Schwedisches Schulsystem

Ein zweigleisiges Modell mit Rissen

06:58 Minuten
Blick in ein leeres Klassenzimmer in Stockholm
Klassenzimmer in Schwedens Hauptstadt Stockholm: Über den hohen Anteil privater Schulbetreiber wird in Schweden hitzig debattiert. © picture alliance / TT NYHETSBYRÃN / Stina Stjernkvist
Von Sophie Donges · 13.06.2022
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Rund ein Viertel der Schulen in Schweden sind privat. Vor etwa 30 Jahren öffnete eine liberal-konservative Regierung das staatliche System „eine Schule für alle“ für solche Anbieter. Inzwischen gibt es aber Kritik an den Folgen dieser Entscheidung.
Ein Werbevideo einer Privatschule in Täby im Norden Stockholms. Eine, die damit wirbt, zu den führenden Grundschulen im Land zu gehören: „Wir sind eine der ältesten Schulen hier, es gibt uns seit 1994. Damals hatten wir 30 Schülerinnen und Schüler, heute über 1000“, erzählt die Sprecherin.
Tatsächlich gibt es private Schulen wie diese hier erst seit 1992. Die damalige konservative Regierung ermöglichte es, sogenannte freie Schulen zu gründen, die privat verwaltet werden. Eigentlich war es Anfang der 90er nicht schlecht um die öffentlichen Schulen bestellt, so Matthias Börjesson, Lektor für pädagogische Arbeit an der Uni Göteborg.

Schweden hatte in den 70er-, 80er- und 90er-Jahren ein erfolgreiches Schulsystem mit guten Ergebnissen. Aber in der damaligen Debatte dominierte das Bild, dass die Schulen ineffektiv seien und nicht das gewünschte Ergebnis lieferten. Ein marktwirtschaftliches System sollte die Lösung sein.

Matthias Börjesson

Privatschulen kosten kein Geld

Inzwischen ist jede vierte Bildungseinrichtung von Kindergarten bis Gymnasium in privater Hand. Fast jeder dritte Schüler in der Oberstufe geht auf eine private Schule. Es gibt jedoch einen entscheidenden Unterschied beispielsweise zu Großbritannien: Privatschulen kosten in Schweden kein Geld.
Jeder Schüler bringt eine Pauschale mit, die von der Gemeinde bezahlt wird, nicht mehr und nicht weniger. Die Eltern wählen aus, welche Schule für ihre Kinder infrage kommt, wenn sie dort einen Platz kriegen. Die Wartelisten sind lang wie hier an einer Stockholmer Schule im reichen Viertel Östermalm.
Man ist unter sich – und das schätzen viele Eltern wie diese Mutter: „Wir wollten kein Risiko eingehen. Es gibt einfach viele Schulen, die unsere Ansprüche nicht erfüllen. Ein nettes Umfeld für die Kinder, guter Unterricht, nicht zu viel Lärm in den Klassenräumen. Also ganz normale Erwartungen.“

Ich bin wirklich traurig, dass die kommunalen Schulen diese Anforderungen nicht erfüllen können. Wir sind mit unserer Schule sehr zufrieden. Wir lieben diese Schule und unsere Kinder auch.

