Europa

Lernen in der Krise

Nauplia, Griechenland: Drei Kinder sitzen mit einer Zeitschrift auf den Stufen einer großen Treppe.
Nauplia, Griechenland: Drei Kinder sitzen mit einer Zeitschrift auf den Stufen einer großen Treppe. © picture-alliance/ ZB
Von Thomas Bormann |
Griechenland ist noch längst nicht über den Berg: Die Folgen von jahrelanger staatlicher Misswirtschaft treffen neben dem Gesundheitssektor auch das Bildungssystem hart. Nur noch mangelhaft können viele Schulen unterrichten, es fehlt schlicht das Geld. Die Folgen: Lehrer-Streiks, zu große Klassen und ein Nachhilfe-Boom.
Panagiotis büffelt Mathe-Formeln am Wohnzimmertisch. Jeden Nachmittag kommt sein Nachhilfelehrer ins Haus. Seine Eltern bezahlen dafür fast 400 Euro im Monat.
"Das ist leider normal", sagt der 17-jährige Gymnasiast. Auch die meisten seiner Klassenkameraden brauchen Nachhilfeunterricht. Ohne geht’s nicht, meint Panagiotis:
"Weil ich für mein Studium die Aufnahmeprüfungen bestehen muss, auf die mich die Schule nicht genügend vorbereitet. Also muss ich Nachhilfeunterricht nehmen, um eine Chance zu haben."
Panagiotis schüttelt mit dem Kopf: "Es ist eine Einbahnstraße: Du MUSST Nachhilfe nehmen, wenn du einen Weg aus der Krise finden willst und später mal auf einem guten Arbeitsplatz landen willst. Wenn du dich nur auf die Schule stützt, wirst du nichts schaffen.
Die staatlichen Schulen in Griechenland platzen aus allen Nähten. Panagiotis‘ Gymnasium wurde für 250 Schüler gebaut; jetzt drängen sich dort fast 400 Schüler; gut 30 in jeder Klasse, auch im Abitur-Jahrgang.
Die Kinder lernen hier vor allem den Mangel kennen: Mal gibt es kein Papier für den Kopierer; mal bleiben die Lichter aus, weil die Schule die Stromrechnung nicht bezahlen kann, und oft genug fällt der gesamte Unterricht aus, weil die Lehrer aus Protest gegen die Sparpolitik streiken.
Frage an Stavros Tziortzótis vom griechischen Lehrerverband, ob mit den regelmäßigen Lehrer-Streiks die Misere an griechischen Schulen nicht noch verschärft wird?
"Nein, die Schüler leiden nicht unter den Streiks der Lehrer, sondern sie leiden unter der Politik der Regierung. Mit unseren Protesten zeigen wir den Schülern, wie man seine Würde verteidigt. Es ist ein Kampf der gesamten Gesellschaft. An unseren Protesten nehmen ja nicht nur Lehrer teil, sondern auch andere Berufsgruppen."
Die Regierung hat etliche Schulen geschlossen und die Gehälter der immer weiter gesenkt. Ein Lehrer in Griechenland verdient nur knapp 1000 Euro im Monat, Berufsanfänger sogar nur 600 Euro.
Hunderte Euro pro Monat für Nachhilfestunden
Die Regierung spare das gesamte Bildungssystem kaputt, dagegen müsse man kämpfen, fordert Stavros Tziatziótis:
"Vom Staat bekommen die Schulen 30 Prozent weniger Geld, von den Kommunen sogar 60 Prozent weniger. Deshalb fehlt das Geld für Wasser, für Strom, im Winter auch für die Heizung. Wir haben kein Geld für Schulmaterial, manchmal nicht mal für Kreide. Darunter leiden vor allem die Kinder der armen Familien, denn die können nicht in Privatschulen ausweichen – und die haben auch kein Geld für die teuren Nachhilfestunden."
Andreas Kardamakis vom Elternverband in Agripouli im Süden Athens hat schon viele Klagen gehört über den teuren Nachhilfeunterricht. Er weiß, wovon er spricht; seine eigenen Kinder besuchen 9. und die 11. Klasse des Gymnasiums. Für sie muss er jeden Monat Hunderte Euro in Nachhilfestunden investieren:
"Das ist das Schlimme am griechischen Bildungssystem: Dieses System sieht den Nachhilfeunterricht als gegeben an, damit die Schüler überhaupt studieren können. Deshalb sind die Schüler der Oberstufe ja sogar froh über jeden Lehrerstreik, wenn der Unterricht an den Schulen mal wieder ausfällt. Die Schüler haben dann mehr Zeit für den Privatunterricht. Allein das zu sagen, ist schon verrückt. Die Schüler müssten doch in der Schule für die Aufnahmeprüfungen ausreichend vorbereitet werden und nicht in der Nachhilfe."
Wer es dann nach all den Mühen an die Uni schafft, muss weiter mit Mängeln und mit Unterrichtsausfall leben. Marianna ist in Deutschland aufgewachsen; jetzt studiert sie Germanistik in Athen:
"Letztes Jahr haben wir eine gesamte Prüfungszeit verloren, komplett, also die Prüfungen konnten nicht mehr erfolgen, weil die Uni besetzt war. Das Ergebnis war, dass viele Studenten, die kurz vor ihrer Diplom-Arbeit waren, ein Semester warten mussten, um ihr Diplom zu machen."
Viele junge Griechen kehren deshalb ihrer Heimat den Rücken, wollen irgendwo im Ausland studieren. Die 20-jährige Jura-Studentin Maria aber will trotz all der Schwierigkeiten in Athen bleiben:
"In allen Branchen ist es schwierig, kein Berufszweig kann dir eine sichere Zukunft garantieren, wir müssen es aber trotzdem versuchen und nicht alles schwarz sehen. Denn ich glaube, das Ausland gibt nicht immer die Lösung. Auch dort ist es schwierig, und bestimmt werden auch da die Griechen nicht unbedingt mit offenen Armen empfangen."
Duale Ausbildung im Hotelfach nach deutschem Vorbild
In Griechenland bleiben und die Herausforderungen der Krise annehmen. Das haben sich auch die jungen Schüler an der Berufsschule in Alimos bei Athen vorgenommen. Sie haben Anfang des Jahres ihre Ausbildung als Hotelfachmann oder –fachfrau begonnen; eine duale Ausbildung nach deutschem Vorbild – mit Theorie in der Berufsschule und Praxis in einem Ausbildungsbetrieb. Bei den 90 Auszubildenden ist wenig von Krise und Mangel, aber viel von Zuversicht zu hören:
"Wir lernen hier kochen, wir lernen Sprachen, Deutsch und Englisch - alles was man im Hotel können muss. Wir sind alle sehr hoffnungsvoll, dass wir hier einen guten Start ins Berufsleben bekommen."
"Ich hab mir Gedanken gemacht: Was kann ich tun hier in Griechenland. Ich hatte schon als Reiseleiter gejobbt, und jetzt, an dieser Schule, bin ich sehr zuversichtlich, dass wir hier viel vermittelt bekommen."
"Ich möchte auch gern mal im Ausland arbeiten. Aber ich denke: Auch hier in Griechenland wird der Tourismus-Sektor immer weiter boomen, also auch hier haben wir gute Berufs-Chancen."
Die Tourismus-Branche als Motor der griechischen Wirtschaft geht auch in der Ausbildung neue Wege. Solche positiven Beispiele sind aber noch die Ausnahme im griechischen Bildungssystem nach nun schon sechs Jahre dauernder Wirtschaftskrise.