit meinen Kindern Krieg führen. Ich werde mit denen mein letztes Hemd teilen. Ich werde alles einsetzen, damit die es gut haben! Weil ich weiß: Nur wenn die es gut haben, kann ich auch meinen Teil daran haben."
Die Gespräche mit den prominenten Senioren sind eine Säule der Hörbuch-Produktion. Die zweite Säule sind Porträts von Menschen in Österreich, Peru, Tansania, Indonesien und Deutschland, die etwas Besonderes zum Thema Alter oder Erfahrung beizutragen haben.
Da gibt es den Vulkanwächter in Indonesien, der sein Wissen vom Vater hat, es aber auch den heutigen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen anpasst. Oder den Ofenbauer und seinen Neffen in Südtirol; den über 80-jährigen Schreibwarenhändler in Hamburg, bei dem man nicht ganz sicher ist, ob er wirklich loslassen kann:
"Na ja, meine Kinder sind ja nun auch schon über 40. Das geht dann gut weiter. Die Kinder sind beide sehr tüchtig, sie sind anerkannt, dass sie tüchtig sind. Natürlich können sie gar nicht viel anders sein als ich."
Wie gern würde man ihn im Gespräch mit seinen Kindern hören. Wie gern würde man auch die drei Generationen einer Bauernfamilie, die auf einem österreichischen Hof zusammenleben, bei der Arbeit begleiten. Leider haben sich die Macher der CD auch hier für reine, trockene Interviews entschieden, obwohl Gesprächspartner und ihre Umgebung geradezu nach Reportagen mit viel Atmosphäre rufen.
Die akustische Anmutung dieser 2 CDs wirkt leider so behäbig und lustlos, wie es dem Klischee der Alten entspricht, gegen das sie ja gerade angehen will. Die, die darauf zu Wort kommen, wirken um einiges vitaler.
Und am vitalsten überhaupt wirkt Seneca, dessen Text über die "Kürze des Lebens" das Hörbuch beschließt und der noch immer furchtbar gültig ist - für alle Generationen:
"Ihr lebt, als würdet ihr immer leben. Niemals werdet ihr eurer Gebrechlichkeit euch bewusst. Ihr habt nicht acht darauf, wie viel Zeit bereits vorüber ist. Ihr verschwendet sie, als wäre sie unerschöpflich, während inzwischen gerade der Tag, der irgendeiner Sache oder einem Menschen zuliebe hingegeben wird, vielleicht der letzte ist. Ihr fürchtet alles, als wäret ihr nur sterblich. Ihr begehrt alles, als wäret ihr auch unsterblich."
Besprochen von Dina Netz
Ulrich Ladurner, Wolfgang Stockmann: Was heißt hier alt! Keine Zukunft ohne Senioren
Hörbuch, 2 CDs, 150 Minuten, Verlag Antje Kunstmann, 16,90 Euro
Links auf dradio.de:
Wenn Eltern nicht mehr allein leben können - Katrin Rohnstock (Hg.): "Der letzte Neubeginn"
Vertraute Fremde - Wolfgang Korn: "Was ist schon normal?"
Das ist die Ausgangsthese, die Ulrich Ladurner dem Hörbuch "Was heißt hier alt! Keine Zukunft ohne Senioren" voranstellt. Die Rezensentin, unter 40, muss sich also gleich von einigen Wünschen verabschieden, die sie an eine Produktion übers Altern hatte: dass die Herausforderungen thematisiert werden, vor die der demografische Wandel vor allem die westlichen Länder stellt; dass die Spannung zwischen Alten und Jungen, zu denen die sich leerenden Rentenkassen führen, sich entladen möge. Diese im engeren Sinne gesellschaftlichen und politischen Probleme streift die CD nur, die im Auftrag von "HelpAge Deutschland" entstanden ist, einer Hilfsorganisation, die alte Menschen weltweit unterstützt.
Das Hörbuch möchte ausschließlich sensibilisieren für den "gewaltigen Schatz", der zu heben ist. Und lässt dabei überwiegend die Alten selbst zu Wort kommen:
"Für mich ist die wichtigste Erfahrung mit älteren Menschen (ich bin ja selbst alt): Es ist wunderbar, gebraucht zu werden."
Rita Süßmuth, sofort erkennbar an ihrer markanten Stimme: Jahrgang 1937, frühere Bundestagspräsidentin, auch heute noch alles andere als im Ruhestand. Sie sieht unsere Gesellschaft in einer Übergangszeit, nach der verknöcherte Vorstellungen vom Altsein aufbrechen werden.
