Selbstreflexion der Meinungsmacher
Bundeskanzler Schröder warf den Medien nach der Wahl eine Verletzung der journalistischen Verantwortung vor. Einige hätten eine regelrechte "Schröder-weg-Kampagne" betrieben. Wie es um die journalistische Verantwortung steht und welche Rolle die Medien in der modernen Unterhaltungsindustrie spielen, darum ging es auf dem 10. MainzerMedienDisput.
Politische Umwälzungen, Aufstände, Terrorismus weltweit – so viel journalistische Verantwortung war selten gefragt. Wird sie wahrgenommen? Viele Medienmacher beurteilen das selbst kritisch, "hochgegeigte Themen, serviert mit Hot Dressing" erkennt der Stern-Chefredakteur, damit gehe Glaubwürdigkeit verloren. Aus Meinungsmachern wurden "flatterhafte Effekthascher", beobachtet man in der Wochenzeitung "Die Zeit". Und live auf dem MainzerMedienDisput ergänzt Hans Leyendecker von der "Süddeutschen Zeitung": "Journalisten wollen mehr denn je Knöpfe drehen":
" Journalisten haben immer an Knöpfen gedreht, aber noch nie war die Musik so schrill wie jetzt. Also, Journalisten wollen wichtig sein, wollen Akteure sein, begeben sich von der Rolle weg, die sie haben. Sie sind Beobachter, sie sind nicht gewählt, nicht legitimiert, ein öffentliches Amt anzutreten. Man kann jetzt schon sehen, gerade in den Talkshow-Hoppereien von Journalisten, dass sie versuchen, Politiker zu spielen. Und wer das macht, soll in eine Partei gehen und versuchen in dieser Partei seinen Weg zu machen. Aber nicht im Journalismus versuchen, diese Ersatzrolle zu finden. "
Auf dem 10. MainzerMedienDisput gehört der als investigativer Rechercheur bekannte Leyendecker zu einer Minderheit auf dem Podium, die dem abtretenden Kanzler Recht gibt in der Wahrnehmung, es habe im Vorfeld der Bundestagswahl eine Schröder–weg-Kampagne gegeben. Vertreter von "Bild" und "Spiegel" dementieren das unisono: "Es gab einen Konsens darüber, dass Deutschland am Ende ist", kontert Michael Backhaus, stellvertretender Chefredakteur bei "Bild" und "Bild am Sonntag". Die Schlappe in Schleswig-Holstein sei zutreffend "als Auftakt zum Ende von Rot-Grün" beschrieben worden, schiebt Spiegel-Mann Dietmar Pieper nach. Hans Leyendecker argwöhnt jedoch, dass die "Trendblätter" ihre Kampagne im Nachhinein als Kritik und Analyse verbrämen wollen. Dabei sei sie längst enttarnt worden:
"Plötzlich merkte man, die Leute haben sich abgewandt, sie haben gesagt, das ist nicht unser Thema gewesen. Sie haben ein anderes Wahlergebnis gebracht. Und dieses andere Wahlergebnis zeigt, dass zumindest in der Deutung von Wirklichkeit sich einige der Chronisten von dem, was bei uns Leben ist, weit entfernt haben. Das ist für große Teile des Journalismus ein Armutszeugnis gewesen, und damit müssen jetzt Journalisten zurecht kommen. "
Bei "Bild" aber blickt man längst wieder nach vorn: auf ein heißes Wochenende. "Politik verkauft wieder" freut sich Michael Backhaus:
"Gegenwärtig gibt es kein anderes Thema als die große Diskrepanz zwischen dem, was die Leute vor der Wahl versprochen haben, dem Eindruck, den sie vor der Wahl erweckt haben und dass das jetzt 100-prozentig wieder eingesammelt wird und nicht mehr wahr sein soll, nur weil man gesagt hat, wir haben nicht unseren Wunsch-Koalitionspartner bekommen, wir wussten gar nicht, wie groß das Haushaltsloch war - das treibt die Leute wirklich um. "
Kampagne-Journalismus, Skandalisierung, Personalisierung – die selbstkritische Analyse ist in zehn Jahren MainzerMedienDisput zum Markenzeichen geworden, ein unbequemer Kongress soll es sein – für Politik und Medien. Zuweilen jedoch schlage die notwendige Selbstreflexion um in die Lust an der Selbstgeißelung, beobachtet RTL-Chefredakteur Peter Kloeppel, der keinen allgemeinen Trend zum Banalen erkennen kann. Im Gegenteil - bei führenden Print-Medien beobachtet er ein Plus an Qualität. Aus der eigenen Praxis berichtet er:
" Also, ich arbeite jetzt seit zwanzig Jahren bei einem Fernsehsender, bei dem ich von Anfang an viele verschiedene Formen der Berichterstattung mitgemacht habe. Wir waren am Anfang mit unseren Nachrichten banaler. Wir waren vielleicht mit unseren Nachrichtensendungen skandalträchtiger, wir haben mehr darauf gesetzt haben wir tolle Bilder und nicht – haben wir eine gute Geschichte. Über die Jahre hinweg haben wir festgestellt, das reicht a) nicht aus und ist sogar schädlich. Wenn Menschen eine Nachrichtensendung einschalten, wollen sie ordentlich und ehrlich informiert werden, und sie wollen nicht sehen, wie es irgendwo brennt. Das wollen sie auch sehen, aber nicht nur. "
Doch RTL ist weit mehr als Nachrichten, und Unterhaltungsformate bergen zuweilen ungeahnte Wertefallen. "Die Absicht, übers Fernsehen Erziehungsmodelle zu vermitteln, finde ich gar nicht schlecht", sagt Margot Käßmann, hannoversche Landesbischöfin.
