Jean-Charles Wall: Die Prophezeiung des afghanischen Teppichs
DTV, 224 Seiten, 19,90 Euro
Zeilenschinderei um einen Teppich
Jean-Charles Wall hatte sich 1991 einen afghanischen Kriegs- und Propagandateppich gekauft. Darauf Flugzeuge, Schriftzeichen und die Skyline von Manhattan. Der Autor klöppelt daraus eine belanglose Story zum 11. September zusammen.
Es ist ein Unterschied, ob man einen Teppich oder ein Buch flach findet. Im vorliegenden Fall trifft es auf beides zu.
1991 habe ich hier in Europa einen afghanischen Kriegs- und Propagandateppich gekauft. Zehn Jahre später ließen die Ereignisse des 11. September die auf dem Teppich dargestellten Motive plötzlich in einem ganz anderen Licht erscheinen. Ein Rätsel wurde geboren.
Ein Rätsel? Warum keine Lösung? Das ganze Buch hätte einen ganz schönen kurzen Text hergegeben: "Ich habe einen Teppich gekauft, der sich als Mittel islamistischer Propaganda herausstellte und folgendes über ihn herausgefunden." Das passt auf etwa sechs DIN A 4 – Seiten, inklusive Bilder.
Was macht man aber, wenn einem bislang nur gelungen ist, im richtigen Augenblick in einem Geschäft aufzutauchen, aus einem Stapel einen blauen Teppich zu zerren und mit dem unbedarften Verkäufer schnell handelseinig zu werden? Offensichtlich schreibt man ein Buch. Gewiss, es hat schon geringere Anlässe für Bücher gegeben.
Der Teppich wirft also durchaus berechtigte und interessante Fragen auf. Allerdings geht es faktisch nur um eine Darstellung von Flugzeugen, Schriftzeichen, die Brooklyn-Bridge und die Skyline von Manhattan auf einem Teppich. Das Turiner Grabtuch, in dem Jesus von Nazareth nach der Kreuzigung beerdigt wurde, steht zu den theologischen Fragen von Kreuzigung und Auferstehung, in einem ähnlichen Verhältnis wie dieser Kriegsteppich zu den politischen Fragen von Terror und Öl und Islam. Wo etwas bloß gezeigt wird, ist gerade nichts bewiesen.
Um daraus aber ein Buch von zweihundert Seiten zu machen, war Jean-Charles Wall, bislang in seinem Leben lediglich als Innenarchitekt und Teppichkäufer hervorgetreten, gezwungen, seine Erkenntnisse in nicht weniger als 40 Einzelfragen zu verpacken. 40 Räuber, die dem arglosen Leser die Zeit stehlen. Ein Ausmaß an Redundanz und Zeilenschinderei, das man in solch einem ebenso breit wie flach getretenen Umfang selten antrifft. Der Autor verstrickt, verknüpft und verknotet alles in einem einzigen, seidenen Faden, dem Terroranschlag vom 11. September 2001.
Geschwätzige Scheherazade
Aus der Beantwortung der Fragen, aus seinen Recherchen im Internet, seinen Gesprächen mit Freunden oder Dialogen mit Experten, von denen der Autor uns nichts erspart, klöppelt sich diese geschwätzige Scheherazade ein ganzes Buch zusammen.
Da Wall unbedingt ein richtiges Buch und keinen interessanten Text schreiben möchte, muss er seine Erkenntnisse in eine überaus fadenscheinige Erzählung betten.
Aus dem Teppich, der ein übliches Kalendermotiv zeigt, wird so eine Aufforderung zum Attentat, dann auf dem Buchrücken "der angekündigte Terror", dann aber geheimnisvoller im Buchtitel eine "Prophezeiung", schließlich sogar gegen Ende des Buches eine "codierte Botschaft", an die der Autor nur durch Zufall geraten war, weil der Teppich so schön blau aus dem Stapel hervorlugte, der Verkäufer so schusselig war, ihn herzugeben.
Du lieber Himmel, da trampelt dieser Mensch ein Jahrzehnt lang auf einem Teppich herum, der eines der weithin bekanntesten Verbrechen der letzten Jahrzehnte darstellt. Warum fand das Attentat vom 11. September 2001 überhaupt statt, wenn doch der angebliche Masterplan in der Bude eines Innenarchitekten Staub fing? Am Ende sind Walls Fragen nur noch kokett. Hätte er es verhindern können? Wie wäre die Weltgeschichte verlaufen? Wäre der Teppich ernst genommen worden?
Auch nicht schlecht die schlaumeiernden Selbstgespräche unseres Hadschi Halef Omar:
Wie aber kann ich herausfinden, woher genau mein Teppich kommt? Dazu fällt mir nur eines ein: Ich muss einen Experten konsultieren.
Ah, ja! Um aber seine zweihundert Seiten voll zu machen, verschont er uns nicht mit den Sackgassen. Drei Seiten weiter heißt es dann:
Als ich wieder zu Hause bin, kann ich mich eines Gefühls der Enttäuschung nicht erwehren. (…) Ich muss mir wohl einen anderen Sachverständigen suchen.
Als Leser muss man sich ein anderes Buch suchen.