Selbstdarstellung

Angeber nerven und merken es nicht

Illustration: Mann im Anzug schreit in ein Megafon, das seinen Kopf umfasst.
Menschen geben an, weil sie sich dadurch besser fühlen, aber sie zahlen dafür auch einen hohen Preis, erklärt Bijan Moini. © Getty Images / iStockphoto / Topp_Yimgrimm
Ein Einwurf von Bijan Moini · 10.08.2022
Wer zu viel angibt, nervt: Viele in den sogenannten sozialen Medien scheinen davon noch nie etwas gehört zu haben. Größer, schneller, besser – der Selbstdarstellungsdrang wird heutzutage übertrieben, meint der Jurist und Politologe Bijan Moini.
Einen besseren Essay als diesen haben Sie noch nicht gehört. Das Thema betrifft jeden, die Sprache ist ganz und gar außergewöhnlich, der Inhalt spannend. Aber das alles ist auch kein Wunder, schließlich stammt er von mir, einem preisgekrönten Romanautor, Top-Juristen, Politologen.
Darf ich fragen, wie sympathisch Sie mich jetzt finden? Nicht besonders, fürchte ich. Damit sind Sie sicher nicht allein. Niemandem gefällt es, anderen dabei zuzuhören, wie sie sich selbst loben, wie sie sich über andere erheben, wie sie protzen, prahlen, prunken, dick auftragen, sich großer Taten rühmen, Schaum schlagen, aufschneiden, herumtönen, wichtigtun oder - neudeutsch – posen.
Schon die Vielfalt der Begriffe, ihr unterschiedliches Entstehungsalter und die vielen regionalen Sonderbezeichnungen zeigen, wie sehr Angeberei die Menschen beschäftigt. Angeber sind unbeliebt. Und doch geben wir alle an, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, im Beruf, im Privatleben, in den sozialen Medien. Vor allem in den sozialen Medien.

Posen erhöht das Selbstwertgefühl

Aber warum? Warum verkünden Menschen lauthals ihre beruflichen Erfolge, teilen geschönte Bilder aus dem Traumurlaub und Videos von den inspirierenden Höchstleistungen ihres Nachwuchses? Warum tun sie es, obwohl dadurch andere schlechter über sie denken?
Menschen geben an, weil sie sich dadurch besser fühlen. Sie ziehen Befriedigung daraus, ihren sozialen Status zu demonstrieren, zu dem Status ihres Gegenübers aufzuschließen oder diesen sogar zu übertreffen. Sie erheben sich selbst und damit ihr Selbstwertgefühl.

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Dass das Gehirn uns durch Dopamin-Ausschüttungen für das Reden über uns selbst so belohnt wie für gutes Essen oder Sex, unterstützt diesen Impuls noch.

Aufschneider sind unbeliebt

Für den kurzen Kick bezahlen dreiste Angeber einen hohen sozialen Preis. Angeben kränkt die Adressaten in ihrem Bedürfnis nach Gleichwertigkeit mit dem Sprecher und stört das Miteinander.
In egalitären Jäger-und-Sammler-Gesellschaften wurde Angeberei deshalb nicht toleriert. Der Älteste eines solchen Stammes erklärte einmal einem Anthropologen, dass sich der Stamm der Prahlerei eines jungen Mannes, der viel Beute erlegt hatte und damit angab, stets erwehrte. Alle würden seine Beute als wertlos bezeichnen, bis er gelernt habe, bescheiden zu sein. Denn sonst würde sein Stolz eines Tages dazu führen, dass er jemanden töte.
Nicht viele, die angeben, nehmen ihren Ansehensverlust wahr. In der Regel – das hat eine Studie der City University London gezeigt – unterschätzen Angeber, wie stark ihr Eigenlob andere Menschen stört, und überschätzen, wie gut sich ihre Gegenüber fühlen.
Der Grund für diese Fehleinschätzung ist der sogenannte Empathy Gap, dem zufolge wir dazu tendieren, unsere eigenen Gefühle fälschlich auf andere zu projizieren, also etwa zu glauben, dass andere unsere Freude über den neuen Porsche wirklich teilen.

Notorische Prahler müssen gestoppt werden

Wer seinen Stolz über etwas unbedingt mitteilen möchte, sollte sich zumindest diesen Empathy Gap bewusst machen und Adressaten, Worte und Frequenz des Selbstlobs weise wählen.
Die engste Familie mag sich über einen akademischen Erfolg oder eine Gehaltserhöhung freuen. Die meisten der sogenannten 1000 Facebook-„Freunde“ eher nicht. Erst recht nicht, wenn der Tonfall herablassend ist und die Erfolgsmeldungen kein Ende nehmen.
Aber auch auf der Empfängerseite kann uns das Wissen um den Empathy Gap helfen: Manchmal schätzen Menschen die Wirkung ihrer Worte einfach falsch ein. Hier und da dürfen wir es ihnen nachsehen. Notorischen Angebern aber müssen alle Paroli bieten, wie einst unsere Vorfahren. Sonst werden sie am Ende Präsident der USA.

Bijan Moini ist Rechtsanwalt und Politologe und leitet das Legal Team der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Nach dem Rechtsreferendariat in Berlin und Hongkong arbeitete er drei Jahre für eine Wirtschaftskanzlei. Dann kündigte er, um seinen Roman „Der Würfel“ zu schreiben (2019, Atrium). Zuletzt erschien von ihm bei Hoffmann und Campe „Unser gutes Recht. Was hinter den Gesetzen steckt“ – ein anekdotischer Überblick über das, was unsere Gesellschaft zusammenhält.

Bijan Moini
© Thomas Friedrich Schäfer
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