"Aber wenn ein Kind sich verkriecht unterm Bett, in der dunkelsten Ecke, und weg will vor der Kamera und da im Dunkeln noch gefilmt wird und es keinen Schutz vor der Kamera mehr gibt, ich nicht weglaufen kann, dann verletzt das meines Erachtens die Menschenwürde. Im Übrigen geht mir das auch so, wenn Menschen im Container sogar beim Duschen und zur Toilette gehen gefilmt werden – also das verletzt Menschenwürde, auch wenn Menschen einwilligen, das zu tun. "
Mediale Verstöße gegen die Menschenwürde - Einzelerscheinungen oder Trend?
"Also, ich hoffe, dass die Öffentlich-Rechtlichen diesen Trends widerstehen, aber ich habe den Eindruck, da wird gerade das letzte Tabu noch gesucht, damit ich’s endlich brechen kann und so in die Medien komme. Wenn alle Tabus gebrochen sind, werden wir merken, dass da nichts mehr ist, was eine Gesellschaft zusammenhält, auch an Werten. "
Respekt – also keine angestaubte Tugend, sondern journalistischer Leitwert. Und wie wäre es abseits aller hehren Ansprüche damit, einfach mal nur zu beobachten und zu notieren, also Chronist zu sein, fragt Hans Leyendecker, den andere als "Altmeister der gepflegten Recherche" rühmen. Dann riskieren Journalisten allerdings, unscheinbar zu werden – Willy Brandt hatte sie mal als "Randfiguren der holzverarbeitenden Industrie" bezeichnet. Hans Leyendecker zuckt die Schultern: warum nicht?
"Damit kann man gut leben, wenn man nicht so eitel ist - unser Beruf hat ja die Schwierigkeit der eitlen Selbstverleibtheit, gerade wenn man im Fernsehen ist, aus jeder Pore ist das zu erkennen - wenn man dann eine Randfigur wird, die man ja auch ist – man ist ja nicht der Akteur, der Weltenbeweger. Man ist es doch nur, wenn man die journalistische Wirklichkeit als Wirklichkeit nimmt. Sehr viel bescheidener zu sein, das ist die Aufgabe. "
" Journalisten haben immer an Knöpfen gedreht, aber noch nie war die Musik so schrill wie jetzt. Also, Journalisten wollen wichtig sein, wollen Akteure sein, begeben sich von der Rolle weg, die sie haben. Sie sind Beobachter, sie sind nicht gewählt, nicht legitimiert, ein öffentliches Amt anzutreten. Man kann jetzt schon sehen, gerade in den Talkshow-Hoppereien von Journalisten, dass sie versuchen, Politiker zu spielen. Und wer das macht, soll in eine Partei gehen und versuchen in dieser Partei seinen Weg zu machen. Aber nicht im Journalismus versuchen, diese Ersatzrolle zu finden. "
Auf dem 10. MainzerMedienDisput gehört der als investigativer Rechercheur bekannte Leyendecker zu einer Minderheit auf dem Podium, die dem abtretenden Kanzler Recht gibt in der Wahrnehmung, es habe im Vorfeld der Bundestagswahl eine Schröder–weg-Kampagne gegeben. Vertreter von "Bild" und "Spiegel" dementieren das unisono: "Es gab einen Konsens darüber, dass Deutschland am Ende ist", kontert Michael Backhaus, stellvertretender Chefredakteur bei "Bild" und "Bild am Sonntag". Die Schlappe in Schleswig-Holstein sei zutreffend "als Auftakt zum Ende von Rot-Grün" beschrieben worden, schiebt Spiegel-Mann Dietmar Pieper nach. Hans Leyendecker argwöhnt jedoch, dass die "Trendblätter" ihre Kampagne im Nachhinein als Kritik und Analyse verbrämen wollen. Dabei sei sie längst enttarnt worden:
"Plötzlich merkte man, die Leute haben sich abgewandt, sie haben gesagt, das ist nicht unser Thema gewesen. Sie haben ein anderes Wahlergebnis gebracht. Und dieses andere Wahlergebnis zeigt, dass zumindest in der Deutung von Wirklichkeit sich einige der Chronisten von dem, was bei uns Leben ist, weit entfernt haben. Das ist für große Teile des Journalismus ein Armutszeugnis gewesen, und damit müssen jetzt Journalisten zurecht kommen. "
Bei "Bild" aber blickt man längst wieder nach vorn: auf ein heißes Wochenende. "Politik verkauft wieder" freut sich Michael Backhaus:
"Gegenwärtig gibt es kein anderes Thema als die große Diskrepanz zwischen dem, was die Leute vor der Wahl versprochen haben, dem Eindruck, den sie vor der Wahl erweckt haben und dass das jetzt 100-prozentig wieder eingesammelt wird und nicht mehr wahr sein soll, nur weil man gesagt hat, wir haben nicht unseren Wunsch-Koalitionspartner bekommen, wir wussten gar nicht, wie groß das Haushaltsloch war - das treibt die Leute wirklich um. "
Kampagne-Journalismus, Skandalisierung, Personalisierung – die selbstkritische Analyse ist in zehn Jahren MainzerMedienDisput zum Markenzeichen geworden, ein unbequemer Kongress soll es sein – für Politik und Medien. Zuweilen jedoch schlage die notwendige Selbstreflexion um in die Lust an der Selbstgeißelung, beobachtet RTL-Chefredakteur Peter Kloeppel, der keinen allgemeinen Trend zum Banalen erkennen kann. Im Gegenteil - bei führenden Print-Medien beobachtet er ein Plus an Qualität. Aus der eigenen Praxis berichtet er:
" Also, ich arbeite jetzt seit zwanzig Jahren bei einem Fernsehsender, bei dem ich von Anfang an viele verschiedene Formen der Berichterstattung mitgemacht habe. Wir waren am Anfang mit unseren Nachrichten banaler. Wir waren vielleicht mit unseren Nachrichtensendungen skandalträchtiger, wir haben mehr darauf gesetzt haben wir tolle Bilder und nicht – haben wir eine gute Geschichte. Über die Jahre hinweg haben wir festgestellt, das reicht a) nicht aus und ist sogar schädlich. Wenn Menschen eine Nachrichtensendung einschalten, wollen sie ordentlich und ehrlich informiert werden, und sie wollen nicht sehen, wie es irgendwo brennt. Das wollen sie auch sehen, aber nicht nur. "
Doch RTL ist weit mehr als Nachrichten, und Unterhaltungsformate bergen zuweilen ungeahnte Wertefallen. "Die Absicht, übers Fernsehen Erziehungsmodelle zu vermitteln, finde ich gar nicht schlecht", sagt Margot Käßmann, hannoversche Landesbischöfin.
"Aber wenn ein Kind sich verkriecht unterm Bett, in der dunkelsten Ecke, und weg will vor der Kamera und da im Dunkeln noch gefilmt wird und es keinen Schutz vor der Kamera mehr gibt, ich nicht weglaufen kann, dann verletzt das meines Erachtens die Menschenwürde. Im Übrigen geht mir das auch so, wenn Menschen im Container sogar beim Duschen und zur Toilette gehen gefilmt werden – also das verletzt Menschenwürde, auch wenn Menschen einwilligen, das zu tun. "
Mediale Verstöße gegen die Menschenwürde - Einzelerscheinungen oder Trend?
"Also, ich hoffe, dass die Öffentlich-Rechtlichen diesen Trends widerstehen, aber ich habe den Eindruck, da wird gerade das letzte Tabu noch gesucht, damit ich’s endlich brechen kann und so in die Medien komme. Wenn alle Tabus gebrochen sind, werden wir merken, dass da nichts mehr ist, was eine Gesellschaft zusammenhält, auch an Werten. "
Respekt – also keine angestaubte Tugend, sondern journalistischer Leitwert. Und wie wäre es abseits aller hehren Ansprüche damit, einfach mal nur zu beobachten und zu notieren, also Chronist zu sein, fragt Hans Leyendecker, den andere als "Altmeister der gepflegten Recherche" rühmen. Dann riskieren Journalisten allerdings, unscheinbar zu werden – Willy Brandt hatte sie mal als "Randfiguren der holzverarbeitenden Industrie" bezeichnet. Hans Leyendecker zuckt die Schultern: warum nicht?
"Damit kann man gut leben, wenn man nicht so eitel ist - unser Beruf hat ja die Schwierigkeit der eitlen Selbstverleibtheit, gerade wenn man im Fernsehen ist, aus jeder Pore ist das zu erkennen - wenn man dann eine Randfigur wird, die man ja auch ist – man ist ja nicht der Akteur, der Weltenbeweger. Man ist es doch nur, wenn man die journalistische Wirklichkeit als Wirklichkeit nimmt. Sehr viel bescheidener zu sein, das ist die Aufgabe. "