Schwindelfreier Herr der Orgeln

Von Jörg Armbrüster |
Sein Arbeitsplatz zählt immerhin zum Weltkulturerbe: Winfried Bönig ist 1. Organist am Kölner Dom. Der 52-jährige Kirchenmusiker spielt die Orgeln bei Gottesdiensten und organisiert das Konzertprogramm in der meistbesuchten Sehenswürdigkeit Deutschlands.
Es geht hoch hinaus. Wenn Winfried Bönig die Wendeltreppe zur Schwalbennest-Orgel nach oben steigt, kommt er dem Himmel ein gutes Stück näher: genau 20 Meter...

„Wie viele Stufen sind das?“
„Ich hab sie noch gezählt, aber sehr viele“
„Da muss man schon recht fit sein, oder“
„Da wird man fit, das kann ich ihnen sagen…“

Das viele Treppen steigen zahlt sich offenbar aus. Schlank und rank ist 52-Jährige. Hochaufgeschossen. Fast hager. Eine Brille mit runden Gläsern lässt das markante Gesicht etwas weicher erscheinen. Und trotz der spärlichen, schon grauen Haare wirkt der Organist jung und dynamisch.

„So, jetzt müssen wir aufschließen, die Tür führt erstmal ins Freie, mit einem schönen Blick zum Hauptbahnhof.“

Draußen weht ein frisches Lüftchen. Der Blick über die steinerne Brüstung reicht weit übers nächtliche Köln. Die kunstvollen Figuren der Außenfassade sind zum Greifen nah. Der geborene Franke geht diesen Weg seit zehn Jahren, aber noch immer ist er etwas Besonderes für ihn. Nach weiteren zehn Minuten über Treppen und das spärlich beleuchtete Triforium, den inneren Mittelgang auf halber Höhe des Domes, kommt Winfried Bönig endlich an, vor dem Eingang zur Schwalbennest-Orgel.

„Man muss aufpassen, wenn man zu sehr außer Atem ist, spielt man vielleicht etwas schneller.“

Es schlägt gerade 22 Uhr.

„Die Uhr erinnert einen immer daran, dass man nicht im Himmel ist, nur im Dom, aber das ist ja auch sehr schön... Und dann tritt man ins Freie, 20 Meter Höhe.“

Ins Freie des Kirchenschiffs. Was für ein Blick! Aus dieser Perspektive, auf halber Höhe des Doms, wirkt die Kirche noch imposanter, größer, weitläufiger. Allerdings muss der Organist hier schwindelfrei sein. Vor allem wenn er weiß, dass die Orgel an nur vier Stahlseilen an der Decke aufgehängt ist.

„Man kann nach unten schauen, durch eine Plexiglas-Verschalung, das ist nicht jedermanns Sache, da braucht man etwas Gottvertrauen. Es gibt Kollegen, die wollen hier nicht spielen, andere sind schon schweißgebadet wieder runtergekommen.“

Von hier oben begleitet Winfried Bönig die Hauptgottesdienste am Sonntag. Abwechselnd mit seinem Kollegen, dem 2.Domorganisten Ulrich Brüggemann. Das aber ist nur ein kleiner Teil seines Jobs: Viel mehr Zeit verbringt Winfried Bönig damit, Konzerte zu organisieren:

„Also im Sommer haben wir hier manchmal drei- bis viertausend Leute sitzen, das ist viel für ein Orgelkonzert, ich denke, das sind die meistbesuchten Konzerte in der Welt.“

Orgelwechsel. Winfried Bönig ist wieder runtergestiegen. Spielt nun die Querhaus-Orgel, die zweite Hauptorgel des Kölner Doms. Sie verfügt über mehr Register und Power.

Der Domorganist geht auch gern mal fremd. Sogar ziemlich oft. Winfried Bönig spielt etwa 40 Konzerte pro Jahr auf Orgeln in der ganzen Welt. Er ist ein gefragter Solist. Dennoch ist er froh, den festen Job als Domorganist zu haben. Denn die Gagen für freie Konzertorganisten liegen weit unter denen der Künstlerkollegen am Piano. Vielleicht, weil die Organisten beim Spielen oft gar nicht zu sehen sind oder nur mit dem Rücken zum Publikum, vielleicht auch, weil es einfach viel mehr Orgel- als Klavierkonzerte gibt, vermutet Bönig.

Er jedenfalls ist der „Königin der Instrumente“, wie sie Mozart mal genannt hat, hoffnungslos verfallen:

„Das hat mich als Kind schon fasziniert, habe immer auf diese Klänge gehört, insofern ist die Königin zu mir gekommen. Die Orgel bietet eben das volle Spektrum an Frequenzen und Klangfarben, da kommt auch kein Orchester mit.“

Aufgewachsen ist Winfried Bönig in Bamberg. Den leicht fränkischen Akzent hat er bis heute nicht verloren. Nach dem Orgelstudium in München und der Promotion in Musikwissenschaften an der Uni Augsburg war er zunächst Organist in Memmingen. Für eine Professorenstelle an der Kölner Musikhochschule zog er vor 13 Jahren an den Rhein – und wurde dann an den Dom berufen. Seit zehn Jahren nun ist er Solist, Orgel-Professor...und: 1.Dom-Organist:

#"Es ist ein Traumberuf für einen Organisten, an so einer Kirche zu spielen. Auch weil es hier ein großes Interesse für Orgelmusik gibt. Dafür bin ich sehr dankbar.“

Winfried Bönig fühlt sich mittlerweile zu Hause in Köln. Mit seiner Frau und den beiden kleinen Kindern lebt er nicht weit vom Dom, in der Mozartstraße. Über die Adresse freut er sich besonders. Und manchmal setzt sich der Domorganist auch spätabends noch an die Orgel, wenn es ganz ruhig ist in der Kirche und nur noch die Schritte des Küsters zu hören sind, der die letzten Kerzen auslöscht:

„Fühle mich hier daheim. Das ist ja meine Orgel, auch wenn ich sie nicht bezahlt habe. Allein sein hier in der Kirche ist ein Privileg, das passt alles zusammen. Ich kann mir gut vorstellen, das bis zu meiner Rente zu machen, ich wüsste nicht, was einen sonst noch reizen könnte.“
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