"Seelenleben: Einblicke in die jugendliche Psyche"

Wie ein Buch Kindern psychische Probleme erklärt

13:12 Minuten
Psychiater und Autor Michael Schulte-Markwort
Seit über 30 Jahren Psychiater: Michael Schulte-Markwort. © Carlsen Verlag
Nina Grützmacher und Michael Schulte-Markwort im Gespräch mit Andrea Gerk · 11.11.2020
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Psychische Erkrankungen werden oft stigmatisiert – gerade bei Kindern und Jugendlichen. Mit einem emotionalen Buch wollen eine Fotografin und ein Psychiater das jetzt ändern.
Das Seelenleben junger Menschen zu verstehen, ist gar nicht so einfach. Manchmal kippt das labile Gleichgewicht, Kinder und Jugendliche brauchen professionelle Hilfe. Die finden sie zum Beispiel bei Michael Schulte-Markwort, der seit 30 Jahren als Kinder- und Jugendpsychiater tätig ist. In Zusammenarbeit mit der Fotografin Nina Grützmacher ist ein besonderes Buch entstanden, das sich an Kinder und Jugendliche richtet.

"Die haben mir die Bude eingerannt"

"Seelenleben" enthält Selbstbeschreibungen der jungen Patientinnen und Patienten, Antwortschreiben ihres Psychiaters, also von Michael Schulte-Markwort, aber auch Fotostrecken und Porträts dieser jungen Menschen, die auch die Basisidee für das Buch waren. Nina Grützmacher erinnert sich, dass es relativ leicht war, die Patientinnen und Patienten für ein Fotoshooting mit ihr zu begeistern:
"Ich erinnere mich daran, dass die relativ schnell sehr interessiert waren. Wir sind auf die einzelnen Stationen gegangen und haben gemeinsam das Projekt vorgestellt. Da ist ziemlich schnell Vertrauen entstanden – und große Neugier nach den ersten Shootings. Danach wurde mir ziemlich die Bude eingerannt."

Immer auf Augenhöhe kommunizieren

Begleitet werden die Fotos von Briefen, die der Psychiater Schulte-Markwort seinen Patientinnen und Patienten schickt. Etwas, das ihm sehr wichtig ist:
"Ich schreibe meine Arztbriefe nur noch an die Kinder. Viele Kollegen sagen, dass es keine echten Arztbriefe mehr sind, weil die so geschrieben sind, dass Kinder sie verstehen. Aber ich schreibe die sogar an Kinder, die noch nicht lesen können, weil ich voraussetze, dass die Eltern denen das vorlesen. Dadurch habe ich oft erste therapeutische Effekte, weil Eltern realisieren: 'Es geht gar nicht um uns. Es geht ja wirklich um unser Kind.'"
Schulte Markwort betont außerdem, wie wichtig es sei, auf Augenhöhe mit den Kindern und Jugendlichen zu kommunizieren:
"Womit ich sehr kämpfe ist, dass ich oft mit Eltern zu tun habe, die ihren Kindern etwas unterstellen. Die unterstellen zum Beispiel Instrumentalisierung. Oder 'Du willst ja nur Grenzen austesten', oder 'Du willst mich nur manipulieren' und Ähnliches. Das nenne ich eine misstrauische Ebene. Die ist immer zum Scheitern verurteilt. Aber wenn man die verlässt und wirklich authentisch ehrlich mit den Kindern ist, dann stellt sich die Augenhöhe automatisch her."

Gegen das Stigma

Mit dem Buch wollen Schulte-Markwort und Grützmacher erreichen, dass Kinder und Jugendliche mit psychischen Problemen merken, dass sie nicht alleine sind und es auch andere gibt, denen es so geht. Allgemein ist es dem Psychiater ein Anliegen, das Stigma gegenüber psychischen Erkrankungen abzubauen:
"Deswegen bemühe ich mich seit vielen Jahren, immer in die Öffentlichkeit zu gehen. Ich denke, Stigmatisierungsprozesse hören damit am ehesten auf, indem man den Vorhang auf- und nicht zuzieht. Aber natürlich gibt es noch Jugendliche, die sagen: Ich bin doch kein Psycho. Die muss man erst einmal vorsichtig gewinnen."

Nina Grützmacher und Michael Schulte-Markwort: "Seelenleben: Einblicke in die jugendliche Psyche"
Carlsen Verlag 2020
144 Seiten, 16 Euro

(hte)
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