Freibad

Zwischen Chlor und Pommes

Aus Vogelperspektive sieht man zahlreiche Badegäste in einem Wasserbecken eines Freibads schwimmen.
Freibäder sind oft nicht nur die einzige Abkühlung in überhitzten Städten, sie sind Orte für alle: zum Ausruhen, zum Spielen, zum Schwimmen. © picture alliance / dpa / Sebastian Kahnert
Freibäder waren nie nur zum Schwimmen da. Vom römischen Außenbecken bis zum städtischen Sommerbad waren sie vor allem Orte der Begegnung – laut, widersprüchlich, bunt. Und heute wichtiger denn je.
Das Freibad im Sommer, das sind knusprige Pommes rot-weiß, Jugendliche, die vom Dreier springen, Grundschulkinder, die um die Wette tauchen und ein Bademeister, der versucht, den Überblick zu behalten. Auf der Leiter am Beckenrand steht meistens jemand, der sich langsam ans kalte Nass herantastet – erst nur mit den Beinen. Man selbst liegt auf der Wiese, das Buch halb gelesen, und schwimmt zwischendurch ein paar Bahnen.
Freibäder sind nicht nur eine Abkühlung an heißen Tagen. Sie sind Orte, die für alle da sind: zum Ausruhen, zum Spielen, zum Schwimmen.

Antike: Die Vorläufer der Freibäder

Die Idee eines öffentlichen Bads reicht bis in die Antike zurück. Schon im alten Griechenland wurde gebadet, zur Reinigung, zur Entspannung, aber auch, um sich auszutauschen und zu diskutieren. Die Römer führten diese Kultur fort und errichteten Thermen und öffentliche Bäder, in denen teils mehr als tausend Menschen gleichzeitig Platz fanden. Neben den beheizten Hallen, gab es auch unbeheizte Außenbecken, in denen unter freiem Himmel gebadet und geschwommen wurde. In den Sommermonaten dienten sie zur Abkühlung. Man könnte die Becken als Vorläufer unserer heutigen Freibäder sehen.
Die Badekultur etablierte sich über die Jahrhunderte weiter: So gehörten zum Beispiel auch im Mittelalter Badestuben und Badestellen vielerorts zum Alltag. Umso absurder erscheint es heute, dass es später tatsächlich Zeiten gab, in denen das Baden als ungesund, ja gefährlich galt. Nicht etwa, weil man ertrinken könnte, sondern weil man glaubte, dass Wasser durch die Haut in die Organe dringen und diese schädigen würde. Diese Vorstellung verbreiteten im 16. Jahrhundert zumindest Quacksalber-Ärzte.

Barock: Pudern statt baden

In den barocken Höfen wurde deshalb lieber gepudert als gewaschen. Statt nach Seife roch es nach Parfum. Körperpflege bedeutete: den Geruch zu überdecken, nicht zu beseitigen. Das Baden hatte seinen guten Ruf verloren.
Erst mit der Aufklärung kehrte die Badekultur zurück. 1760 eröffnete in Paris auf einem Boot auf der Seine ein erstes öffentliches Badeboot. Die Idee des Flussbads reiste flussaufwärts auch Richtung Deutschland, nach Mannheim, nach Frankfurt.

Die Geburt des modernen Freibads

Die ersten modernen Freibäder entstanden Ende des 18. und im Laufe des 19. Jahrhunderts. 1799 öffnete in Lübeck an der Wakenitz eine Badeanstalt der „Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Tätigkeit“. 1842 folgte das Lorettobad in Freiburg mit einem gemauerten Schwimmbecken, 1866 das Schreberbad in Leipzig. Diese Bäder waren bürgerschaftliche Unternehmungen. Sie standen für soziale Teilhabe und galten als Ausdruck von Demokratisierung im 19. Jahrhundert. Und es galt die Regel: Wer badet, soll sich bedecken.
1932 erscheint in Preußen die „Badepolizeiverordnung“. Sie regelt, wie viel Haut gezeigt werden darf. Männer müssen Badehosen mit Zwickel tragen, Frauen Badeanzüge, die Brust und Bauch vollständig bedecken.
Um 1900 stehen an den Ostseestränden die sogenannten Badekarren, fahrbare Umkleidekabinen mit einer kleinen Leiter direkt ins Meer. Evelyn Förster, Chanson-Sängerin und Autorin, beschreibt, wie Frauen sich darin umzogen: mit Spiegel, Haken, Decke – und dann über die Leiter ins Wasser stiegen.
Männer und Frauen in einem Bad? Was heute selbstverständlich erscheint, war damals ein Novum. Erst 1902 wird im Ostseebad Heringsdorf auf Usedom das gemischte Baden eingeführt, ein Jahr später folgen die Nachbarorte Ahlbeck und Bansin. Auch Heiligendamm, Deutschlands ältester Seebadeort, zieht nach.

