Selbstversuch mit Marie Kondo

Können diese Bücher weg?

05:43 Minuten
Mehrere Bücherstapel auf dem Küchenfußboden
Das Bücher-Chaos lichten: Können die Ratschläge von Marie Kondo dabei helfen? © Katja Bigalke
Von Katja Bigalke  · 20.03.2019
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Die Aufräum-Päpstin Marie Kondo rät: Bücher, die keine Freude in uns entfachen, einfach wegschmeißen! Denn: "Es macht keinen Sinn, ein Buch einfach nur ins Regal zu stellen." Geht das wirklich so leicht?
"Der Kampf gegen das Durcheinander endet nie." Das würde ich definitiv unterschreiben.
"Wir haben zu viel Zeug." Auch mein Problem.
"Hallo, ich bin Marie Kondo. Meine Mission: Ich möchte durch Aufräumen Freude in der Welt entfachen." Klingt vielversprechend und ist eine Methode, die ich an meinem Kleiderschrank auch schon mal mehr oder weniger erfolgreich durchexerziert habe. Nun sind die Bücher dran.
Ich fange erst einmal beim Regal im Flur an. Das ist zwar nicht strikt nach der Methode, nach der wirklich alle Bücher der Wohnung aus allen Bücherregalen auf einem Haufen landen sollen, aber das scheint mir gerade auch zuviel. Ziel ist, neben einer Lichtung der Bücherreihen hier, auch noch zusätzlichen Platz zu schaffen für Bücher, die sich neben meinem Bett stapeln.

Entfacht das Buch Freude, bleibt es

Ein Buch nach dem anderen packe ich auf die Büchertürme, die auf dem Küchenfußboden in die Höhe wachsen. Das Aus- und Umräumen geht verhältnismäßig schnell. 20 Minuten vielleicht für Regal- und Bett-Bücher. Und jetzt?
"Wir gehen genau wie bei der Kleidung vor: Schauen Sie, welche Bücher Freude entfachen!"
Mehr Infos gibt Marie Kondo auf Netflix nicht. Ob ein Buch bei mir Freude entfacht, entscheidet allein darüber, ob es bei mir bleiben darf. Das ist mir zu wenig Anleitung. Ein bisschen mehr zur Ausmistmethode steht in Marie Kondos Aufräum-Buch. Erstens:
"Bitte fangen Sie auf keinen Fall an, darin zu blättern und zu lesen. Weil das Glücksgefühl sonst womöglich vom Text überlagert werden würde."
Hier geht es jetzt um die noch nicht oder halb gelesenen Bücher, die irgendwann nochmal gelesen werden sollen:
"Ich versichere Ihnen, auch wenn es desillusionierend ist: Irgendwann kommt nie. Deshalb werden alle ungelesenen und halb gelesenen Bücher weggeworfen."
Es kann losgehen.

Glücksbücher und Wegwerf-Bücher

"Das Aussortieren von Büchern kann einem zeigen, was einem etwas bedeutet. Entfacht das Buch Freude bei Ihnen?"
Ach, "Der Großinquisitor" von Dostojewski – das ist wirklich ein Glücksbuch, das ist ganz toll und das kommt auf keinen Fall weg, auch wenn es ganz viele Stockflecken hat. Habe ich gelesen für mein Zwischendiplom über das Menschenbild bei Marx. Eine lustige, eigentlich keine lustige Geschichte, eine über die Motivation der Menschen, um es kurz zu fassen.
Aber ob ich so schnell immer sagen kann: Glücksgriff? Joachim Meyerhoff: "Wann wird es endlich wieder so sein, wie es war?". Da habe ich oft sehr gelacht, dieses Buch bleibt bei mir!
Dann haben wir Irène Némirowsky: "Suite française". Drei Seiten, weiter bin ich nicht gekommen. Das müsste laut Marie Kondo auf den Haufen der Bücher, die weggeworfen werden.
Ich komme nur langsam voran, verliere mich, schaue in Bücher rein, obwohl ich das nicht sollte, zögere. Nach einer Stunde ist der Boden vor mir immer noch übersät. Es muss schneller gehen.
Wolfgang Herrndorfs "Bilder deiner großen Liebe" behalte ich. "Nina und Tom" von Tom Kummer behalte ich. "Dunkelgrün fast schwarz" behalte ich – wieder ein Buch, das ich nicht gelesen habe. Kommt auf den Wegwerfstapel. Der heißt mittlerweile Vielleicht-Stapel. Und ich habe eine neue Kategorie für Bücher gefunden, die nicht in meinem Bücherregal zu Hause bleiben sollen, die ich aber auch nicht wegwerfen will: Bücher, die ich in meinem Büro unterbringen werde.

Nach drei Stunden nur 22 Bücher aussortiert

Und so geht es weiter. Nach drei ermüdenden Stunden hab ich Marie Kondos Kategorien von Glücks- und Wegwerfbüchern in zahlreiche Unterkategorien aufgesplittet. Krimis, die ich definitiv nicht nochmal lese, packe ich in eine Tasche für meinen Vater, Bücher zur Kleinkindentwicklung in eine Tasche für meine Schwestern.
Das frisch ausgemistete Bücherregal
Nachher sieht es ordentlich aus. Aber ist es wirklich leerer geworden?© Katja Bigalke
Dann ist da die Tasche mit den Bürobüchern, eine Tasche für den Hausflur, wo wir Nachbarn immer Bücher austauschen. 22 Bücher sind für die Papiertonne und 34 Bücher, die nicht oder halb gelesen sind. Bücher, die laut Marie Kondo auf jeden Fall weggeschmissen gehören.
Die werde ich relativ prominent in mein Bücherregal stellen, sodass ich wieder Lust auf sie habe. Das ist nun mein Fazit. Ich hab ein bisschen Platz geschaffen, aber ich habe nicht alle Regeln befolgt. Kann ich nicht. Will ich auch nicht und das hat auch mit diesem Absatz in Marie Kondos Cleaning-Buch zu tun:
"Bücher bestehen aus Papier. Dieses Papier ist mit Schrift bedruckt und nachdem es gebunden wurde, wird das Ganze als Buch bezeichnet. Die Aufgabe eines Buches ist es, Informationen weiterzugeben. Diese Informationen haben eine Bedeutung. Es macht keinen Sinn, ein Buch einfach nur ins Regal zu stellen."
Für mich macht es das aber schon. Bücher sind wie ein Versprechen. Eine Einladung, eine Möglichkeit. Die will ich mir offen halten – und auch anderen. Die Bücher, die ich in den Hausflur gestellt habe, sind nach drei Tagen peu à peu alle verschwunden. Alle bis auf eins: "Die Arbeit des Schriftstellers" von Sergej Tretjakow.
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