Schwarzmilane kreisen über Indien

Prima Klima mit Corona?

06:40 Minuten
Ein dunkelbrauner großer Vogel mit weitgespannten Schwingen fliegt vor dem Hintergrund des blauen Himmels.
In Neu-Delhi gibt es viele Schwarzmilane. Die Greifvögel sind die Herrscher über leere Straßen, seitdem im Lockdown der Verkehr zum Erliegen kam. © Silke Diettrich / ARD-Studio Neu-Delhi
Von Silke Diettrich · 04.05.2020
Audio herunterladen
Seit Ende März leben in Indien 1,3 Milliarden Menschen im verordneten Lockdown. In Neu-Delhi, einer der schmutzigsten Städte der Welt, ist der Smog zurückgegangen, der Himmel ist blau, die Flüsse klar, die Vögel laut. Ein Aufatmen mit Ablaufdatum.
Die Vögel in Neu-Delhi erwachen früh am Morgen: Papageien, Hornvögel und Wiedehopfe sitzen auf Ästen mit knallgrünen Blättern. Schwarzmilane kreisen in der warmen Brise. In der Hauptstadt von Indien klingt es seit Wochen wie in einem Vogelkäfig.
Nur mit dem Unterschied, dass jetzt die Menschen gefangen sind. In Indien gilt eine absolute Ausgangssperre, die Vögel allerdings können einfach über die Barrikaden und Absperrungen hinwegfliegen.
Ein blauer Himmel mit vereinzelten Schäfchenwolken über einem sehr grünen Park mit vielen Laubbäumen.
Blauer Himmel und Schäfchenwolken über Neu-Delhi: Normalerweise liegt eine dicke Smogschicht über der Stadt.© Silke Diettrich / ARD-Studio Neu-Delhi
Der Verkehr ist hier sonst so laut, dass die Vögel kaum zu hören sind. Kinder und Jugendliche hier haben fast noch nie Schäfchenwolken gesehen, selten einen Sternenhimmel. Denn seit vielen Jahren liegt eine so dicke Glocke über ihren Köpfen, dass sie fast ohne mit den Augen zwinkern zu müssen, in die Sonne schauen können.
Die Großstädte versinken in einem milchigen Gelb, die Blätter der Pflanzen leuchten meist nicht mehr. Umgeben von einer dicken Staubschicht werden sie fahl und grau. Von den weltweit 30 Städten mit der dreckigsten Luft, liegen 22 in Indien.

Autos, Fabriken, Baustellen stehen still

Und nun, seit fast sechs Wochen, steht fast alles still, was mit den Menschen hier zu tun hat: Autos, Fabriken, Baustellen. Die Ausgangssperre habe uns nun direkt vor Augen geführt, wie schnell die Werte der Luftverschmutzung nach unten sinken könnten, sagt die Forschungsdirektorin vom Zentrum für Wissenschaft und Umwelt, Anumita Roy Chowdhury.
"Natürlich willst du nicht von so einem Katastrophenfall abhängig sein, um die Umweltverschmutzung zu verringern", sagt sie. "Aber durch diesen Notstand sind wir gezwungen, wichtige Veränderung vorzunehmen. Und nun ist die Frage, ob wir auch nach der Pandemie diese systematischen Veränderungen auf unser Leben ableiten können. Ein Beispiel wäre, dass wir nicht mehr so viel mit dem Auto fahren, weil wir ein neues Verhältnis dazu bekommen, wie wir unseren Arbeitsplatz definieren."
Denn auch in Neu-Delhi arbeiten nun unzählige Leute von zu Hause aus, vor allem die aus der Mittel- und Oberschicht. Fast jeden Tag schauen sie bei ihrem Smartphone auf die Luft-Qualitäts-App. In der Regel ist dort ein Emoji zu sehen, in dunkel-braun-rot, das je nach Luftwerten eine Atemschutzmaske oder sogar eine Gasmaske trägt. Die Adjektive zur Luft darunter lauten: ungesund, oder stark gesundheitsgefährdend.
Nicht so in den letzten sechs Wochen, zum ersten Mal lacht das Emoji mehrere Tage am Stück, ist grün oder gelb. Die Luft: gut bis mittelmäßig. Das hat es noch nie gegeben in den letzten Jahren. Aber nicht nur die Qualität der Luft hat sich hier in Neu-Delhi verbessert.
Eine helle männliche Steinfigur mit langen Haaren und Rauschebart sitzt im Schneidersitz in einem Gewässer.
Die Wasserqualität im Fluss Yamuna ist schon nach zwei Wochen Ausgangssperre besser geworden.© Silke Diettrich / ARD-Studio Neu-Delhi
In den sozialen Netzwerken haben Userinnen und User aus Neu-Delhi Videos und Fotos gepostet von der Yamuna. Das ist der Fluss, der durch die Hauptstadt fließt. Blau und an einigen Stellen sogar so klar, dass der Sand auf dem Boden zu sehen ist. Normalerweise ist der Fluss schlammig braun, in der Trockenzeit gleicht eher einer Kloake, Metanblasen wippen dann auf einer tiefschwarzen Brühe.
Also haben wir den Test gemacht und sind einfach mal ans Flussufer gefahren. Die ersten Stichproben sind ernüchternd: Es riecht wie immer leicht faulig, der Fluss ist schwarz, und dicke Schaumwolken wackeln auf der Wasseroberfläche.

"Wir Menschen sind schuld daran, dass alles verseucht ist"

Durch Zufall treffen wir hier auf den Gesundheitsminister von Neu-Delhi, Satyender Jain. Auch er will sich ein reales Bild von der Situation verschaffen:
"Die Wasserqualität hat sich im Vergleich zu vorher schon verbessert", sagt Jain, "weil kaum jemand derzeit in der gewerblichen Wirtschaft arbeitet und die, ja leider, meistens ihr Dreckwasser einfach ohne es zu reinigen in den Fluss abgeleitet hatte. Die Ausgangssperre führt uns eines ganz deutlich vor Augen: Wir Menschen tragen die Schuld daran, dass alles verseucht ist. Die Natur fordert gerade ihr Leben zurück."
Viele Menschen in Neu-Delhi, wie auf der ganzen Welt, fürchten gerade direkt um ihr Leben, durch den Ausbruch des Coronavirus. In Indien sind bislang weniger als 40.000 Menschen positiv darauf getestet worden. Aber es werden im Vergleich zu anderen Ländern auch deutlich weniger Tests durchgeführt.
Die Ärzte in den Krankenhäusern allerdings sagen, dass derzeit sehr viel weniger Menschen mit Atemwegsproblemen als sonst in die Kliniken kommen. Das dürfte natürlich auch damit zu tun haben, dass es eine komplette Ausgangssperre gibt und viele Menschen die Krankenhäuser vermeiden wollen.

Enorm verbesserte Luftqualität

Aber die Luftwerte haben sich im ganzen Land enorm verbessert. Um 50, an einigen Stellen sogar um 70 Prozent, hat sich die Luftverschmutzung verringert, das zeigen auch Aufnahmen von der NASA.
Die Menschen in Indien können also an vielen Orten derzeit besser atmen und dennoch halten viele die Luft an: Weil die Zahlen der Coronainfizierten noch steigen. Und auch die Todesfälle, die derzeit offiziell noch bei weit unter 2000 liegen. Durch die Folgen der Luftverschmutzung, so sagen es Umweltwissenschaftler, würden in Indien im Jahr mehr als eine Million Menschen sterben.
Mehr zum Thema