"Selbstporträt mit Flusspferd"

Das Vieh taugt nicht als Symbol

Von Sigrid Löffler · 30.01.2015
Arno Geigers "Selbstporträt mit Flusspferd" ist die Coming-of-Age-Geschichte eines mittelmäßigen jungen Mannes, der sich als etwas Besonderes dünkt. Ein Dickhäuter mit Schattenexistenz soll der trivialen Figur etwas Dämonie verleihen - eher quälend findet das unsere Kritikerin Sigrid Löffler.
Der Vorarlberger Erzähler Arno Geiger, Jahrgang 1968, gehört zu den erfolgreichen deutschsprachigen Autoren der mittleren Generation. 2005 erhielt er den Deutschen Buchpreis für seinen historischen Familienroman "Es geht uns gut", und das Porträt seines an Alzheimer erkrankten Vaters wurde ein großer Publikumserfolg ("Der alte König in seinem Exil", 2011).
Geiger umkreist vorzugsweise das politisch windstille Milieu heutiger Durchschnittsmenschen mit ihren durchschnittlichen Sorgen, Nöten, Problemen, Hoffnungen und Träumen. Schon in dem Erzählungsband "Anna nicht vergessen" (2007) und in dem Roman "Alles über Sally" (2010) ließ er seine typischen Anti-Helden aufmarschieren – kleinmütig, unverbindlich, entscheidungsschwach, ihren Stimmungsschwankungen (ohne allzu große Amplituden) ausgeliefert, immer auf halbherziger Suche nach dem privaten Glück, immer von der Angst begleitet, das eigentliche Leben zu versäumen.
Der Satz Richard Fords "Was man im Leben verpasst, ist das Leben" könnte als Motto über Geigers Gesamtwerk stehen. Es passieren darin keine spektakulären Tragödien oder großen Unglücksfälle, es wird auch nicht dramatisch gescheitert, doch das Glück sickert einfach weg (wenn es denn je vorhanden war). Die Ursachen für das diffuse unglückliche Bewusstsein dieser Romanfiguren sind meist Herzensträgheit, schnöde Verrätereien und schäbige Treuebrüche (oft in Form freudloser Ehebrüche).
Ähnlich opake, unentschlossene Gefühlslagen beherrschen auch Arno Geigers jüngsten Roman "Selbstporträt mit Flusspferd". Er spielt im Sommer 2004 in und bei Wien. Die Zeit wird vom Autor durch die damals aktuellen Filme und Pop-Bands markiert und beglaubigt durch einschlägige meteorologische und politische Stichworte (Wirbelsturm Frances, Terroranschlag auf die Schule in Beslan).
Der Protagonist Julian, ein 22-jähriger Student der Veterinärmedizin, ist wie alle Studenten aus der Provinz in die Großstadt gekommen, um sich von ihr verwandeln zu lassen, eine erwünschte und doch schmerzhafte Metamorphose. Er hat sich gerade von seiner Freundin Judith getrennt und arbeitet während der Uni-Ferien als Tierpfleger. Er betreut ein gestrandetes Zwergflusspferd, das zwischenzeitlich am Stadtrand von Wien im Garten des ehemaligen Rektors der Fakultät untergebracht ist, bis sich ein Platz in einem Zoo dafür findet.
Wechselbad der Gefühle
Nach dem Abflauen der Trennungsdepression verliebt sich Julian in Aiko, die um fünf Jahre ältere französische Tochter des Professors, und hat eine kurze Affäre mit ihr, ehe sie abrupt mit ihm Schluss macht und nach Frankreich zurückkehrt, nicht ohne ihm beim Abschied zu eröffnen, dass sie schwanger ist. Von wem, bleibt offen.
Diese Sommerwochen sind für Julian ein Wechselbad der Gefühle. Er leidet unter seinen Ambivalenzen und Widersprüchen, zelebriert sie aber auch. Er selbst hat die Trennung von Judith betrieben, um offen zu sein für andere Frauen; jetzt fühlt er sich unglücklich, vereinsamt, verunsichert, beziehungs- und orientierungslos. Er lässt seinem adoleszenten Weltschmerz und seinem Selbstmitleid freien Lauf. Er weiß nicht, was er will. Die eigene Rat- und Planlosigkeit, was er mit sich und seinem Leben anfangen soll, ängstigt ihn bisweilen. Sein Leben erscheint ihm sinnlos "inmitten einer betriebsamen, furchterregenden Welt". Im Stillen überzieht er seine (wenigen) Freunde und WG-Mitbewohner mit kleinlichsten und engherzigen Vorwürfen, fühlt sich unter ihnen als fünftes Rad am Wagen, ist launisch und unausgeglichen, hält sich für nicht liebenswert und fürchtet, zum Eigenbrötler zu werden. Julians Grundgefühl: "Ich falle in die Dornen des Lebens."
Aufdröseln diverser Lebensknoten
Die Affäre mit der rätselhaften, kapriziösen und unsteten Aiko sorgt bei Julian kurzfristig für eine Gemütsaufhellung. Seine Gefühlsverwirrungen beim Aufdröseln seiner diversen Lebensknoten quälen ihn weniger. Doch kaum frisch verliebt, fühlt er schon das Entlieben nahen. Halbherzig kokettiert er mit dem Gedanken, er könnte der Vater des Kindes sein, das Aiko erwartet. Doch das bleibt so folgenlos wie alle anderen flüchtigen Anwandlungen Julians. Am Ende entlässt der Autor seinen Helden "hinein in die sich öffnende Wildnis des Erwachsenenlebens, in die schöne, bedrohliche, unbekannte Welt".
"Selbstporträt mit Flusspferd" ist also die Coming-of-Age-Geschichte eines jungen Mannes, der sich als etwas Besonderes dünkt, aber auf eine (den Leser) quälende Weise banal und mittelmäßig ist. Vergeblich sucht Arno Geiger der Trivialität seiner Figur durch Anrufung geheimnisvoll dräuender Dämonen und Geister entgegenzuwirken. Dem Flusspferd dichtet er gar eine dämonische Schattenexistenz an, doch das Vieh ist untauglich zum Symbol. Es bleibt, was es ist – ein fader Dickhäuter.
Es geht Arno Geiger wieder einmal um die Banalität des zeitgenössischen Lebens in unserer Gesellschaft. Das Elend dieser Banalität auf nicht-banale Art zur Sprache zu bringen, ist Geigers literarisches Problem, an diesem Trivialitäts-Dilemma arbeitet er sich ab. Wie schreibt man auf nicht-langweilige Art über langweilige Existenzen? Man kann nicht sagen, dass ihm das in diesem Buch auf überzeugende Art gelungen wäre.

Arno Geiger: Selbstporträt mit Flusspferd
Hanser Verlag, München 2015
288 Seiten, 19,90 Euro

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