Premiere von "Lazarus" in New York

Vollgepackt mit Bowie-Klassikern

Von Andreas Robertz · 08.12.2015
Mit 68 Jahren hat David Bowie sein erstes Musical komponiert: Es heißt "Lazarus" und läuft nun an einem kleinen Off-Broadway-Theater in New York City. Ein rundum gelungenes Musical, das für zwei Stunden in den Bann zieht.
Die Bühne gleicht einer Rauminstallation: leere Wände und eine Matratze im monotonen Gelb, ein weißer Kühlschrank, dessen einziger Inhalt aus Flaschen ohne Etiketten besteht, ein Bildschirm, der die ganze Wand zwischen zwei Fenstern, hinter denen die achtköpfige Band Platz gefunden hat, ausfüllt. In der Ecke steht ein Plattenspieler. Die Story spielt 30 Jahre nach dem Ende des Films "Der Mann der vom Himmel fiel".
In dem Science Fiction spielte Bowie vor fast 40 Jahren den mit übermenschlichen Fähigkeiten ausgestatteten Außerirdischen Thomas Jerome Newton. Doch dessen Erkundungsreise auf dem Planeten Erde endet tragisch: Newton zerbricht an der Brutalität und Rücksichtslosigkeit der menschlichen Zivilisation, er verliert seine übersinnlichen Fähigkeiten und endet erblindet und verbittert, als gewöhnlicher Erdbewohner.
Viele der Bowie-Songs sind neu arrangiert
In der heutigen Welt des Thomas Newton auf der Bühne des New York Theatre Workshop zucken rasend schnell Bilder einer Welt über die Wände und den Bildschirm, die Newton nicht mehr interessiert. Seine Gier nach Sex und Lust, Profit und Anerkennung liegt hinter ihm. Er betäubt sich mit Gin und Fernsehen. Schauspieler Michael C. Hall, bekannt aus der TV-Serie "Dexter" und "Six Feed Under", verkörpert Newton. Seine ebenso warme wie distanzierte Stimme passt gut zu der Musik von David Bowie. Einmal hockt er sich zum Plattenspieler, legt das Album "The Next Day" auf und singt herzzerreißend traurig zu "Where are we now" am Potsdamer Platz, als würde er sich an ein altes Kinderlied erinnern, während das Zimmer in Videos über Berlin versinkt. Innenwelt und Außenwelt sind in Lazarus nicht zu unterscheiden und eine Differenzierung scheint unnötig.
Der Abend ist voll gepackt mit Bowie Klassikern wie "The Man Who Sold the World", "Love is Lost" und "Ashes to Ashes". Viele der Songs sind neu arrangiert und wirken unmittelbarer, emotionaler und melancholischer als wir sie kennen. "Change" und "It's No Game" sind die einzigen schnelleren Lieder. Vier neue Kompositionen, die außerhalb des Theaters noch nicht gespielt werden dürfen und erst im Januar veröffentlicht werden folgen der melancholischen Linie.
Doch Lazarus ist auch voller Ironie. Zum Beispiel wenn Newton im Gin-Koma auf dem Boden liegt und ein Chor von drei Frauen "This is not America" säuselt. In einer anderen Szene sticht eine dunkle Mephisto-Gestalt namens Valentine wie ein Psychopath Menschen ab, die haben, was er nicht hat: Liebe. Zuckersüß singt er, in einer Hand ein Schnappmesser, in der anderen einen Geburtstagsballon, "Valentine's Day" aus dem Album "The Next Day", ein unheimlicher Moment, der die Annahme unterstützt, der Song handele von einem Schulmassaker.
Ein gelungenes Gesamtkunstwerk
Ein kleines Mädchen, von dem wir später erfahren, dass es brutal vergewaltigt und zum Sterben zurück gelassen wurde und jetzt ein unerlöster Geist ist, kommt Newton zu Hilfe. Der Chor verspricht ihr, dass sie sterben darf, wenn sie ihm neue Hoffnung schenkt. Sie weiß alles über ihn und erzählt ihm seine Lebensgeschichte. Dann klebt sie aus Kreppband eine Rakete auf den Boden und legt ihn hinein. In einer großartigen, sehr abgespeckten Version von "Life on Mars" singt sie ihn in den Schlaf.
Am Ende erinnert sich Newton wieder seiner wahren Natur und das Mädchen fordert ihn auf sie zum Dank zu töten. Und als er sie dann letztendlich mit Valentines Messer ersticht, fließt Milch anstatt Blut aus ihr heraus.
Lazarus ist ein gelungenes Gesamtkunstwerk, das sein Publikum für zwei Stunden in den Bann zieht. Als hätte Newton dreißig Jahre lang in David Bowie geschlafen und sei nun erwacht und schaue auf sein Leben. Musik und Story verbinden sich zu einer mythischen David Lynch-haften Reise eines Mannes, der vergessen hat, wer er wirklich ist. Ohne durch Zwischenapplaus unterbrochen zu werden, wie es bei einem Konzert oder Musical üblich ist, entwickelt der Abend mit seinen 18 Schauspielern und Musikern eine hypnotische Faszination, die sich erst am Ende in einem explosionsartigen Applaus auflöst. Lazarus ist jetzt schon um drei Wochen verlängert worden.
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