Selbstversuch eines Briten

Leben wie David Bowie im Zeitraffer

1976 bei den Dreharbeiten zu dem Film "Der Mann, der vom Himmel fiel": Auch als Schauspieler war Bowie tätig.
1976 bei den Dreharbeiten zu dem Film "Der Mann, der vom Himmel fiel": Auch als Schauspieler war Bowie tätig. © imago/AD
Von Gabi Biesinger · 08.01.2016
Der Kulturwissenschaftler Will Brooker von der Uni Kingston studiert das Phänomen Bowie, indem er ein Jahr lang das Leben des Popstars nachlebt. Brooker ist Fan, seit er als 14-jähriger mit dem Walkman "Let's Dance" hörte.
Vor der Begegnung mit Will Brooker hatte ich mich auf grelle Schminke, schrille Klamotten Schulterpolster oder zumindest Plateauschuhe eingestellt. Aber der blonde Professor, der Bowie tatsächlich etwas ähnlich sieht, trägt Jeans, weißes Hemd, schwarzes Sakko und fällt auf dem Uni-Campus gar nicht auf. Im Leben des David Bowie ist Brooker gerade in einer eher unauffälligen Phase angekommen, an der Jahrtausendwende:
"Das ist noch das Tin Machine Outfit. Mit dem vergangenen Jahr habe ich bei meinem Bowie-Zeitplan die 90er eigentlich hinter mir gelassen. Jetzt mache ich Pause, um mir für die 2000er einen Bart stehen und die Haare länger wachsen zu lassen. Das ist ja eine der praktischen Herausforderungen, wenn man vier Jahrzehnte in einem Jahr nachempfinden will: Dass man mit dem Haarwuchs nicht nachkommt."
Im Juni hat Brooker begonnen, wichtige Stationen, Orte und Phasen aus dem Leben von David Bowie chronologisch aufzusuchen und nachzuempfinden. Er hat alle verfügbaren Biographien gelesen und startet im Jahr 1965. Mit krasser Schminke malte der 45-Jährige sich den Ziggy Stardust Zacken ins Gesicht. Dann kamen Alladin Sane und der Thin White Duke. Immer mit den entsprechenden Klamotten, manche Kostüme fand Brooker in Second-Hand-Läden, andere lässt er extra schneidern:
"Man kann nicht einfach in ein anderes Jahrzehnt hüpfen. Da gehört jedes Mal sehr viel Planung dazu."
Brooker hörte die Musik, die Bowie in der jeweiligen Zeit hörte. Und lebte zwischendurch wie Bowie auch nur von roter Paprika und Milch – lediglich das Kokain ersetzte er durch Unmengen von Energy-Drinks. Als Uni-Prof war ihm die Sache mit den echten Drogen zu heiss. Brooker ließ sich die Zähne bleichen, die Augenbrauen zupfen und mit Sprühbräune einnebeln. Er nahm Gesangsunterricht und tritt ab und zu in Clubs auf:
"Die meisten Leute reagieren sehr positiv, wenn sie kapieren was ich mache. Sie halten mich für ein Bowie-Double und das ist okay."
Überrascht über das Medienecho
Als 70er-Jahre Bowie reiste Brooker auch nach Berlin, wo der Sänger damals zusammen mit Iggy Pop in der Haupststraße wohnte, in einer Schwulenbar abhing und durch die Stadt streifte. Brooker war überrascht, welches Medienecho sein Projekt ausgelöst hat. Dutzende Zeitungen, holländisches Fernsehen und spanisches Radio waren schon da – ein bisschen wurde er selbst zur öffentlichen Person und konnte nachspüren wie das für Bowie sein muss, wenn sich alle für einen interessieren und man den Leuten etwas vorspielen muss:
"Wie fühlt sich das an, wenn man eine überlebensgroße Persönlichkeit annimmt und auf die Bühne bringt? Indem ich Bowies Charaktere angenommen habe, habe ich meine eigene Persönlichkeit überlebensgroß gemacht, mit seiner Hilfe."
Professor Brooker sieht seine Reise ins Innenleben von David Bowie weniger als streng wissenschaftliche Forschung an – die Sache ist für ihn durch die steigende Aufmerksamkeit selbst immer mehr zum Kunstprojekt, zur Performance geworden:
"Es fing ja ursprünglich als Projekt nur für mich an. Ich wollte mich ja nur ähnlichen Erfahrungen unterziehen, wie Bowie sie gemacht hat, um zu sehen, was das in mir auslöste, eine Ethno-Autographie. Doch durch die äußeren Erwartungen wurde ich immer mehr in die Rolle gedrängt, etwas vorzuspielen."
Im Juni ist Brookers Bowie-Jahr zu Ende. Dann könnte auch sein privates Umfeld erleichtert sein:
"Alle waren sehr tolerant und großzügig."
Seine Erfahrungen will Professor Brooker in einem Buch zusammenfassen: Forever Stardust. Sich danach nochmal in eine andere Persönlichkeit zu verwandeln, um ein Leben nachzuempfinden, könnte der Kulturwissenschaftler sich übrigens nicht vorstellen. Dazu ist Bowie für ihn zu einzigartig:
"Es gibt Sachen, die macht man nur einmal im Leben."
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