Putz Dich frei!

Saubermachen ist das neue Yoga

Putzen und sauber machen.
"Es geht nicht darum, es den anderen Recht zu machen, sondern dir selbst." © imago/Ikon Images
Von Julia Macher  · 15.09.2018
Wer aufräumt, fühlt sich auch innerlich aufgeräumt und befreit. Statt vom Sonnengruß auf der Yoga-Matte erzählen Youtuberinnen im Internet von der meditativen Wirkung des Staubwischens. Und damit haben sie erstaunlich viel Erfolg.
"The number one question I got on this channel, is: How to your keep kitchen so clean? / I want to share my favourite seven pro cleanig tips... give a thumps up. / Ellen te dice como limpiar..."
Melissa, Ellen, Victoria und Liv haben eine Mission: Dein Heim muss schöner werden!

Sie wienern verchromte Kühlschränke und minimalistisch weiße Arbeitsflächen, misten Schränke und Schubladen aus, sortieren Bücher und Nagellackfläschchen um. Seit die Japanerin Marie Kondo mit ihren Aufräum-Bestsellern radikale Reduktion zum Ordnungsideal erhob, geben überall im Netz dezent geschminkte, frisch geföhnte Damen Ratschläge für die friedliche Koexistenz zwischen Mensch und Ding.

"Räum es weg"

"Ist das Ding dort schön oder funktional? Wenn nicht, dann räum es weg", sagt Melissa Maker von "Cleanmyspace", mit 975.790 Follower eine der obersten Aufräumerinnen im Netz. Warum? Weil Ordnung gut tut, sagt Ellen, mit 232.476 Followern Grande Dame der spanischsprachigen Social Media Welt.
"Es geht nicht darum, es den anderen Recht zu machen, sondern dir selbst: Wenn es deinem Heim gut geht, geht es auch dir gut. In einem aufgeräumten Haus bist du gesünder, deinen persönlichen Beziehungen geht es besser und wenn du deinen Schrank aufräumst, kannst du dabei sogar ein paar Kilo abnehmen, wegen all der schönen Kleider, die du wieder findest."

Auch Melissa von Cleanmyspace rollt Skeptikerinnen empathisch den – frisch gesaugten – roten Teppich aus.
"Ich verstehe jeden, der Hausarbeit hasst. Ich habe daran auch überhaupt keinen Spaß. Aber: ein aufgeräumtes Zuhause fördert einfach das emotionale und mentale Wohlbefinden. Darauf konzentriere ich mich."

Immer schön von links nach rechts

Putzen ist kein Selbstzweck. Putzen ist das neue Yoga. Statt beim Sonnengruß dehnen sich die Youtuberinnen beim Regalabwischen, immer schön von links nach rechts und von oben nach unten, und unterlegen das mit drei Kameras gefilmte nächtliche Großreinemachen mit meditativer Musik.
"So entspannend", posten begeisterte Fans: "Meditation pur." Tatsächlich hören sich die sendungsbewussten Haushaltsmanagerinnen zuweilen an wie buddhistisch inspirierte Lifestyle-Coachs. Quasi Zen-Meisterinnen des Propertums.
Melissa: "Erlaube dir selbst, nicht perfekt zu sein. / Mach es einfach nur gut genug! / Verknüpfe das Putzen mit positiven statt mit negativen Erfahrungen, die dich niederdrücken!"

Alter Trick: Rühre einen ordentlichen Schuss Alltagsphilosophie in dein Handeln, garniere das Ganze mit spritziger Attitüde – und schon wird aus einer tendenziell eher unangenehmen weil stinklangweiligen Betätigung eine Lebensanschauung. Mit der angenehmen Nebenwirkung, dass danach nicht nur die Chromoberfläche blitzt und funkelt, sondern auch das eigene Ego: Lifestyle-Bloggerin, Cleaning-Expert, Haushaltsmanagerin, Social Media Entrepreneur! Das klingt doch gleich viel besser als Hausfrau und Mutter mit chronischem Schlafdefizit.

Die postfeministische Stirn mit Verzweiflungsfalten

"Ich sehe mich als moderne Hausfrau, nicht als traditionelle. Die moderne Hausfrau stützt sich auf moderne Technologien, auf Apps für Smart Phones, auf neue Geräte, neue Staubsauger zum Beispiel, die dein Leben einfacher machen!"
Da legt sich die postfeministische Stirn dann doch in Verzweiflungsfalten – und zwar so tief, dass weder Botox noch Dampfbügler das wieder hinbekommen. Das neuste Staubsaugermodell als Garant einer guten Housework-Life-Balance? So weit waren wir auch schon im Jahr 1977!
"Der Saugblaser Heinzelmann pflegt den Raum und pflegt das Haar. Die durch den Saugstutzen gereinigte Luft wird eingezogen... Es saugt und bläst der Heinzelmann, wo Mutti sonst nur saugen kann."
Schlimmer noch: Eine der wichtigsten feministischen Lektionen der letzten Jahrzehnte lassen die cleanen Youtuberinnen außer Acht. Meine Damen, Alkohol taugt nicht nur zum Desinfizieren der Küchenablage. Oder, in den Worten von Frau Hoppenstedt:
"Wohlsein!"
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