Freibad als Volksort

Die große Zeit der Freibäder beginnt am Ende des 19. Jahrhunderts. Eduard Bilz – Kaufmann, Lebensreformer, Naturheilkunde-Pionier. In Radebeul bei Dresden eröffnet er 1905 ein Freibad, das Teil seines Naturheilsanatoriums war. Und es gab eine Besonderheit: eine Wellenmaschine, die er 1911 auf einer Hygieneausstellung in Dresden entdeckt und sofort einbauen lässt. Noch heute funktioniert sie.
Auch in Zürich wird das Freibad modern: 1943 entwirft der junge Architekt und späterer Schriftsteller Max Frisch das Freibad am Letzigraben, mit 50-Meter-Schwimmbecken und Springturm. Das Freibad soll für alle sein. Frisch notiert in seinem Tagebuch: „Ein Freibad für das Volk.“  Das Bad wurde 1949 eröffnet, 2007 saniert und kann bis heute besucht werden. Max Frisch selbst ging zum Baden offenbar lieber in den Zürichsee. Und zum Nachdenken an dessen Ufer.
In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg wird das Freibad endgültig Teil des Alltagslebens. Man könnte von der Blütezeit der Freibäder sprechen: Sowohl in Westdeutschland als auch in der DDR entstehen zahlreiche Anlagen, als Ort für Erholung, Freizeit und Gesundheit und als Aufgabe der Daseinsvorsorge.

Schwimmbadsterben

Doch der Glanz verblasst. Nach der Wiedervereinigung schließen viele Freibäder. Und der Trend der Schließungen zieht sich bis heute, die Zuschüsse der Kommunen schwinden.
2019, so schreibt die Plattform Statista, gab es in Deutschland noch rund 6400 öffentliche Bäder – Hallen-, Frei- und Naturbäder. Das waren 1400 weniger als im Jahr 2000. Das bedeutet: Jedes Jahr schließen rund 70 Bäder. Hinzu kommt der Personalmangel. Und das hat Folgen: Immer weniger Grundschulkinder in Deutschland können schwimmen.

Klimawandel und Freibad

Auch der menschengemachte Klimawandel wirkt sich auf das Baden aus. Mit zunehmenden Hitzewellen kippen Seen künftig schneller, weil sich Algen stärker ausbreiten. Und auch in Meeren wie der Ostsee können sich bei hohen Temperaturen Vibrionen vermehren – Bakterien, die beim Baden gesundheitlich gefährlich werden können. Gerade deshalb könnten Freibäder zukünftig an Bedeutung gewinnen - als sichere Alternative, als Ort der Abkühlung und der öffentlichen Daseinsvorsorge.

Streitereien und Freibadsongs

Besonders in den vergangenen Jahren wurde außerdem viel über Gewalt und Auseinandersetzungen in Freibädern berichtet, zum Beispiel in Berlin. Doch ein Blick auf die Statistik zeigt: Solche Streitereien gab es schon vor 50 Jahren. Auch die gemeldeten Fälle sind nicht etwa gestiegen – im Gegenteil: Sie gehen leicht zurück.
Das Freibad ist auch ein Ort der Inspiration, zum Beispiel für die Musik. Schon 1984 besingen Die Ärzte in ihrem ironischen Song „Paul“ den herrischen Bademeister Paule, der Kinder vom Einser schubst. 2021 folgt mit „Bademeister*in“ von der Sängerin Dota Kehr eine humorvolle Hommage an Gleichberechtigung, Diversität und Teamgeist.
Fest steht: Das Freibad war nie nur ein Ort zum Schwimmen, sondern immer ein Ort der Begegnung, der Entspannung, der Diskussion - vom römischen Außenbecken bis zum bürgerlichen Sommerbad des 19. Jahrhunderts.
Vielleicht ist es genau diese Mischung, die das Freibad auch bis heute noch so besonders macht. Zwischen Planschbecken und Sprungturm, Chlorgeruch und Popmusik, Erholung und Badespaß bleibt es ein Ort, an dem Gesellschaft sichtbar wird – laut, widersprüchlich und bunt. Man kann springen. Oder sich langsam über die Leiter ins kalte Wasser tasten. Man kann schwimmen, rutschen, streiten, spielen. Oder einfach auf der Wiese liegen, Pommes rot-weiß essen und ein Buch lesen.

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