Sektion "Berlinale Shorts" feiert 60.

Die kurze Form des Films

Von Gesa Ufer · 09.02.2015
Nicht nur abendfüllende Spielfilme und Dokumentationen laufen in den Berlinale-Kinos - auch die kleine Form hat Tradition: Die Berlinale-Kurzfilm-Sektion "Berlinale Shorts" feiert 60. Geburtstag. Bei der Preisverleihung wird es auch einen Einblick in die Geschichte des Kurzfilms geben.
27 Kurzfilme aus 18 Ländern hat die Kuratorin Maike Mia Höhne für das Festival ausgesucht. Nach einem simplen Kriterium:
"Es geht wirklich um eigene Handschriften. Um die Frage: Will jemand einen eigenen Weg in all diesen Filmen finden."
Im Programm trifft Animation auf Dokumentation, fantastische Erzählung auf streng formales Experiment. Für die preisgekrönte amerikanische Regisseurin Jennifer Reeder ist es diese Offenheit, die den Reiz des Genres Kurzfilm formal ausmacht:
"Meiner Erfahrung nach kommt das Publikum bereits mit ganz anderen Erwartungen ins Kino, wenn es sich um Kurzfilme handelt. Das Publikum muss sich selbst überlegen, was wohl der Geschichte vorausgeht und wie's danach wohl weiter geht. Auf diese Weise bekommen die Zuschauer auch eine Art von Autorität, und ich habe den Eindruck, dass das Publikum darauf viel positiver reagiert als bei vielen Spielfilmen."
Jennifer Reeder, die bereits als einige von nur wenigen Frauen mit einem "Profil", einer begehren Auszeichnung beim Kurzfilmfestival in Oberhausen ausgezeichnet wurde und derzeit als eine der spannendsten Vertreterinnen des Genres gilt, arbeitet mit explizit politischen Anspruch. Die überzeugte Feministin provoziert zwar gern, mit ihren Filmen möchte sie aber gleichzeitig vor allem jungen Zuschauerinnen helfen, sich zu orientieren. Deshalb inszeniert Jennifer Reeder besonders gern Teenager und junge Frauen aus dem Mittleren Westen Amerikas in typischen Alltags-Situationen.
"Aus zwei Gründen entscheide ich mich immer wieder für Mädchen im Teenageralter. Einerseits weil ich als erwachsene Frau immer wieder reflektiere, wie es für mich war, eine Frau zu werden. Andererseits stört mich, dass im Amerikanischen Mainstream-Kino immer nur die halbe Wahrheit erzählt wird, wenn's um diese Erfahrung junger Frauen geht, wie's ist, erwachsen zu werden. Ich sehe meine Arbeit als eine nötige Alternative zu dem an, was das amerikanische Mainstream-Kino sonst an Rollenmodellen für Mädchen bereithält."
Die Welt aus den Fugen
Jennifer Reeders Berlinale Beitrag "Blood Below the Skin" schildert eine Woche im Leben dreier Highschool-Schülerinnen, die sich auf einen wichtigen Ball vorbereiten. Zwischen dem Einüben von Tanz-Choreographien und der Wahl der richtigen Klamotten fühlen sich zwei der Mädchen zueinander hingezogen. Auch familiäre Spannungen spielen eine Rolle. Den Schilderungen alltäglicher Konflikte stellt Jennifer Reeder Stilelemente des magischen Realismus gegenüber.
Realität und Phantasie fließen auch in Till Nowaks Film "Dissonance" ineinander. Allerdings mischt Nowak 3D-Animationen und reale Sequenzen mit einer Bildsprache ineinander, die zutiefst verstört. "Dissonance" zeigt einen Pianisten, der offenbar in einer tiefen Psychose steckt. Der Mann irrt obdachlos durch die Straßen. Sein Kopf ist zu einer wirren riesengroßen Karikatur aufgebläht. Und während er vor dem Haus seiner Familie steht und darauf hofft, zu seiner Tochter zurück zu dürfen, gerät die Welt vor seinen Augen buchstäblich aus den Fugen – in Bildern die an die beklemmenden optischen Täuschungen des Niederländers M.C. Escher oder den britischen Videokünstler Chris Cunningham erinnern. Der deutsche Regisseur Till Nowak:
"Diese Referenzen, Escher und Cunningham etc., das ist genau richtig. Das sind die Sachen die mich faszinieren, die mich inspirieren und von denen ich auch beeinflusst bin. Und im Prinzip oder zur Entstehung dieses Films hab ich mich eigentlich gefragt: Was sind diese Welten, was machen die? Die sind pure Psychologie, das ist eine Zusammenballung von Ängsten, Ideen etc. Und genau darauf hab' ich die Geschichte dazu geschrieben – also dass man quasi die Psychologie und die Realität dahinter in einem Film sieht."
Ein besonderes Fest zum 60. Geburtstag
Der deutsche Kurzfilm ist im internationalen Vergleich erfreulich gut vertreten. Sechs der 24 Produktionen sind in Deutschland entstanden. Den Grund dafür sieht die Kuratorin der Berlinale Shorts, Maike Mia Höhne, vor allem in den hiesigen Produktionsbedingungen:
"Also, so 'ne Infrastruktur für die kurze Form, die wir hier haben, da lecken sich andere Länder die Finger nach, weil: Es gibt Agenturen, es gibt eine Verleihförderung vom Deutschen Bundesstaat sozusagen, der Geld gibt an die Kinomacher, Betreiber, damit sie kurze Filme spielen, das gibt’s in anderen Ländern nicht. Und es gibt 'ne große Förderkultur, also man kann für den Kurzfilm Geld bekommen, um den zu machen, vom Staat."
Um die Kurzfilme zum 60. Geburtstag der Berlinale-Reihe angemessen zu feiern, hat Maike Mia Höhne in diesem Jahr ein besonderes Fest organisiert: Bei der Kurzfilmnacht der Goldenen Bären werden einige Gewinnerfilme aus den vergangenen 60 Jahren wiederholt. Bei aller Verschiedenartig – einige Strömungen stellt Maike Mia Höhne dabei klar fest:
"Also, in den 60ern sind es auffällig viele Dokumentarfilme, dann kommen die Osteuropäer dazu mit unglaublich vielen Animationen, dann kommen die berühmten 90er mit dem erzählten Witz. Und dann kommen diese 2000er, wo's wirklich eine Fiktion nach der nächsten ist, und eine stärker als die andere ist, will ich fast sagen, also jede für sich."
Als Höhepunkt wird die Kurzfilmnacht den Goldenen Bären für den besten kurzen Film des Jahres 2015 zeigen. Für die Jury in diesem Jahr sicher keine leichte Entscheidung.
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