Eine Stockholmer Mutter

Kritik an irreführenden Rankings

Tatsächlich schneiden private Schulen insgesamt in Rankings oft besser ab als kommunale. Das hat verschiedene Ursachen: Zum einen befinden sich mehr private Schulen in den wohlhabenden Vierteln der Großstädte, denn hier ist der kommunale Schulbetrag oft höher als anderswo. Außerdem stehen Vorwürfe im Raum, dass Kinder in manchen Privatschulen schlicht bessere Noten bekämen als in einer kommunalen Einrichtung.
Das glaubt auch Börjesson von der Uni Göteborg: “Gewinnorientierte Schulen haben einen Anreiz, ihren Schülern systematisch bessere Noten zu geben als verdient. Man spricht auch von Noten-Inflation. Außerdem tragen sie zur Segregation bei, indem sie Schüler mit hohem, sozioökonomischem Hintergrund anziehen.“
Das schwedische Fernsehen SVT hat den Vorwurf Notenbeschönigung gerade durch eine Recherche belegt. Dabei ging es um die IES – die internationale Englische Schule in zwei Stadtteilen in Stockholm.
Lehrkräfte berichteten dem Sender, dass Noten im Nachhinein nach oben korrigiert wurden: „Ich war verwundert, als am Ende des Schuljahres die Protokolle unterschrieben werden sollten und ich sah, dass die Noten, die ich meinen Schülern gegeben hatte, geändert worden waren. Eine Reihe von Schülern, die eigentlich durchgefallen waren, hatten plötzlich bestanden.“

Zweigleisiges System als Wahlkampfthema

Inzwischen hat sich auch der Schulbetreiber gemeldet und angegeben, dass man davon nichts gewusst habe, die Vorwürfe aber sehr ernst nehme. Solche Berichte heizen die politische Debatte um das zweigleisige Schulsystem weiter an. Im September wird in Schweden gewählt und das Thema Bildung ist Teil des Wahlkampfs.
Oppositionsführer Ulf Kristersson von den konservativen Moderaten verteidigt die Privatschulen: „26 der 28 Schulen in Schweden mit den größten Problemen sind Schulen unter öffentlicher Verantwortung, oft in Wohngebieten, wo es sowohl Sprach- als auch Ordnungsprobleme gibt. Das löst man nicht, indem man private Schulen abschafft“, sagt er.

Die freie Schulwahl ist einzigartig für Schweden, weil sie unabhängig vom Geldbeutel ist. Aber natürlich darf man keine schlechten Schulen betreiben, weder private noch kommunale, und auch kein Geld damit verdienen.

Ulf Kristersson

Die sozialdemokratische Minderheitsregierung wiederum sieht ein Problem im System: Lange Wartelisten in den Privatschulen, auf denen Kinder schon im Babyalter vermerkt werden oder auch die kommunalen Zuschüsse. Daran möchten die Sozialdemokraten etwas ändern, jedoch bisher ohne Erfolg im Parlament.

Geschäftsmodell auf Basis von Steuergeld

Auch die Linkspartei ist unzufrieden und sieht die Privatisierung als grundsätzliches Problem, so die Vorsitzende Nooshi Dadgostar. “Leider ist unser Modell, bei dem Steuergelder in Unternehmen fließen und die Schulen sich dort niederlassen, wo sie sich Gewinne erhoffen, einzigartig in der Welt“, kritisiert sie.

Öffentliche und Betriebsschulen sind die Verlierer, wenn die Gewinne der privaten Anbieter ins Ausland verschwinden. Mittlerweile betreiben sogar Banken Schulen in Schweden.

Nooshi Dadgostar

Nicht auf alle Privatschulen trifft dieses beschriebene Modell zu, manche sind beispielsweise nicht börsennotiert, sondern ideell gesteuert. Und am Ende sei das Problem des einstigen PISA-Vorreiter-Lands Schweden auch ein generelles und nicht nur eines der Privatschulen, findet Mattias Börjesson von der Universität Göteborg.
“Den Schulmarkt könnte man mit ein paar konkreten politischen Vorschlägen modifizieren, die teilweise bereits auf dem Tisch der Regierung liegen", sagt er. "Den Mangel an qualifizierten Lehrern zu decken, dauert jedoch mindestens zehn Jahre. Der Beruf muss attraktiver werden und wir brauchen mehr Studienplätze. Beide Ansätze sind wichtig, aber der eine ist leichter umzusetzen als der andere.”
Bleibt abzuwarten, wie die schwedische Politik Bildung künftig gestalten wird – nach der Wahl im September. Vorher wird die sozialdemokratische Minderheitsregierung vermutlich keine Reform mehr durch das Parlament bringen.

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