"Es geht um eine Befreiung der Alten." - Diese markigen Worte hätte man gern von Rita Süßmuth selbst gehört. Und auch bei den anderen prominenten Interviewten Margot Käßmann, Henning Scherf, Heide Simonis, Theo Sommer finden sich die steilen Thesen oft im Sprechertext, nicht im O-Ton des Interviewten selbst. Manchmal passen die Thesen nicht mal so ganz zum Interview, so dass der Verdacht aufkommt, Ulrich Ladurner habe die Aussagen etwas zugespitzt. Man fragt sich ohnehin, warum Ladurner und sein Produzent Wolfgang Stockmann die Interviews nicht einfach als solche auf die CD genommen haben.
Henning Scherf zum Beispiel, früherer Bremer Bürgermeister, redet sich in Rage über Frank Schirrmachers These vom Generationenkrieg - das würde man gern ganz hören, nicht unterbrochen von etwas zu getragenen Sprechertexten:
"Ich werd doch nicht, wie Frank Schirrmacher sich ausgedacht hat, der Alleinlebende, Mitte 50 und hat Angst vor seinem Alter und denkt, am Schluss schießen wir uns alle tot. Schreibt der in seinem Buch. Nein, so eine alptraumähnliche Geschichte. Das ist mir so fremd wie nichts. Ich werd doch nicht mit meinen Kindern Krieg führen. Ich werde mit denen mein letztes Hemd teilen. Ich werde alles einsetzen, damit die es gut haben! Weil ich weiß: Nur wenn die es gut haben, kann ich auch meinen Teil daran haben."
Die Gespräche mit den prominenten Senioren sind eine Säule der Hörbuch-Produktion. Die zweite Säule sind Porträts von Menschen in Österreich, Peru, Tansania, Indonesien und Deutschland, die etwas Besonderes zum Thema Alter oder Erfahrung beizutragen haben.
Da gibt es den Vulkanwächter in Indonesien, der sein Wissen vom Vater hat, es aber auch den heutigen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen anpasst. Oder den Ofenbauer und seinen Neffen in Südtirol; den über 80-jährigen Schreibwarenhändler in Hamburg, bei dem man nicht ganz sicher ist, ob er wirklich loslassen kann:
"Na ja, meine Kinder sind ja nun auch schon über 40. Das geht dann gut weiter. Die Kinder sind beide sehr tüchtig, sie sind anerkannt, dass sie tüchtig sind. Natürlich können sie gar nicht viel anders sein als ich."
Wie gern würde man ihn im Gespräch mit seinen Kindern hören. Wie gern würde man auch die drei Generationen einer Bauernfamilie, die auf einem österreichischen Hof zusammenleben, bei der Arbeit begleiten. Leider haben sich die Macher der CD auch hier für reine, trockene Interviews entschieden, obwohl Gesprächspartner und ihre Umgebung geradezu nach Reportagen mit viel Atmosphäre rufen.
Die akustische Anmutung dieser 2 CDs wirkt leider so behäbig und lustlos, wie es dem Klischee der Alten entspricht, gegen das sie ja gerade angehen will. Die, die darauf zu Wort kommen, wirken um einiges vitaler.
Und am vitalsten überhaupt wirkt Seneca, dessen Text über die "Kürze des Lebens" das Hörbuch beschließt und der noch immer furchtbar gültig ist - für alle Generationen:
"Ihr lebt, als würdet ihr immer leben. Niemals werdet ihr eurer Gebrechlichkeit euch bewusst. Ihr habt nicht acht darauf, wie viel Zeit bereits vorüber ist. Ihr verschwendet sie, als wäre sie unerschöpflich, während inzwischen gerade der Tag, der irgendeiner Sache oder einem Menschen zuliebe hingegeben wird, vielleicht der letzte ist. Ihr fürchtet alles, als wäret ihr nur sterblich. Ihr begehrt alles, als wäret ihr auch unsterblich."
Besprochen von Dina Netz
Ulrich Ladurner, Wolfgang Stockmann: Was heißt hier alt! Keine Zukunft ohne Senioren
Hörbuch, 2 CDs, 150 Minuten, Verlag Antje Kunstmann, 16,90 Euro
Links auf dradio.de:
Wenn Eltern nicht mehr allein leben können - Katrin Rohnstock (Hg.): "Der letzte Neubeginn"
Vertraute Fremde - Wolfgang Korn: "Was ist schon normal?"